"Europa ein trauriges Bild"

Kauder zum Asylpaket II: „CDU und CSU packen die Probleme wieder gemeinsam an“


Unions-Fraktionschef Volker Kauder sieht in der Einigung zum Asylpaket II ein wichtiges Signal der Geschlossenheit unter den Koalitionspartnern.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder sieht in der Einigung zum Asylpaket II ein wichtiges Signal der Geschlossenheit unter den Koalitionspartnern.

Von Monika Müller

Nach langem Streit und immer mehr öffentlichem Druck aus Bayern, hat sich die große Koalition nun endgültig auf das Asylpaket II geeinigt. Für Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) ein "wichtiges Signal". Im Interview mit unserer Zeitung sagt er, damit beweise die Regierung "bei der zentralen politischen Herausforderung unserer Zeit Handlungsfähigkeit". Kauder bittet jedoch auch um Geduld auf der suche nach europäischen Lösungen zur Flüchtlingskrise. "Es wird viel gearbeitet", verspricht er.

Herr Kauder, haben Sie der Bundeskanzlerin inzwischen auch einen Brief geschrieben?Kauder: Ich brauche weder der Bundeskanzlerin noch Horst Seehofer einen Brief zu schreiben - ich spreche mit beiden.

In der Flüchtlingspolitik hat die CSU zuletzt den Druck auf die Kanzlerin deutlich erhöht. Wie ist denn derzeit die Zusammenarbeit in der CDU/CSU-Fraktion?Kauder: Die Verständigung in der Koalition auf das Asylpaket II ist in mehrfacher Hinsicht ein wichtiges Signal. Die Koalition leitet damit auf nationaler Ebene weitere Schritte ein, um die Zahl der Flüchtlinge deutlich zu verringern. Damit zeigt die Bundesregierung nach Wochen des Streits bei der zentralen politischen Herausforderung unserer Zeit Handlungsfähigkeit. Für die Union ist nach den jüngsten Dissonanzen natürlich auch wichtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer die SPD gemeinsam von der Notwendigkeit der Begrenzung des Familiennachzugs überzeugt haben. Außerdem werden nun Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Damit wird den Menschen dort bedeutet: Ihr werdet keine Chance haben, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Das alles zusammen wird auf große Zustimmung der gesamten Fraktion stoßen, auch wenn damit natürlich nicht alle Meinungsunterschiede beseitigt sind.

Können Sie irgendwelche klare Linien von Zustimmung und Ablehnung in der Fraktion feststellen?Kauder: Die Bürger beschäftigt die Flüchtlingsbewegung enorm. Fast jeder fragt sich, ob Deutschland in diesem Jahr noch einmal so viele Menschen aufnehmen kann wie 2015. Unsere Fraktion will wie die Bundeskanzlerin die Zahl der Flüchtlinge gegenüber dem vergangenen Jahr spürbar reduzieren. Die Frage ist nur, wie dies geschehen soll. Unter den Abgeordneten gibt es eine Gruppe, die sich im Kern für eine Schließung der deutschen Grenzen ausspricht. Die jüngste Sitzung der Fraktion hat aber auch gezeigt: Die Mehrheit unserer Abgeordneten setzt wie die Bundeskanzlerin vor allem auf eine europäische Lösung, die von internationalen und nationalen Schritten ergänzt wird. Die Aufgabe ist riesig. Dennoch müssen wir bei ihrer Bewältigung alles versuchen, den Schaden für Europa so gering wie möglich zu halten. Gerade für ein wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland sind offene Binnengrenzen ein unschätzbarer Wert. Den darf man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Meinen Sie, die Bürger verstehen überhaupt, was die Kanzlerin will?Kauder: Alle in der Koalition und gerade wir in der Union müssen die Politik viel besser erklären. Die wenigsten Bürger wissen doch zum Beispiel, dass schon seit Langem ein ganzes Bündel an nationalen Maßnahmen in Kraft getreten ist. Stichwort "Asylpaket I" und die enorme Beschleunigung bei der Bearbeitung der Asylanträge durch die zuständige Bundesbehörde. Die Verschärfungen des Asylrechts zeigen ja auch Wirkung. Beispiel: Die Länder des westlichen Balkan wurden zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Jetzt kommen aus diesen Staaten im Vergleich zu den Zehntausenden im Sommer 2015 fast kaum noch Flüchtlinge.

