AZ-Interview

Demenz-Kongress: Was Schwerhörigkeit mit Alzheimer zu tun hat


Herd aus? Wenn das Kurzzeitgedächtnis stark nachlässt, kann das ein Zeichen für eine Demenz sein.

Herd aus? Wenn das Kurzzeitgedächtnis stark nachlässt, kann das ein Zeichen für eine Demenz sein.

Von Franziska Bohn

Rund 30.000 Münchner leiden an Demenz. Wer schwerhörig ist, hat ein größeres Risiko, krank zu werden. Wie man sich schützen kann, erklärt ein Alzheimer-Experte.

Demenz - die gefürchtete unheilbare Krankheit des Vergessens. Rund 30.000 Münchner leiden daran und die Zahl steigt, auch deshalb, weil es in der Stadt immer mehr Hochbetagte gibt. In 20 Jahren, glauben Experten, könnten es schon über 60.000 Betroffene sein.

Nun ist die Forschung darauf gestoßen, dass das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, deutlich steigt, wenn ein Mensch schwerhörig wird. Die Ärzte sind alarmiert: Von den Älteren über 65 Jahren leidet jeder Dritte an einer Schwerhörigkeit. Die AZ hat darüber mit dem Alzheimer-Experten Prof. Robert Perneczky (44) gesprochen, der mit rund 200 Wissenschaftlern aus aller Welt am Demenz-Kongress "ResDem"in München teilnimmt.

AZ: Herr Professor Perneczky, viele Menschen hören schlechter, wenn sie älter werden. Was genau hat das mit dem Gedächtnis zu tun?
ROBERT PERNECZKY:
Das Gedächtnis braucht Stimulation, damit die geistige Leistungsfähigkeit erhalten bleibt. Menschen, die schlecht hören, ziehen sich aber oft in ihrem Sozialleben zurück und haben so weniger Impulse für ihr Gehirn.

Was passiert dann?
Die Denkprozesse werden langsamer, das Gehirn wird weniger trainiert, man wird geistig weniger fit. Es gibt noch einen zweiten Zusammenhang: Wenn man sich im mittleren Lebensalter sehr aufs Hören konzentrieren muss, muss das Gehirn großen Aufwand betreiben zu hören und hat dann keine Reserve mehr, um sich Sachen zu merken.

Der 44-Jährige ist Chef des Alzheimer-Therapie- Zentrums der Münchner LMU-Klinik für Psychiatrie.

Der 44-Jährige ist Chef des Alzheimer-Therapie- Zentrums der Münchner LMU-Klinik für Psychiatrie.

Kann Schwerhörigkeit im mittleren Alter also eine Art Vorbote für eine spätere Demenz sein?
Nein, aber ein Risikofaktor schon. Schwerhörigkeit löst eine Demenz nicht aus, sondern reduziert die Widerstandsfähigkeit dagegen.

Wie kann man sich das vorstellen?
Alzheimer schreitet sehr langsam voran, mit 40 beginnen Eiweiße, sich im Gehirn abzulagern. Gegen den Eiweißmüll versucht sich das Gehirn zu wehren. Aber wer schlecht hört, braucht die Reserven seines Gehirns auf. Das Hirn brennt schneller aus. So wird man anfälliger für eine Demenz.

Lärm ist der größte Risikofaktor

Kann man etwas dagegen tun, dass der Hörsinn nachlässt?
Der größte Risikofaktor ist Lärm. Man sollte unbedingt schon in jungen Jahren vermeiden, laute Konzerte zu hören oder laute Musik über Kopfhörer. Daraus entsteht oft eine Schwerhörigkeit, weil auf die Dauer bestimmte Frequenzen ausfallen.

Was tun, wenn man mit 50 schon merkt, dass man beispielsweise das Telefonklingeln oft überhört?
Zum HNO-Arzt gehen und das Gehör testen lassen. Und auch schon bei kleinen Anfängen von Hörproblemen ein Hörgerät tragen, das steigert einfach die Leistungsfähigkeit. Davor haben jüngere Menschen aber oft eine Scheu ...

Stimmt, ein Hörgerät hat für viele Menschen etwas Stigmatisierendes.
Aber die neuen Geräte sind so klein, dass man sie kaum sieht. Man sollte diese Scheu wirklich ablegen.

Was beeinflusst die Entstehung der Demenz noch?
Ein Zusammenspiel zwischen den Genen und den Lebensumständen. Die größten Faktoren nach der Schwerhörigkeit sind die Schulbildung, Umstände wie kaputte Gefäße, die das Gehirn schädigen, Bluthochdruck, Depressionen - und Lebensgewohnheiten wie Rauchen, starker Alkoholkonsum, Übergewicht, Bewegungsmangel, wenig Kommunikation.

