AZ-Konzertkritik

Rammstein in München: Die Hofnarren der Moderne


Till Lindemann und Rammstein wurden von den Fans im Olympiastadion gefeiert.

Till Lindemann und Rammstein wurden von den Fans im Olympiastadion gefeiert.

Von Lukas Schauer / Onlineredaktion

Lange mussten die Fans warten, am Samstag war es endlich so weit: Rammstein spielten im ausverkauften Olympiastadion. Die AZ-Konzertkritik.

München - Hereinspaziert und herzlich willkommen, meine Damen und Herren! Betreten Sie den Circus Maximus der Musik. Nehmen Sie teil, seien Sie Teil, der Inszenierung von Till dem Tabulosen und seinen Rammsteinen.

Der Sänger und Chef-Entertainer Till Lindemann wird darin zum Geschichtenerzähler, zum Märchenzähler, zum singenden Menschenfänger, zum Hofnarren der Moderne, der allen einen Spiegel vorhält, es in der Doppeldeutigkeit seines subversiven Humors aber dem Gespiegelten überlässt, ob er sich nur unterhalten oder doch persifliert fühlen mag. Es ist Theater in der Tradition des amerikanischen Vaudeville.

Rammstein-Opulenz im Olympiastadion

Der Märchenerzähler nimmt in seinen Anekdoten verschiedene Rollen an, ist mal Opfer, mal Täter, mal Verführer, mal Verführter, mal Kannibale, mal Sexsüchtiger, mal Betrüger, mal Betrogener. Dargeboten wird all das von der Industrial-Metal-Band Rammstein, dem mit Abstand erfolgreichsten Exporteur deutschen Kulturguts, in einer optischen Opulenz, die ihresgleichen sucht.

Es ist wahrhaft eine Feuertaufe, ein Musik gewordener Donnerhall, der sich den 70.000 Fans im ausverkauften Olympiastadion darbietet. Rammstein haben in ihrer 25-jährigen Karriere den Tabubruch, die Provokation zur Kunstform erhoben. Und natürlich ist auch immer Futter für die Berufsempörten dabei. Sie werden angesichts der martialischen Bühne, die offensichtlich von Fritz Langs filmischem Expressionismus-Meisterwerk "Metropolis" inspiriert ist, dem gehuldigten Feuerkult, dem überbetont rollenden R im Gesang von Lindemann, dem ins Extreme getriebenen Männlichkeitswahn Rammsteins ihrem anerzogenen Echauffierungs-Reflex nachgehen und wie stets der Band den Vorwurf der Deutschtümelei und Romantisierung der Nazi-Vergangenheit machen.

Kritiker kontert Rammstein in der Musik

Genau diesen so vorhersehbaren Aufschrei derer, die sich nie über das Klischee hinaus mit der Band beschäftigt haben, wollen das Rammstein-Sextett, das großteils in Underground-Punkbands der DDR wie First Arsch oder Feeling B die ersten musikalischen Schritte machte, auslösen. Sie wollen zum Denken, zum Nachdenken anregen, ja, zwingen.

Die Antworten geben Rammstein auf diese Vorwürfe in ihrer Musik. Wenn sie etwa beim zweiten Song "Links 2 3 4" nach dem Opener "Was ich liebe" in übertriebener Marschmusik-Rhythmik, der Tanzmusik der Teutonen, singen: "Sie wollen mein Herz am rechten Fleck, doch sehe ich dann nach unten weg, da schlägt es links". Lindemann inszeniert das Ganze auch noch derart, dass die Fans bei dem aus abertausend Kehlen gesungenen Wort "links" die Fäuste emporrecken. Wenn Lindemann dann im Song "Ausländer" das gesamte Publikum singen lässt "Ich bin Ausländer", ist das eine klare Botschaft, die aber eben mit Rammstein-Humor erbracht wird. Man kann sie sehen, man muss es nicht.

Von flambierten Keyboardern und Strichmännchen

Die Theatralik der Show ist überbordend und immer wieder an der Grenze zum Grotesken, zum Kasperletheater, zum Grand Guignol, der Freakshow. Bei "Mein Teil", einem Lied über den Kannibalen von Rotenburg, wird Keyboarder Flake von Lindemann in einem aberwitzig großen Kochtopf mit dem Flammenwerfer flambiert, bis er die weiße Fahne wedelnd um Gnade winselt. Bei "Deutschland" stehen auf der abgedunkelten Bühne Männer mit Leuchtanzügen, durch die sie wie Strichmännchen erscheinen. Die vollführen dann in bester Waldorf-Schüler-tanzt-seinen-Namen-Manier Verrenkungen. Später lässt sich die Band in aufgeblasenen Gummibooten von der Mittel- zur Hauptbühne crowdsurfen.

Fans feiern die Klassiker

Rammstein, das ist großes Kino, vielschichtige Kunst, die auch mal die Metaebene betritt - und sich dort wohlfühlt. Da stört es auch nicht groß, dass der Sound teilweise etwas dumpf war, es zum Ende des Sets Timing-Probleme gab und die Songs der neuen Platte - etwa "Was ich liebe" oder "Tattoo" - nicht die musikalische Wucht entfalten, wie die frenetisch gefeierten Klassiker "Rammstein", "Ich will", "Mein Teil", "Sonne" oder "Mein Herz brennt".

Rammstein, die Hofnarren der Moderne, haben über zwei Stunden und 15 Minuten in München Hof gehalten und der aberwitzige Circus Maximus der Musik zieht mit seiner Pyromanen-Show nach dem zweiten ausverkauften Konzert am Sonntag im Olympiastadion weiter und trägt seine Geschichten im Viervierteltakt, seine Märchen, seine Message hinaus in die Welt - für all die, sie hören wollen.

Lesen Sie hier: Rammstein-Konzerte in München - Alle Infos für Besucher im Olympiastadion