Buch-Tipp

„Dunkelgrün fast schwarz“ beschäftigt sich mit Synästhesie

Im Roman „Dunkelgrün fast schwarz“ werden drei ehemalige Kindheitsfreunde, deren Beziehung zueinander toxisch war, von ihrer Vergangenheit eingeholt – und niemand kann mehr unbeschadet davonkommen.


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„Dunkelgrün fast schwarz“ von Mareike Fallwickl, erschienen im Penguin-Verlag.

Moritz sieht eigentlich mehr in Raffael als der in ihm. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Er hat es immer schon an den Farben gesehen, wie so ein Wabern über und um Menschen. Wie eine Buchseite, die für ihn zu lesen und für andere verklebt ist. Manchmal richtet man sich nur nicht nach dem, was man liest, obwohl man es vielleicht sollte.

Darum geht’s: Und dann ist da die Neue in der Schule. Moritz erzählt gleich seiner Mutter von Johanna, einer mysteriösen Fremden, die in ihm eine seltsame Mixtur aus Farben, Formen und Gefühlen auslöst. Und die offene Buchseite scheint kryptisch zu werden, denn „Jo“ wirkt unnahbar – einige würden sagen: kalt. Für Moritz aber nicht, denn der zurückhaltende und sehr sensible Junge ist Synästhetiker. Für ihn wirken Dinge anders, seine Sinne sind verknüpft.

Marie, seine Mutter, ist, was seine Freundschaft zu Raffael angeht, nicht so ganz einfarbig. Denn oft muss sie intervenieren oder tut das auch aus eigenem Gefühl heraus. Als dann Johanna anfängt, eine immer größere Rolle im Leben der beiden Jungs zu spielen, wird sie sich der verstörenden Wirkung des Mädchens auf das eingeschworene Zweierteam Raffael und Moritz bewusst.

Die Reihenfolge, in der die beiden Jungs genannt wurden, ist kein Zufall, denn Raffael ist das Triebwerk, der wilde Hengst, der voranprescht, und Moritz alles andere: der Streitwagen, der nachgezogen wird. Eines davon alleine ergibt keinen Sinn, es strebt gen nichts. „Raf“ und „Motz“ sind nicht voneinander zu lösen, sie ergänzen sich auf fast unheimliche Weise.

Kennengelernt haben sie sich, als Moritz mit seiner Mutter und seiner Schwester in ein Bergdorf im Salzburger Land gezogen ist. Raffael ist ein Draufgänger, aggressiv. Er fühlt sich damit wohl und gibt gerne den Ton an. Raffaels Farben sind explosiv, genug, um Moritz in den Bann zu ziehen. Und die gespannten Seile zwischen Raffael und Moritz, die sie unaufhörlich zusammenhalten, weil sie die Widersprüche sind, die zusammen eine Einheit bilden, werden nun durchdrungen von einer Person, die aus dem Ganzen ein noch toxischeres Dreieck formt: Johanna. Sie ist die Femme fatale: Sie liest beide wie ein Buch. Dann knallt es. Die Explosion: Gerade als die drei Musketiere 17 Jahre alt sind und über Zukünftiges träumen, beginnen sich Situationen und Lebensumstände zu verändern und zu überschlagen. Und aus dem Nichts trennen sich ihre Wege.

Doch die Bande, die sie zusammengehalten haben, scheinen über sechszehn Jahre nicht zu reißen und ziehen sie erneut zusammen an einen Ort. Plötzlich steht Raffael vor Moritz‘ Tür: „Ein Zorn, den man nicht haben darf, der einem von anderen aberkannt wird, ist kühl und blau und halbflüssig, er hat eine Konsistenz wie Pudding, füllt den Kopf aus und das Herz.“ Bei ihrem Zusammentreffen als Erwachsene sehen sie sich plötzlich vor einem offenen Ende einer brutalen Liebesgeschichte. Klar ist nur eins: Ihre Beziehung wird zum Bermudadreieck und offenbart einen bedrohlichen und abgrundtiefen Sog, in dem alle drei bereits viel zu weit hineingezogen wurden, um noch jemals unbeschadet zu entkommen.

In aller Kürze: Raffael und Moritz sind unzertrennlich – und charakterlich absolut gegensätzlich. Deshalb ergänzen sie sich auf fast unheimliche Weise. Als Johanna dazustößt, kommt es zu einer fatalen Dreieckskonstellation.

Fazit: Der Roman „Dunkelgrün fast schwarz“ beschreibt das Leben, wie es echter auf Seiten nicht stehen könnte: unverblümt, brutal, gerissen, liebevoll, erotisch, verletzend – und vor allem: bunt.