Kann man sich schützen vor einer Demenz?
Ja, absolut. An der Schulbildung lässt sich später nicht mehr viel ändern. Aber man kann sich darum kümmern, dass die Gefäße gesund bleiben, wenig Alkohol trinken, wenig rotes Fleisch und Fett essen, dafür viel Gemüse, Ballaststoffe, Olivenöl und eher pflanzliche Eiweiße. Man kann Sport machen und vor allem sozial aktiv bleiben.

Wie viel Aktivität soll es denn sein?
Ich sage den älteren Menschen immer: Betätigt euch. Geht täglich spazieren oder macht Sport. Kommuniziert täglich ein, zwei, drei Stunden mit Menschen. Lest Zeitung oder Bücher. Esst täglich etwas Gutes.

Dass das Gedächtnis schwächelt, merken viele Menschen schon in mittleren Jahren. Ab wann muss man sich Gedanken machen, ob womöglich eine Demenz beginnt?
Erst dann, wenn man es im Alltag merkt. Dass einem mal Namen oder Wörter nicht einfallen, ist in gewisser Weise normal. Warnzeichen sind aber, wenn die Gedächtnislücken anderen auffallen. Wenn Freunde oder Familienmitglieder sagen: Du bist vergesslich geworden. Wenn man vergisst, Medikamente zu nehmen oder seine Dinge finanziell zu regeln. Dann sollte man besser früher als später zum Hausarzt gehen.

Immer wieder hört man davon, dass es bald eine Impfung gegen Demenz geben könnte. Wie schaut es da aus?
Bisher sind alle Impfstudien abgebrochen worden. Aber jetzt gibt es zum ersten Mal positive Ergebnisse einer Studie, die an mehreren tausend Patienten mit Alzheimer-Demenz durchgeführt wurde. Es geht um den Wirkstoff Aducanumab, ein Antikörper, der sich gegen die Eiweiße richtet, die man in den Alzheimer-Plaques im Gehirn findet.

Bald ist vielleicht sogar einen Impfstoff gegen Demenz

Da kam es zu einer Verzögerung der Demenz. Das ist ein riesiges Ergebnis. Die US-Firma Biogen strebt an, dass dieses Medikament - eine Infusion, die alle paar Wochen gegeben wird - zugelassen wird. Man muss abwarten, ob die Zulassung kommt.

Wer könnte dieses Medikament dann nehmen?
Das wird anfangs nur für Menschen zugelassen sein, die schon Alzheimer haben, weil Nebenwirkungen teilweise ernst sein können - etwa eine Schwellung des Gehirns. Bei Alzheimer dauert es von der ersten Diagnose bis zum Tod oft sieben bis neun Jahre. Mit der Impfung könnte der Verlauf um etwa ein Drittel verlangsamt werden.

Für die laufenden Studien sucht das Alzheimer Therapie- und Forschungszentrum der LMU interessierte Teilnehmer, die zum Fortschritt im Kampf gegen Alzheimer beitragen und von den neusten Forschungserkenntnissen profitieren möchten.

Kontakt: PSY.Alzheimerzentrum@med.uni-muenchen.de

Was ist Alzheimer?

Alzheimer (die häufigste Form von Demenz) ist eine unheilbare Störung des Gehirns. Weil Nervenzellen im Gehirn absterben, werden Betroffene zunehmend vergesslich, verwirrt und orientierungslos. Viele Patienten werden unruhig, aggressiv oder depressiv, ihre Sprachfähigkeit und das Urteilsvermögen lassen nach.

Zwar lässt sich Alzheimer behandeln, aber bislang nicht stoppen. Die mittlere Krankheitsdauer beträgt neun Jahre (in drei Stadien). Dabei werden die Patienten immer anfälliger für Infektionen. Die häufigste Todesursache ist die Lungenentzündung. Wie Alzheimer entsteht, ist nicht restlos geklärt, sicher ist, dass zwei Eiweißablagerungen eine Rolle spielen:

Plaques aus Beta-Amyloid und Fibrillen aus Tau. In nur einem Prozent der Fälle ist die Krankheit erblich. Das Risiko, zu erkranken, steigt mit dem Alter: In der Altersgruppe 70 bis 74 sind rund 3,5 Prozent betroffen, zwischen 85 und 89 bereits über 26 Prozent.

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