G8 oder G9?

Pilotschule mit Mittelstufe Plus: „Mehr Zeit, aber das Niveau bleibt gleich“


Lorenz, Jule, Julia und Nina (von links) besuchen die achte Klasse der Mittelstufe Plus am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium in Regensburg. Sie sind mit ihrer Entscheidung, das Gymnasium in neun Jahren zu absolvieren, sehr zufrieden.

Lorenz, Jule, Julia und Nina (von links) besuchen die achte Klasse der Mittelstufe Plus am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium in Regensburg. Sie sind mit ihrer Entscheidung, das Gymnasium in neun Jahren zu absolvieren, sehr zufrieden.

+++ Eine Umfrage unter Schülern zur Frage G8 oder G9 gibt's oben zum Durchklicken +++

Mehr Zeit für Sport und Musik, nachmittags Freunde treffen oder den gelernten Schulstoff intensiver durcharbeiten - wer das Gymnasium besucht, kennt diese Wünsche. In 47 Pilotschulen in Bayern ist das für Achtklässler seit dem Schuljahr 2015/2016 wieder möglich. In der sogenannten Mittelstufe Plus haben Schüler die Möglichkeit, die Mittelstufe anstatt in drei nun wieder in vier Jahren zu absolvieren. Eine dieser Pilotschulen ist das Albrecht-Altdorfer-Gymnasium in Regensburg. Nach einem Jahr zieht Rektor Clement Utz zusammen mit einigen Schülern und Lehrern Zwischenbilanz.

"Ich bin im Schwimmverein, spiele Tenorhorn und mache auch noch Parkour. Keines meiner Hobbys wollte ich aufgeben." - Der 14-jährige Lorenz Schnurrer erklärt, warum er sich letztes Jahr dazu entschieden hat, ab der achten Klasse die Mittelstufe Plus zu besuchen. Ganz ähnlich sehen das auch Julia Luchner (13) und die Zwillingsschwestern Nina und Jule Schweitzer (14). Alle sind gute Schüler, wollen aber auch ihre Hobbys nicht vernachlässigen. "Meine Schwester und ich spielen dreimal die Woche Basketball und trainieren eine Kindermannschaft, das ist sehr zeitaufwendig", erzählt Nina. Sie alle hätten auch das achtstufige Gymnasium geschafft, aber durch die Mittelstufe Plus werde eben alles ein bisschen einfacher.

Ihre Eltern hatten dabei alle vier immer auf ihrer Seite. "Meine Eltern haben es ganz mir überlassen, für welchen Weg ich mich entscheide", sagt Julia. Bei allen anderen war das ähnlich.

Schulleiter Clement Utz liegt viel daran, seinen Schülern die Mittelstufe Plus anbieten zu können: "Sowohl in der Lehrerkonferenz als auch im Elternbeirat haben wir einstimmig beschlossen, uns als Pilotschule zu bewerben. Umso mehr freuen wir uns, dass unsere Schüler die Mittelstufe jetzt ruhiger und vertiefter angehen können, wenn sie das möchten."

Im ersten Jahrgang 2015/2016 haben sich am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium (AAG) etwa die Hälfte der Achtklässler für das neunstufige Modell entschieden. Es gibt zwei Regelklassen und zwei "Plus-Klassen". Im kommenden Schuljahr wollen von insgesamt 90 Siebtklässlern am AAG 73 die Mittelstufe Plus besuchen und nur 17 Schüler den Regelzug. "Insgesamt haben sich an den 47 Pilotschulen für das kommende Schuljahr rund 70 Prozent der jetzigen Siebtklässler für das neunstufige Gymnasium entschieden", weiß Rektor Utz.

Die Motivation der Schüler sei dabei ganz unterschiedlich. "Wir haben viele sehr gute Schüler, die sehr viele Hobbys haben, die sie nicht vernachlässigen wollen", erklärt er. Und eben auch lernschwächere Schüler, denen ein Zusatzjahr richtig guttut. "Die jungen Leute sollen in Ruhe reifen können und erwachsen werden", sagt er.

Mittelstufe Plus: "Viel Mehr Zeit, den Stoff intensiv zu üben"

Um zu sehen, wie es Schülern und Lehrern der Pilotklassen mit diesem neuen Modell geht, hat Clement Utz in diesem Schuljahr verstärkt den Unterricht der beiden Klassen besucht. Auch wenn der stoffliche Unterschied jetzt noch nicht so groß sei, einen positiven Unterschied im Unterricht habe er trotzdem bemerkt. Das bestätigen auch Mathe- und Physiklehrerin Marion Fuchs und Stefanie Gietl, die die Pilotklassen in Latein unterrichtet: "Wir haben jetzt einfach viel mehr Zeit, den Stoff intensiv zu üben und können sogar Stofflücken aus den früheren Jahren auffüllen", berichten sie. Wichtig ist den Lehrerinnen aber dennoch: "Das Niveau bleibt auf jeden Fall gleich, wir haben jetzt einfach ein Jahr mehr Zeit für den gleichen Stoff. Arbeiten und lernen müssen die Schüler trotzdem." Welche Vorteile das haben kann, verdeutlichen Jule und Lorenz: "Ich bin jetzt in Mathe besser als im letzten Jahr, weil wir einfach mehr Zeit zum Üben haben", sagt Jule. Und Lorenz bestätigt: "In Latein sind wir sieben Kapitel hinter der Regelklasse. Das Tempo hier ist viel angenehmer."