Was hat denn der Brief aus Bayern verändert?Kauder: In einer Koalition sollte man miteinander sprechen. Die Bürger erwarten Lösungen und nichts anderes. Dieser Erwartung sind wir am Donnerstag auch endlich wieder gerecht geworden. CDU und CSU packen die Probleme wieder gemeinsam an.

Bei den Klausuren der CSU-Landesgruppe und der CSU-Landtagsfraktion hat die Bundeskanzlerin viel Kritik einstecken müssen. Wann, glauben Sie, wird die Kanzlerin ihren Kurs ändern?Kauder: Die Kanzlerin hat klar gesagt, dass wir die Zahl der Flüchtlinge nachhaltig reduzieren wollen und hat ihren Weg mehrfach beschrieben. Der Schlüssel liegt für sie vor allem in einer stabilen europäischen Lösung, auch weil es immer neue Flüchtlingsbewegungen geben kann. Am 18. und 19. Februar findet der nächste EU-Gipfel statt. Danach will die Kanzlerin eine Zwischenbilanz ziehen. Ich bin optimistisch, dass die Kanzlerin eine akzeptable europäische Haltung erreichen wird. Wir werden durch die Maßnahmen auf nationaler Ebene und das dann hoffentlich vereinbarte gemeinsame europäische Vorgehen den Bürgern in einigen Wochen eine überzeugende Antwort auf die Flüchtlingsbewegung präsentieren können, die immer noch unserem humanitären Anspruch gerecht wird.

Wie schaffen wir das? Auf europäischer Ebene passiert ja nicht viel.Kauder: Ich bitte um Geduld. Es wird viel gearbeitet. Bei immer mehr Regierungen scheint die Erkenntnis zu wachsen, dass eine Verweigerungshaltung ihr eigenes Land in eine schwierige Situation bringen könnte. Noch gibt aber Europa ein trauriges Bild ab. Das gebe ich zu. Aber es ist etwas in Bewegung - und zwar in eine positive Richtung.

Am 13. März stehen drei Landtagswahlen an. Tendenziell verliert die CDU in den Umfragen, die AfD gewinnt hinzu. Wie sehr besorgt Sie das?Kauder: Das Allerwichtigste ist, dass wir in der Union zu einem größeren Maß an Geschlossenheit zurückkehren. Dann werden wir die Wählerinnen und Wähler überzeugen. Wie gesagt: Die Einigung auf das Asylpaket II zeigt den Bürgern, dass wir um unsere Verantwortung wissen.

Die CSU fordert Grenzkontrollen, auch aus Gründen der Sicherheit. Angesichts von Terroranschlägen in Frankreich und weiteren Warnungen von Interpol - ist es nicht an der Zeit, die Grenzen endlich wieder sicher zu machen? Kauder: Die Grenzen werden überwacht. Die Flüchtlinge, die neu zu uns kommen, werden auch registriert - Identitätsfeststellung eingeschlossen. Das hat der Bundesinnenminister wiederholt dargestellt.

