Nach 18 Jahren an der Spitze
Angela Merkel gibt CDU-Parteivorsitz ab: Der Kreis schließt sich
7. Dezember 2018, 7:02 Uhr aktualisiert am 7. Dezember 2018, 7:02 Uhr
Angela Merkel tritt nach 18 Jahren an der Spitze der CDU ab. Subtil, aber effektiv hat sie den Umbau der Partei vorangetrieben, bis die Flüchtlingskrise den Deal zwischen ihr und der Basis zerstörte.
Berlin - Die Euphorie war groß. Und die Hoffnung der knapp 1000 Delegierten, dass mit diesem Parteitag in der CDU nicht nur vieles anders, sondern alles besser werde, noch viel größer.
"Die Art, wie wir überall im Lande offen über Probleme und Neuanfang diskutiert haben, signalisiert einen neuen Aufbruch. Die Zeit der Hinterzimmer und der Strippenzieher geht zu Ende." Die Zeit für einen Neuanfang in der CDU sei reif. "Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Union muss nicht neu erfunden werden."
Die Zitate klingen aktuell. Doch sind sie mehr als 18 Jahre alt. Gesprochen hat sie der damalige CDU-Chef Wolfgang Schäuble am 10. April 2000 auf dem Parteitag in Essen, auf dem es zu einer Zäsur in der Geschichte der Partei kommen sollte.
Auf dem Höhepunkt der Parteispendenaffäre, in die sowohl der langjährige Altkanzler und Ex-CDU-Chef Helmut Kohl als auch Schäuble selber verwickelt waren, musste die alte Garde abtreten und den Weg für eine völlig neue Mannschaft frei machen - mit einer Frau an der Spitze.
897 von 953 Delegierten wählten die damals 45-jährige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel zur neuen Vorsitzenden. Die Frau aus dem Osten, die keine große Hausmacht hinter sich hatte, stand wie keine andere für einen Bruch mit der Vergangenheit und einen glaubwürdigen Neuanfang.
Das gute Ergebnis war nur eine Momentaufnahme
Von Anfang an hatte Merkel einen schweren Stand. Kohls Enkel - Jürgen Rüttgers oder Christian Wulff - wollten sich mit dem Ergebnis nicht anfreunden und mobilisierten alle Kräfte gegen sie.
Schon auf dem Parteitag 2001 wurde der damalige CSU-Chef Edmund Stoiber derart frenetisch gefeiert, dass dies einer Ausrufung zum Kanzlerkandidaten per Akklamation gleichkam. Merkel musste erkennen, dass sie keine Chance hatte. Sie bot Stoiber bei einem Frühstück in Wolfratshausen die Spitzenkandidatur an.
Am 22. November 2005 feiert Angela Merkel ihren größten Triumph
Was wie eine bittere Niederlage aussah, entpuppte sich als langfristiger Sieg. Statt zu lamentieren, unterstützte Merkel Stoiber. Bayerns Ministerpräsident verlor gegen Gerhard Schröder knapp - und Merkel griff nach dem Fraktionsvorsitz, den Merz innehatte.
Nun war sie die unumschränkte Nummer eins der CDU, in dieser Eigenschaft trieb sie die Erneuerung der Union voran. Höhepunkt war der Leipziger Parteitag 2003 mit den "Leipziger Beschlüssen", die unter anderem eine für alle Beitragszahler einheitliche Gesundheitsprämie im Gesundheitssystem ("Kopfpauschale") und eine Steuerreform ("auf dem Bierdeckel") vorsahen.
Als im Mai 2005 Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgezogene Neuwahlen ausrief, war Merkels Position unumstritten. Als Kanzlerkandidatin und Favoritin zog sie in den Wahlkampf.
Der Pakt zwischen ihr und der Partei bekommt mit der Euro-Krise Risse
Schröders Strategie, gegen Merkels Kopfpauschale und ihren Finanzexperten Paul Kirchhof mobil zu machen, kosteten sie fast den Sieg. Hauchdünn war der Vorsprung vor der SPD. Am 22. November war Merkel am Ziel - als erste Frau zog sie ins Bundeskanzleramt ein.
Sie lernte ihre Lektion. Mit radikalen Reformen gewinnt man keine Wahlen, die Bürger wünschen Ruhe, Sicherheit und Verlässlichkeit. So nahm die "Methode Merkel" weiter Gestalt an. Die Konservativen und die Wirtschaftsliberalen verloren an Einfluss, ihr Ziel war es, die CDU so stark in der Mitte aufzustellen, dass sie politisch offen in alle Richtungen und somit stets mehrheitsfähig war. Die Wahlerfolge 2009 und 2013 gaben ihr Recht.
Als Kanzlerin stellte sie die Partei in den Dienst der Regierung. Die Generalsekretäre sollten ihr den Rücken freihalten. Ob Ausstieg aus der Wehrpflicht wie der Atomkraft, ob Einführung des Mindestlohns oder der Homo-Ehe: Die Partei murrte, aber folgte, wenn es darauf ankam, brav. Es war ein Deal auf Gegenseitigkeit.
Merkel konnte mit ihren wechselnden Koalitionspartnern, erst SPD, dann FDP, seit 2013 wieder die SPD, relativ ungestört regieren, im Gegenzug garantierte die Kanzlerin den Erhalt der Macht und sicherte somit den Zugang zu den Fleischtöpfen.
Diese stille Übereinkunft zwischen der Partei und ihrer Vorsitzenden bekam mit der Euro-Krise Risse und brach mit der Flüchtlingskrise 2015. Rechts von der Union entstand die AfD. Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl 2017, der schweren Regierungskrise in diesem Sommer und den dramatischen Verlusten bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober erklärte Merkel nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen. Ein letztes Mal bestimmte sie die Agenda und kam mit ihrer Entscheidung einem möglichen Sturz zuvor.
So schließt sich der Kreis. 2000, auf dem höhepunkt der Parteispendenaffäre, verkörperte Angela Merkel die Sehnsucht nach einem Neuanfang. Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU ist die Sehnsucht nach einem neuen Kopf mindestens so groß wie damals. Wer auch immer heute zu ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin gewählt wird, muss diese Erwartungen erfüllen - so wie es Angela Merkel damals musste.
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