Bayern blickt nach Japan

Wo Züge pünktlich sind: Bernreiter auf Ideensuche in Japan

Bayerns Bau- und Verkehrsminister Christian Bernreiter kommt am Samstag von einer fünftägigen Delegationsreise nach Japan zurück. Mit im Gepäck: Ideen für schnellere Züge und günstiges Wohnen.

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Bayerns Bau- und Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) nutzt die Delegationsreise nach Japan auch für einen kurzen Blick auf die Sehenswürdigkeiten.

Bayerns Bau- und Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) nutzt die Delegationsreise nach Japan auch für einen kurzen Blick auf die Sehenswürdigkeiten.

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Ganze 1,6 Minuten pro Zug - das war im vergangenen Jahr die durchschnittliche Verspätung auf der Shinkansen-Hochgeschwindigkeitstrecke zwischen Tokio und Osaka - Japans beiden größten Ballungsräumen. Doch auf der Tafel im Eisenbahnmuseum von Nagoya, dem drittgrößten städtischen Zentrum des Landes, steht noch die Zahl von 2019: 0,2 Minuten.

„Das haben wir noch nicht korrigiert“, entschuldigt sich Museumsdirektor Hitoshi Okabe. „Das tut mir leid.“ Der Museumsbesuch am Mittwoch ist nicht die einzige Gelegenheit auf seiner fünftägigen Delegationsreise nach Japan, bei der Bayerns Bau- und Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) erfährt, wie groß der Stolz der Japaner auf ihre Eisenbahn ist, welchen Wert sie auf Genauigkeit legen - und wie sehr sich das Schienensystem vom deutschen unterscheidet.

Nur einen Tag und eine Shinkansen-Fahrt später ist Bernreiter wieder zu Gast in einem Eisenbahnmuseum, diesmal in Saitama, einer Stadt im Ballungsraum Tokio, die allein 1,4 Millionen Einwohner hat. Direktor Toru Ishida zeigt auf einen doppelstöckigen Shinkansen-Zug: „Der kann nur 240 Stundenkilometer fahren. Das ist zu langsam, den können wir nicht mehr verwenden.“

Japan zeigt, wie Bahn geht

So richtig kann man das Eisenbahnsystem in Japan nicht mit dem in Deutschland vergleichen - das ist auch Bernreiter klar. Und das liegt nicht nur daran, dass die Shinkansen-Züge auf eigenen Gleisen fahren, die sie sich weder mit dem Regionalverkehr noch mit Güterzügen teilen müssen.

„Die Betreiber hier sind in ihren Regionen jeweils Monopolisten, denen sowohl die Infrastruktur als auch die Züge gehören“, erklärt Bernreiter im Gespräch mit unserer Redaktion. Staatliche Zuschüsse bekommen sie nicht. Sie profitieren von den vielen Fahrgästen in den Großräumen Tokio, Osaka und Nagoya, wo zusammen bereits 66 der 123 Millionen Japaner leben.

„Bei uns sind weite Teile des Landes ländlicher Raum“, sagt Bernreiter. „Da wird das ein Zuschussgeschäft bleiben, weil sich sonst die öffentliche Mobilität im Vergleich zur individuellen nicht rechnet.“

Trotzdem habe Bernreiter „großen Optimismus, dass das bei uns durch das Sondervermögen in einem Jahrzehnt auch anders aussieht als heute“.

Nicht ganz so viel Optimismus verbreitet Markus Fritz, der als Vizepräsident des Zugherstellers Hitachi Rail für das Deutschland-Geschäft zuständig ist und den Bernreiter am Freitag in Tokio trifft. „Wir haben jeden Tag andere Prioritäten“, klagt er über die deutsche Bahnpolitik.

Das zeige sich zum Beispiel bei der Umrüstung der Zugflotten auf das einheitliche europäische Zugkontrollsystem ETCS. Das Eisenbahn-Bundesamt bestehe darauf, das System für jeden Zug einzeln zuzulassen. „Das ist kompletter Wahnsinn“, sagt Fritz.

Und auch die Generalsanierung der Hauptstrecken in Deutschland läuft laut Fritz längst nicht so, wie man sich das wünschen würde. Bei der Sanierung zwischen Berlin und Hamburg sei die Planung noch nicht einmal abgeschlossen gewesen, als die Strecke gesperrt wurde.

Auch Ostbayern ist laut Fritz betroffen. Bei der Strecke zwischen Obertraubling (Kreis Regensburg) und Passau, die im zweiten Halbjahr 2026 saniert wird, müsse man in ein abgespecktes Konzept gehen - auch dort ist noch nicht alles durchgeplant. Eine Nachricht, die bei Bernreiter nicht für Begeisterung sorgt.

Technik aus Bayern trifft auf japanische Effizienz

Auch Hitachis Konkurrent Siemens Mobility ist in Bernreiters Delegation vertreten - in Person des Finanzchefs Karl Blaim, der aus dem Landkreis Straubing-Bogen stammt. „Wir können viel gewinnen, wenn wir stärker in präventive Wartung investieren - in Japan wird das bereits sehr erfolgreich praktiziert“, fordert er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Auch technische Innovationen könne man in Deutschland gezielter einsetzen, um das Eisenbahnsystem besser zu machen, sagt Blaim. „Schon heute wäre es möglich, mehr Kapazität auf die Schiene zu bringen - etwa durch eine bessere Abstimmung von Personen- und Güterverkehr.“ Siemens Mobility habe „Technologien, mit denen wir die Signaltechnik in die Cloud bringen und Bahnen automatisiert fahren lassen. Das kann bis zu 30 Prozent Energie einsparen und die Pünktlichkeit deutlich erhöhen.“