Nach zahlreichen Übergriffen durch Migranten wie in Köln und vielen anderen Städten sind viele Bürger besorgt. Viele rüsten sich mit Pfefferspray und Schreckschusswaffen aus, andere gründen Bürgerwehren. Wie sollte die Politik auf diese Entwicklung reagieren?Kauder: Die Menschen machen sich schon seit einiger Zeit Sorgen um ihre Sicherheit im Land. Die Vorgänge von Köln haben dies noch verstärkt. Die Politik muss darauf reagieren. Wir brauchen mehr Polizeipräsenz. Der Bund schafft auf Betreiben der Union in den nächsten Jahren rund 3 600 neue Stellen bei der Bundespolizei. Hier müssen die Länder nachziehen. Das gilt aber nicht nur für die Polizei, sondern auch für die Justiz. Oft kommen ja die Staatsanwaltschaften angesichts der Arbeitsbelastung gar nicht mehr dazu, die Beschuldigten, die es verdient hätten, wirklich alle vor den Richter zu bringen. Und es fehlt auch an Richtern. Die Strafe folgt bei Verbrechen vielfach wegen Überlastung der Gerichte nicht auf dem Fuß, sondern erst nach Monaten. Das ist ein völlig falsches Signal. Kurz: Die innere Sicherheit muss in unserem Land eine größere Bedeutung bekommen. Für die Union ist das ein zentrales Thema ihrer Politik.

Was sagen Sie hier lebenden Menschen, die sich darum sorgen, dass ihre Interessen aus dem Fokus der Politik geraten, etwa wenn es zum Beispiel um Wohnraum oder Arbeitsplätze geht?Kauder: Das ist ja gerade nicht der Fall - im Gegenteil. Wir beabsichtigen neue Programme für die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum. Es geht dabei aber nicht nur um Geld. Es muss auch gefragt werden, ob die vorgeschriebenen Bau-Standards zu hoch sind. Nach den derzeit gültigen Standards wird eine Miete von unter acht Euro pro Quadratmeter kaum realistisch sein. Das ist nicht akzeptabel. Um den Arbeitsmarkt muss sich die Politik weniger Sorgen machen. Die Betriebe suchen vielfach dringend neue Arbeitnehmer.

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will bei Leiharbeit und Werkverträgen nacharbeiten und die Kriterien deutlich verschärfen, um Missbrauch zu verhindern. Die Union, vor allem die CSU, pocht auf ausreichende Flexibilität für die Unternehmen. Wie lassen sich die Interessen ausgleichen? Kauder: Die Union akzeptiert das, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist - mehr nicht. Deswegen haben wir die Entwürfe von Frau Nahles noch nicht im Kabinett. Ich kann schon jetzt klar sagen: Der Koalitionsvertrag gilt, was darüber hinaus geht, wird von uns nicht mitgetragen.

VW-Skandal, nachlassende Konjunktur in China, durchwachsende Geschäftsaussichten der Unternehmer: Der gegenwärtige Boom der deutschen Wirtschaft ist relativ labil. Was kann die Politik tun, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stützen?Kauder: Die deutsche Wirtschaft ist robust. Aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Die deutsche Automobilindustrie muss aufpassen, dass sie ihre weltweite Spitzenstellung nicht verliert. Auf dem Gebiet der Elektromobilität muss mehr geschehen. Wir sind in Gesprächen über staatliche Förderungen.

Wie könnte eine staatliche Förderung der E-Mobilität aussehen? Kaufprämien lehnt ja das Verkehrsministerium ab. Kauder: Kaufprämien halte ich für problematisch. Ein Hindernis ist, dass die Leute eine dichtere Infrastruktur vermissen. Keiner kauft sich so ein Auto, wenn das Netz an Ladestellen lückenhaft bleibt. Das zu ändern, könnte eine Aufgabe sein, an der sich der Bund beteiligt.

Bisher hat die Politik viele Wohltaten verteilt. Was kann die Wirtschaft in dieser Legislaturperiode noch erwarten?Kauder: Gegen alle Widerstände haben wir das Versprechen gehalten, dass die Steuern nicht erhöht werden. Das allein war ein zentrales Anliegen der Wirtschaft. Wir haben zudem die Investitionen in Forschung und Infrastruktur erhöht.

Also keine Steuererhöhungen wegen der Flüchtlingskrise oder irgendwelche Sonderabgaben auf Sprit?Kauder: Es gibt keine Steuererhöhungen.

Weiß das die SPD schon?Kauder: Das haben wir ihr schon ein paar Mal gesagt und bisher hat sie auch öffentlich nichts in diese Richtung gefordert.

Interview: Dr. Gerald Schneider