Trotz all der positiven Stimmung sieht Schulleiter Utz an vielen Stellen auch noch Verbesserungsbedarf. "Die Organisation des Schulbetriebs in den betroffenen Jahrgangsstufen ist extrem schwierig. In der achten Klasse muss man sowieso zwischen dem humanistischen, dem naturwissenschaftlich-technologischen und dem neusprachlichen Zweig wählen und wird entsprechend in verschiedene Klassen unterteilt. Jetzt kommt auch noch die Wahl der Mittelstufe Plus dazu, da gibt es natürlich noch mal mehr Kombinationsmöglichkeiten", erklärt er. Da Utz die Fächer-Vielfalt an seiner Schule unbedingt erhalten will, wird die Stundenplan-Gestaltung natürlich komplizierter. Die Planung wäre seiner Meinung nach einfacher, wenn sich Schüler und Eltern schon früher für das acht- oder neunstufige Modell entscheiden müssten. Clement Utz hält eine Dehnung ab der sechsten Klasse für optimal: "In dieser Jahrgangsstufe kommt auch die zweite Fremdsprache dazu, dann würde diese schon von der Mehrzeit profitieren", begründet er seine Meinung.

Wie es nach Ende der Pilotphase 2017 weitergehen soll, ist von Seiten der Politik noch nicht endgültig klar. Am AAG ist die Hoffnung aber groß, dass die Mittelstufe Plus weitergeführt wird.

Entlastung und Förderung: Weitere Infos zur Mittelstufe Plus

47 Gymnasien in Bayern nehmen seit dem Schuljahr 2015/2016 an dem zweijährigen Pilotversuch zur Mittelstufe Plus teil. Die Mittelstufe (8. - 10. Klasse) dauert dann wieder vier statt bisher drei Jahre. Hier die Neuerungen im Überblick:

  • Kernfächer wie Deutsch, Mathe und Fremdsprachen werden in der Mittelstufe Plus besonders gefördert und durchgehend alle vier Jahre unterrichtet. Der Stoff wird also auf vier Jahre gedehnt.
  • Einzelne Fächer aus den Jahrgangsstufen 8, 9 und 10 werden in die Jahrgangsstufe 9+ verlegt. Es gibt also weniger Fächer pro Schuljahr und auch die Wochenstundenzahl ist reduziert. Das führt zu einer deutlichen Entlastung der Schüler.
  • Durch das Zusatzjahr kommt es zu einer zusätzlichen Förderung von insgesamt 17 Wochenstunden.
  • Verpflichtender Nachmittagsunterricht ab der 10. Klasse.

Die Mittelstufe Plus richtet sich in erster Linie an Schüler, die aufgrund ihres individuellen Entwicklungsstandes, einer besonderen musischen, künstlerischen oder sportlichen Begabung sowie eines besonderen inner- oder außerschulischen Engagements mehr Zeit brauchen. (Quelle: Kultusministerium)

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Schulleiter Clement Utz sieht auch Schwachstellen an der Mittelstufe Plus.

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Katharina, 13, 8. Klasse, Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham: "Ich finde die Mittelstufe Plus gut. Wenn ich wählen dürfte, würde ich mich dafür entscheiden, da man dort viel mehr Zeit hat, den Stoff zu lernen. Außerdem ist man nach dem Abitur schon 18 Jahre alt und es fällt einem dann sicher leichter, in eine andere Stadt zu gehen und zu studieren."

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Jana, 14, 8. Klasse, Gymnasium Dingolfing: "Wenn ich könnte, würde ich, wie wohl die meisten, das G9 wählen. Zeit für meine Hobbys wie Gitarre und Joggen hab ich jetzt eigentlich nur noch am Wochenende. Außerdem ist Mathe- und Englischunterricht am Nachmittag schon richtig anstrengend. Das ist in der Mittelstufe Plus sicher besser."

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Alina, 13, 8. Klasse, Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham: "Ich bin für die Mittelstufe Plus, da man mehr Zeit für intensives Lernen hat und weniger Nachmittagsunterricht. Und wenn man, so wie in meinem Fall, früher eingeschult worden ist, hat man nicht das Problem, dass man noch keine 18 Jahre alt ist, wenn man das Abitur macht."

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Konstanze, 15, 10. Klasse, M.-v.-Montgelas-Gymnasium, Vilsbiburg: "Ich hätte das G9 gewählt. Man weiß ja schließlich nicht, ob einem das Gymnasium liegt oder man mehr lernen muss. Darum hätte ich sicherheitshalber lieber das eine Jahr länger gehabt. Wenn wir aber mit 17 fertig sind, dann kann man sich eher zum Beispiel ein Auslandsjahr erlauben."

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Julia, 14, 8. Klasse, Gymnasium Dingolfing: "Im G9 kann man sicher intensiver arbeiten und der Lernaufwand ist nicht so hoch. Ich gehe mehrmals pro Woche reiten. Gerne würde ich auch noch ein Instrument lernen, aber dafür reicht die Zeit einfach nicht. Manchmal wünsche ich mir Zeit, um einfach mal nichts zu tun. Aber das gibt es fast nicht."