Auch „ein wenig mehr Wettbewerb auf der Schiene“ fände Blaim hilfreich. Der ebenfalls mitreisende Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Bayern, Heiko Büttner, sieht das naturgemäß anders. Die „Überlegenheit des japanischen Bahnsystems“ liegt für ihn an etwas ganz anderem: „Die Kollegen in Japan haben ein voll integriertes System. Betrieb und Infrastruktur liegen in einer Hand.“

Die Entscheidungswege seien so viel kürzer, sagt Büttner. Das mache sich etwa auch bei Wetterextremen wie dem Schneechaos im Großraum München im Dezember 2023 bemerkbar. Darüber spricht Büttner am Freitag mit japanischen Kollegen in der Konzernzentrale des Bahnbetreibers JR East. „Die japanischen Kollegen sind bei der Prävention und Prognose einen Schritt weiter. Insofern macht es Sinn, sich darüber mit ihnen auszutauschen und zu lernen.“

Bezahlbarer Wohnraum durch clevere Gestaltung

Auch beim Thema Wohnungsbau läuft in Japan einiges anders als im Freistaat. Das zeigt sich am Donnerstag bei der Urban Renaissance Agency in Saitama, einer nachgeordneten Behörde des Infrastrukturministeriums, die bezahlbaren Wohnraum plant, baut und verwaltet. Ähnlich wie in Bayern sind in Japan viele Wohnungen in den 1960er- und 1970er-Jahren gebaut worden - und mittlerweile schwer in die Jahre gekommen.

In Saitama informiert sich Christian Bernreiter über Wohnraumsanierung.

In Saitama informiert sich Christian Bernreiter über Wohnraumsanierung.

Auf dem Gelände der Agency ist zu Demonstrations- und Schulungszwecken ein typischer Wohnblock aus dieser Zeit nachgebaut. Bayerns Bauminister Bernreiter muss aufpassen, dass er sich nicht den Kopf anstößt, als er durch die unrenovierte Wohnung im Erdgeschoss geht. Sie ist nicht nur klein und dunkel, sondern auch spartanisch eingerichtet. Im Bad steht statt Badewanne oder Dusche nur ein Zuber aus Holz. Eine Waschmaschine gibt es nicht - und bis auf die Küchenzeile, einen Stuhl und einen niedrigen Tisch im Wohnzimmer auch praktisch keine Einrichtung.

Auf dem gleichen Grundriss im ersten Stock ändert sich das Bild: Helle Parkettböden lassen den Raum viel luftiger wirken. Statt der traditionellen Schiebetüren dient zwischen Wohn- und Schlafzimmer jetzt ein Regal aus hellem Holz als Raumteiler. Der Trick daran: Auch dieses Regal lässt sich verschieben und zusätzlich auch noch umklappen - je nach Bedarf.

„Die Wohnungsbaugesellschaften hier wollen ihre Wohnungen sanieren“, sagt Bernreiter. „Das machen sie natürlich seriell. Darin liegt die Zukunft. Da kann man Kostenpotenziale heben und das zügig umsetzen“, so der Minister.

„Wir haben viel guten Input bekommen“, sagt auch Kristina Frank, Geschäftsführerin der Baunova - der Dachgesellschaft der staatlichen Wohnungsbauunternehmen in Bayern. „Standardisierung kann einen großen Effekt auf den Preis haben, trotzdem kann man auch so Wohnungen sehr ansprechend gestalten. Auch kleine Wohnungen können lebenswert sein, wenn sie multifunktional gestaltet sind“, sagt Frank.

Bayerischer Abend in Tokio - mit royaler Pointe

„Ich denke, da können wir von Japan lernen“, stellt Lydia Haack fest. Die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer ist ebenfalls mitgereist. „Bei uns will man immer noch das Maximum an Wohnfläche. Es muss aber gar nicht um die Fläche allein gehen, sondern um die Qualität. Je kleiner der Raum ist, desto wichtiger ist es, auf die Gestaltung der Oberflächen und der Materialien zu achten.“

In Tokio erlebt Christian Bernreiter, wie Japans Minister Minoru Kiuchi beim bayerischen Abend das Bier anschlägt.

In Tokio erlebt Christian Bernreiter, wie Japans Minister Minoru Kiuchi beim bayerischen Abend das Bier anschlägt.

Ähnlich sieht das auch Hans Maier, Vorstand des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen. „In Japan versucht man, dafür industrielle Lösungen zu finden, die sich die Menschen auch noch leisten können“, sagt er. „Das hat mir am meisten imponiert. Auch wir müssen aufpassen, dass die Menschen nach der Modernisierung ihrer Wohnung nicht zu viel Geld dafür ausgeben müssen.“

Und auch in puncto Bürokratie könnte Bayern von Japan lernen, wenn es nach Baunova-Chefin Frank geht. „Hier in Japan können Baugenehmigungen offensichtlich durch Private vorgeprüft werden, sodass die Stadtverwaltungen deutlich entlastet werden. Da gibt es so eine Art TÜV-Stempel auf die Baugenehmigung, sodass das Prozedere bei der Verwaltung nur noch sehr kurz dauert und ein Bauantrag binnen 14 Tagen verbeschieden sein muss. Das ist die eine oder andere Überlegung wert.“

Noch schneller ist der japanische Minister Minoru Kiuchi - wenn es darum geht, ein Fass bayerisches Bier anzuzapfen. Nur einen Schlag braucht er am bayerischen Abend in der Residenz der deutschen Botschafterin in Tokio.

Der frühere Diplomat hat in Augsburg studiert, spricht perfekt Deutsch und weiß, wie er sein Publikum zum Lachen bringt. Zum Beispiel, wenn er sagt, dass er sich darüber freut, wen er bei seinem letzten Besuch im Freistaat kennenlernen durfte: „den Kaiser von Bayern, Markus Söder“.

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