[Frei]stunde!

"Wir brauchten Schutz"


Nevroz Duman (Foto: dpa)

Nevroz Duman (Foto: dpa)

Von Von Funda Erler/dpa

Flucht in ein fremdes Land: Nevroz ist mit 13 Jahren aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Jedes Jahr reisen Zehntausende hierher, um Krieg, Not und Vertreibung zu entkommen. Doch auch in Deutschland haben sie es nicht leicht. Der 30. September macht als Tag des Flüchtlings auf ihre Probleme aufmerksam.
Stell dir vor, du musst all deine Sachen zurücklassen und mit deiner Familie fliehen. Wenn ihr Glück habt, werdet ihr unterwegs nicht getrennt und schafft es, euch gemeinsam in ein fremdes Land zu retten. So erging es Nevroz Duman. Heute ist sie 22 Jahre alt. Vor neun Jahren flüchtete sie mit ihrer Mutter und ihren zwei Geschwistern aus dem Osten der Türkei nach Deutschland. Sie gehört zum Volk der Kurden und wurde deshalb in ihrer Heimat unterdrückt und verfolgt, sagt sie. In der Bundesrepublik nahm man sie und ihre Familie auf - erst einmal in einem Flüchtlingslager im hessischen Gießen.

"Wir brauchten Schutz. Aber es war so schwer am Anfang. Ich konnte kein Wort Deutsch, die Kultur und die Menschen waren mir fremd", erzählt Nevroz. "Und wir durften nicht einmal das Lager ohne Erlaubnis verlassen. Es gibt so viele Verbote für Flüchtlinge", findet sie. Nevroz ist mir ihrer Geschichte kein Einzelfall. Nach Angaben der Organisation ProAsyl, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt, leben einige zehntausend Kinder und Jugendliche als Flüchtlinge in Deutschland, bis zu 6000 sind ohne Familienmitglieder hier. Jeder hat sein eigenes Schicksal. Deshalb sind die Probleme sehr verschieden. Aber manches trifft fast alle hart - zum Beispiel Geldnot.

Der deutsche Staat zahlt Flüchtlingen zwar Unterstützung, damit sie etwas zum Leben haben. Es ist aber viel zu wenig, findet Marei Pelzer von Pro Asyl. "Sie bekommen rund 40 Prozent weniger Geld als Hartz IV-Empfänger", kritisiert sie. Als Grund gilt unter anderem, dass nicht immer mehr Flüchtlinge einen finanziellen Anreiz bekommen sollen, in die Bundesrepublik zu kommen. Für die jugendlichen Flüchtlinge hier bedeutet das aber: Sie und ihre Familien können sich oft nur gerade über Wasser halten, und die Jugendlichen haben oft nicht genug Geld, um in Deutschland das mitzumachen, was für viele andere in ihrem Alter ganz normal ist. Nevroz erinnert sich: "Klassenreisen waren immer zu teuer für uns."

Antrag abgelehnt - trotzdem darf Nevroz bleiben
Gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland stellte Nevroz' Familie bei den Behörden einen Antrag auf Asyl. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Zufluchtsort. Bei uns ist im Grundgesetz, Artikel 16, festgelegt, dass Deutschland Menschen aufnimmt, die Asyl suchen - allerdings nur Menschen, die politisch verfolgt werden. Die in ihrer Heimat also zum Beispiel mit Gefängnis oder gar dem Tod bedroht werden, etwa weil sie ihre Meinung offen sagen, eine bestimmte Religion oder Hautfarbe haben. Hunger oder Armut lassen die Behörden nicht gelten. Dass sie politisch verfolgt sind, müssen Asylbewerber nachweisen können. Und es gibt noch einige andere Regeln.

Im Jahr 2010 stellten nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mehr als 41000 Menschen besser: ihren ersten Asylantrag. Die meisten kamen aus Afghanistan und dem Irak, viele auch aus Serbien und Mazedonien. Rund 7700 Männer, Frauen und Kinder wurden als politische Flüchtlinge anerkannt. Sehr viele andere erfüllten die Voraussetzungen für Asyl nicht. In manchen Fällen dürfen Flüchtlinge trotzdem für eine Weile in Deutschland bleiben, zum Beispiel weil in ihrer Heimat gerade ein Krieg tobt oder aus anderen sogenannten humanitären Gründen - also Gründen der Menschlichkeit.

Auch Nevroz Asylantrag wurde schon vor Jahren abgelehnt. Trotzdem durfte sie erst einmal bleiben, aber nur vorläufig, mit einem rechtlich schwierigen Status: der sogenannten Duldung. "Sieben Jahre lang musste ich damit rechnen, jeden Moment ausgewiesen zu werden, weil ich nur geduldet wurde. Jetzt muss ich alle sechs Monate nachweisen, dass ich Geld verdiene, damit meine Aufenthaltserlaubnis verlängert wird", erklärt Nevroz. Inzwischen hat sie ihren Realschulabschluss und eine Ausbildung gemacht. Und sie macht sich für bessere Bedingungen für Flüchtlinge in Deutschland stark. Auch Politiker haben das Problem erkannt. Einige Bundesländer wollen sich für Verbesserungen beim Aufenthaltsrecht einsetzen.

Nevroz arbeitet für den Hessischen Flüchtlingsrat und in einem Kindergarten. Außerdem ist sie die hessische Landeskoordinatorin von Jugendliche ohne Grenzen, einem bundesweiten Zusammenschluss von jugendlichen Flüchtlingen. "Wir setzen uns dafür ein, dass Flüchtlinge und Einheimische gleichberechtigt sind. Wenn Menschen hier Asyl beantragen dürfen, dann sollten ihnen nicht alle anderen Rechte verwehrt werden", sagt die junge Frau.