Zurückgekämpft
Leben mit Depressionen: Einfach nur ein psychisch Kranker?

Emely List
Johannes Dreher litt jahrelang an Depressionen. Heute hat er sich zum Genesungsbegleiter ausbilden lassen, um anderen Menschen in ähnlichen Situationen zu helfen.
Vom psychisch Kranken zum Genesungsbegleiter: auf genau diesem Weg befindet sich Johannes Dreher. Er hat über zehn Jahre mit schweren Depressionen zu kämpfen und lässt dabei fast sein Leben. Doch dann schafft er es dank einer speziellen Therapie zu genesen. Er geht allerdings noch einen Schritt weiter. Er entscheidet sich für die Ausbildung zum Genesungsbegleiter und erklärt, warum dieser Job aktuell immer mehr Aufsehen erregt.
„Ich wurde vom Sonnenschein zum Außenseiter“ erklärt er. Sein Herzensprojekt ist es, Menschen mit derselben Krankheit zu helfen. Dafür hat er sich den Weg des Genesungsbegleiter ausgesucht. Und genau das scheint zu funktionieren.
Johannes Dreher ist 28 Jahre alt und erleidet bereits 2011 ersten Anzeichen von Depressionen. Durch ein sehr kühles Elternhaus und unsichere Familienverhältnisse stürzt er sich immer mehr in die Isolation und hat so die ersten depressiven Episoden. Dadurch kapselt er sich noch mehr ab und sein Krankheitsbild intensiviert sich. Mit dem Start seines Mathematikstudiums in München wird ihm bewusst, dass er etwas an seiner Situation ändern muss und begibt sich in Behandlung. Er durchlebt ein ständiges Auf und Ab, nimmt Unmengen an Medikation zu sich, sein Leben ist geprägt von Arztbesuchen und der ständigen Angst, den Kampf gegen die Krankheit zu verlieren. Er bricht sein Studium ab, fokussiert sich auf die Genesung und wagt einen Neustart in Passau. Auf dem Weg zurück ins Leben machen Johannes Drehers Ärzte ihn dann auf das Berufsbild des Genesungsbegleiters aufmerksam. „Das Konzept ist, dass erfahrene Patienten Betroffene bei der Genesung unterstützen.“ Genau das spricht Dreher an.
Eine solche Ausbildung kann nur von Personen angestrebt werden, die schon einmal eine psychische Krankheit überwunden haben. Denn genau das ist der Knackpunkt des Konzeptes. „Wie fühlt sich das an?“, ist eine der häufigsten Fragen, die Dreher in seinem Alltag mit den Patienten begegnet. Jemand, der das Krankheitsbild einer Depression nur aus Lehrbüchern kennt, kann seinen Patienten zwar gut zureden, wird aber niemals in der Lage sein, ihm diese Frage zu beantworten. Genesungsbeistände füllen diese Lücke. Das gibt den Patienten laut Johannes Dreher ein Gefühl von Sicherheit. „Ja, die Nachfrage ist da!“ Seitdem der Bundesausschuss der Leistungsträger seine Qualitätsempfehlung ausgesprochen hat, nimmt das Projekt immer mehr an Fahrt auf und gewinnt Ansehen. In den letzten zwei bis drei Jahren haben sich laut Dreher einen großen Aufschwung, da immer mehr psychiatrische Einrichtungen, wie das Klinikum Mainkofen, Gefallen an dem Konzept finden.
Die Ausbildung dauert ein Jahr und hat praktische und theoretische Komponenten. Themen wie Selbstfürsorge und Abgrenzung werden in Seminaren thematisiert, um die Genesungsbegleitenden vor einem Rückfall zu bewahren. „Wenn dich dann jemand fragt, worauf er seine Hoffnung noch bauen soll, dann beschäftigt einen das schon.“ Laut Johannes ist der schmale Grat zwischen Empathie und Distanz ein Balanceakt. Genau diesen Mittelweg sollen die angehenden Genesungsbegleitungen in zwei Pflichtpraktika erlernen. Dreher wird sein zweites Praktikum im Klinikum Mainkofen bei Herrn Doktor Kornacher absolvieren. Auch er hält das Prinzip der Genesungsbegleitung für sehr sinnvoll. „Sie können aus einer zusätzlichen Perspektive hilfreich auf die Person einwirken“. Er erklärt, dass angehende Genesungsbegleitungen im Praktikum meist zur Visite oder zu bestimmten Behandlungen mitgenommen werden. So könne sie sich den Berufsalltag am besten vorstellen und werden gleichzeitig auf Strapazierfähigkeit getestet.
Laut Dreher kann man gespannt auf die Wende im Gesundheitswesen sein, da das Projekt Genesungsbegleitung sowohl bei Patienten, als auch bei Behandelnden gut ankommt. Auch Doktor Kornacher blickt dieser Entwicklung freudig entgegen, obwohl er selbst in noch keine Erfahrung mit Genesungsbegleitung im Einsatz in Mainkofen machen konnte. „Ich denke, das ließe sich gut etablieren.“
Dreher kann mit seiner Arbeit schon Erfolge verzeichnen und beweist somit, dass das Konzept funktioniert. Er kann eine Frau so weit beruhigen und ihr gut zureden, dass sie eine Therapie in Betracht zieht, die ihr zuvor riesige Angst machte. „Ich konnte es ihr erklären, weil ich es auch erlebt habe.“ Die Patientin des Klinikums Mainkofen entscheidet sich für die Therapie und kann so den Weg bis zu ihrer Genesung weiter ebnen. Dieses Erfolgserlebnis zeigt Dreher, dass die Genesungsbegleitung eine Instanz mit Zukunft ist.








