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Anika Freier über gefährlichen Egoismus in der Corona-Krise


Zwei Hashtags der Krise: #socialdistancing und #flattenthecurve. Der erste meint, Kontakte zu vermeiden, damit die Infektionskette unterbrochen wird - wie mit den Streichhölzern symbolisiert. Das bewirkt, dass sich die Zahl der Ansteckungen verringert und so die Kurve der Infizierten flacher wird. Fotos: privat, Grafik: Freistunde, Grafik Virus: ccvision.de

Zwei Hashtags der Krise: #socialdistancing und #flattenthecurve. Der erste meint, Kontakte zu vermeiden, damit die Infektionskette unterbrochen wird - wie mit den Streichhölzern symbolisiert. Das bewirkt, dass sich die Zahl der Ansteckungen verringert und so die Kurve der Infizierten flacher wird. Fotos: privat, Grafik: Freistunde, Grafik Virus: ccvision.de

Von Redaktion Freistunde

Wir müssen endlich aufhören, uns nicht als Betroffene zu sehen, weil wir jung sind: Corona geht uns alle an. Eine Meinung von Anika Freier (25) aus Regensburg.

Das erste, warme Frühlingswetter der vergangenen Tage war wohl sowas wie ein Supergau für die Corona-Pandemie. Schlangen an Eisdielen, volle Cafés, Menschengruppen in Biergärten und Parks. Klar, man weiß, dass man die eigenen vier Wände nicht verlassen soll. Aber das Wetter ist schön und was soll's? Wir sind nicht die Risikogruppe, nicht alt oder immungeschwächt. Was macht da schon ein wenig Halsweh, Fieber und Husten? Kein Grund zur Panik. Oder?

Sars-CoV-2 ist ein neuartiges Virus, das unser Immunsystem noch nicht kennt. Im Schnitt steckt ein Infizierter zwei bis drei Menschen an. Da es in absehbarer Zeit weder Impfstoff noch Medikamente geben wird, verbreitet sich das Virus extrem schnell. Übertragen wird es nicht nur durch unbedachtes Husten, auch persönliche Gespräche von mehr als 15 Minuten und Schmierinfektionen, wenn Viren beispielsweise über die Hände an die Schleimhäute von Nase oder Augen gelangen, sind möglich. Wie lange die Viren auf Oberflächen überleben, weiß man derzeit noch nicht genau, geht jedoch von mehreren Stunden aus.

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Zwei Hashtags der Krise: #socialdistancing und #flattenthecurve. Der erste meint, Kontakte zu vermeiden, damit die Infektionskette unterbrochen wird - wie mit den Streichhölzern symbolisiert. Das bewirkt, dass sich die Zahl der Ansteckungen verringert und sodie Kurve der Infizierten flacher wird. Fotos: privat, Grafik: Freistunde, Grafik Virus: ccvision.de

Kontakte möglichst vermeiden

Die Inkubationszeit beträgt 14 Tage, solange kann das Virus unerkannt bleiben - 14 Tage, in denen Betroffene ansteckend sind, ohne es zu merken. Sich auszurechnen, wie viele Menschen in der Zeit infiziert werden, die wiederum Menschen infizieren, ist nicht schwer. Zum Vergleich: Bei der Grippe sind es maximal zwei Tage.

Nun ist das für junge Menschen mit intaktem Immunsystem nicht weiter schlimm. Bisher sind in dieser Gruppe kaum schwere Verläufe bekannt. 80 Prozent der Infektionen verlaufen mit leichten Symptomen, nur etwa 40 Prozent der Betroffenen fühlen sich abgeschlagen, selbst Fieber hat nicht jeder. Wie stark oder schwach diese Symptome auftreten, hat aber keine Auswirkung auf die Ansteckung anderer. Deshalb ist es notwendig, jetzt jeden nicht unbedingt notwendigen Kontakt einzuschränken.

Problematisch ist das für die Menschen, die zur Risikogruppe gehören. Dazu zählen viele Eltern und wohl alle Großeltern: Ab einem Alter von 50 Jahren gilt man als gefährdet, ein schwerer Verlauf mit Krankenhausaufenthalt ist hier deutlich wahrscheinlicher.

Aber einer großen Gruppe von Menschen sieht man nicht an, dass sie auch in die Risikogruppe fallen, Asthmatiker zum Beispiel, Diabetiker und Raucher. Querschnittgelähmte oder Menschen mit Glasknochen, die einen Husten nicht einfach weghusten können, die nicht warten können, bis die Krankheit vorbei ist. Diese Menschen sterben bei einer Infektion ohne adäquate Behandlung. Es sind viele und sie sind nicht pauschal an ihrem Alter zu erkennen.

Wirksam schützen kann man diese Risikogruppe nur dadurch, dass sich das Virus langsam genug ausbreitet, dass die Intensivstationen nicht überfüllt sind, dass es für die Menschen, die ein Beatmungsgerät brauchen, um zu überleben, eines gibt.

Mit den Fallzahlen liegen wir aufgrund der langen Inkubationszeit sozusagen in der Vergangenheit: Mittlerweile dürften weit mehr Menschen infiziert sein als registriert sind, und das bei einer immer größer werdenden Dunkelziffer.

Die Maßnahmen sind notwendig

In Italien lässt sich nachvollziehen, wie weit es kommen kann, wenn sich das Virus zu schnell verbreitet - und die Ausgangssperre gehört dabei nicht zu den gravierenden Problemen. Wollen wir, dass Ärzte auch bei uns statistische Überlebenswahrscheinlichkeiten gegeneinander aufwiegen müssen, um zu entscheiden, wer beatmet werden kann und wer nicht?

Vor dem Hintergrund scheint es fast banal, zu fordern, seine Sozialkontakte auf ein Minimum zu beschränken und nur, wenn es wirklich nötig ist, das Haus zu verlassen, um so zu einer langsamen Ausbreitung beizutragen. Die eingeführten Maßnahmen sind notwendig und kein Ausdruck von Panik oder Hysterie. Es ist notwendig, das öffentliche Leben einzuschränken. Denn gerade jetzt, wo das Wetter schöner wird, sieht man, dass es ohne solche Maßnahmen nicht funktioniert.

Natürlich ist das alles abstrakt: Man sieht das Virus nicht, man merkt im Zweifel gar nicht, dass man krank ist, man will - und das ist verständlich - seine Freiheit nicht einschränken lassen. Aber jeder, der jetzt rausgeht, ohne es zu müssen, der sich in Gruppen aufhält und dazu beiträgt, dass sich das Virus verbreitet, muss damit leben, zu einer Verschärfung der Krise beigetragen zu haben, die zu zahlreichen schweren bis tödlichen Verläufen führen kann. Das Problem ist nicht, dass wir eine Erkältung haben. Das Problem ist, dass Menschen sterben können. Unsere Solidarität sollte so weit reichen, das zu verhindern. Oder?