Fragen & Antworten

Ein Jahr Ukraine-Krieg: Energiepreisschock und Inflation

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Volkswirte rechnen damit, dass die hohe Inflation nur langsam wieder verschwinden wird.


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Die hohe Jahresteuerungsrate wurde vor allem von den extremen Preisanstiegen für Energieprodukte und Nahrungsmittel getrieben.

Erst fünf Prozent, dann mehr als acht Prozent: Der Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 ist auch für die Inflation in Deutschland eine Zeitenwende. Fast im Monatsrhythmus kletterte die Teuerungsrate in seit langem nicht mehr erlebte Höhen. Im Durchschnitt des vergangenen Jahres stiegen die Verbraucherpreise in Europas größter Volkswirtschaft nach überarbeiteten Daten des Statistischen Bundesamtes um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Einen solchen Preisschock hat die Bundesrepublik nicht mehr seit Anfang der 70er Jahre im Zuge der Ölkrise erlebt.

Jahrelang dümpelte die Inflation in Deutschland und in anderen Euroländern vor sich hin. Bereits 2021 schoben dann vor allem gestiegene Energiepreise im Zuge der weltweiten Konjunkturerholung nach der Corona-Krise 2020 die Teuerungsrate an. Hinzu kamen Materialmangel und Lieferengpässe infolge der Pandemie. Der russische Angriff auf die Ukraine verschärfte die Preisentwicklung im vergangenen Jahr deutlich. Allerdings fiel der Anstieg Teuerungsrate insgesamt schwächer aus als die zunächst berechnete Rate von 7,9 Prozent im Jahresschnitt 2022. Das Statistische Bundesamt überprüft in der Regel alle fünf Jahre die Gewichtung und die Zusammensetzung des Warenkorbes, für den die Statistiker monatlich die Preise hunderter Güterarten erheben. Denn die Verbrauchs- und Einkaufsgewohnheiten der Menschen ändern sich. "Eine regelmäßige Revision sichert die Aussagekraft des Verbraucherpreisindex", betonte die Wiesbadener Behörde.

Die Ölpreise schossen in den ersten Wochen des Ukraine-Krieges in die Höhe. Die Spritpreise erreichten zeitweise Rekordwerte. Im Sommer löste ein weitgehender Lieferstopp für Erdgas aus Russland nach Westeuropa einen Höhenflug des Preises für Gas aus. Deutschland ist besonders abhängig von Energieimporten und bekommt deshalb die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs deutlich zu spüren. Energie verteuerte sich nach den jüngsten Daten im Jahresschnitt um 29,7 Prozent. Die stärksten Preissteigerungen für Haushaltsenergie wurden demnach im Oktober und November 2022 mit jeweils 47,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat verzeichnet.

Überdurchschnittlich stark stiegen auch die Lebensmittelpreise. Bauern beklagten höhere Kosten: von Energie über Futter bis zu Stickstoffdünger. Der Handel wies unter anderem auf hohe Energie- und Rohstoffkosten hin. Im Schnitt mussten Verbraucherinnen und Verbraucher im vergangenen Jahr 13,4 Prozent mehr für Nahrungsmittel zahlen als 2021. Die Ernährungsindustrie erwartet für das laufende Jahr weiter steigende Lebensmittelpreise. "2022 war noch eine Mischkalkulation mit alten 2021er-Preisen. Die Spitzen der Preise 2022 machen sich auch 2023 noch bemerkbar und schlagen durch", sagte unlängst der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, Christian von Boetticher.

Höhere Inflationsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro weniger leisten können. Vor allem wenn Waren teurer werden, die häufig gekauft werden, spüren Menschen das im Portemonnaie: beim Tanken und im Supermarkt. Besonders hart trifft es Studien zufolge Haushalte mit vergleichsweise niedrigem Einkommen. Die Preistreiber Haushaltsenergie und Lebensmittel haben bei ihnen einen deutlich größeren Anteil am gesamten Warenkorb als bei Wohlhabenderen.

Mit einer durchgreifenden Entspannung bei den Preisen rechnen Volkswirte im laufenden Jahr nicht, auch wenn der Höhepunkt des Anstiegs überschritten sein dürfte. Das Problem: Die Inflation ist Ökonomen zufolge von Energie und Nahrungsmitteln inzwischen auf viele andere Produkte übergesprungen und hat an Breite gewonnen. "Es besteht die Gefahr, dass sich die Inflation verfestigt", befürchtet Ifo-Experte Sascha Möhrle. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer dürfte die sogenannte Kerninflation ohne Energie und Nahrungsmittel vor allem wegen anziehender Lohnkosten hartnäckig hoch bleiben: Für Entwarnung bei der Inflation sei es zu früh. Die Bundesregierung rechnet im Jahresschnitt 2023 mit einer Teuerungsrate von 6,0 Prozent.

Der Staat nimmt Milliarden in die Hand, um Verbraucher und Wirtschaft bei den hohen Energiepreisen zu entlasten. Im Sommer 2022 dämpften zeitweise das auf drei Monate befristete 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt den Anstieg der Verbraucherpreise. Nach dem Auslaufen des günstigen Tickets für den öffentlichen Personennahverkehr und der Steuersenkung auf Kraftstoffe zog die Inflationsrate wieder an. Zum Jahresende 2022 sorgte dann die einmalige Übernahme der Abschlagszahlung für Gas- und Fernwärmekunden durch den Staat für etwas Entspannung. Im laufenden Jahr dürften die staatlichen Gas- und Strompreisbremsen den Preisauftrieb dämpfen.