Nur ein Hobby

Ohne Strom und Wasser: Das Leben eines Trappers im Kreis Passau

Uwe Enault ist Hobbyist in Pullman City. Er lebt wie ein Trapper im Amerika des 18. Jahrhunderts. Ohne Strom und fließendes Wasser, in selbstgenähter Kleidung – und stets begleitet von seiner treuen Hündin Mila.

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Ein kleiner Teil einer großen Leidenschaft: Jeden Tag feilt, leimt und schnitzt Uwe an seinen Flöten indianischer Art.

Ein kleiner Teil einer großen Leidenschaft: Jeden Tag feilt, leimt und schnitzt Uwe an seinen Flöten indianischer Art.

Von Vincenz Gneuß

Eine matschige Straße führt vorbei an Saloons und dem Town Office hinauf zu den Ställen. Der Ort wirkt wie eine Kulisse aus einem Westernfilm – wenn da nicht die Harley-Fahrer mit ihren Motorrädern wären. Sie sind für ein Harley-Treffen in Pullman City, der Westernstadt in Eging am See im Kreis Passau. Ein Mensch passt dafür perfekt in die Szenerie: Er ist klein, mit einem grauen Rauschebart und langen, grauen Haaren, die unter seinem Hut hervorspitzen. Er trägt einen beigen Wildledermantel, eine dunkelbraune Lederhose und Lederstiefel. An der Leine führt er seine Hündin Mila: Uwe Enault, in Pullman City besser bekannt als Kwee-Tshii, ist 59 Jahre alt und Authentiker. Sein Outfit ist kein Kostüm aus einem Verleih, sondern handgemacht und Teil seines Hobbys – „Living History“. Auf seinem Weg grüßt er Bekannte. Andere filmen ihn. Enault stört das nicht. Er geht weiter die Main Street entlang, hinunter in den Authentikbereich.

Ein Leben nah an der Realität

Dort gibt es 30 sogenannte Claims, also Grundstücke, mit Blockhütten, die von Authentikern bewohnt werden. 90 Euro zahlen sie im Monat dafür Pacht. Aktuell leben etwa 60 Hobbyisten hier als zumeist fiktive Persönlichkeiten aus dem Amerika des 18. und 19. Jahrhunderts. Kwee-Tshii ist ein Trapper aus der Zeit um 1780, der im Mohawk Tal beim Stamm der Irokesen lebt. Sein Claim befindet sich am Ende des Authentikbereichs. Neben einer Blockhütte gibt es eine historische Schmiede, eine Feuerstelle und ein Zelt. Erbaut hat alles sein Vorbesitzer. Seit sechs Jahren ist der 59-Jährige nun dort und bewohnt ihn mit seiner Hündin Mila. Wegen ihr verbringt er gerade mehrere Wochen am Stück hier, sie soll sich an den Trubel in der Westernstadt gewöhnen. Dass man so viel Zeit in Pullman City verbringt, ist nicht üblich, sagt Uwe. „Viele Menschen denken, wir sind irgendwelche Aussteiger. Aber vor allem ist das ein Hobby und wir haben auch noch ein normales Leben.“

Übers Mittelalter, nach Skandinavien und über den großen Teich

Und in dem ist Uwe Enault freiberuflicher Tätowierer. Wegen gesundheitlicher Probleme kann er seinen Beruf aktuell aber nicht ausüben. Wenn er nicht in Pullman City ist, dann lebt Uwe in einer Wohnung bei Rosenheim. Ursprünglich kommt er aus Nordrhein-Westfalen, sein Beruf hat ihn aber schon bis nach Hawaii und auf die Hamburger Reeperbahn gebracht. Über das Bogenschießen kam er vor 30 Jahren zu „Living History“ – Mittelaltermärkte waren ihm bald zu wenig authentisch. Stattdessen schloss er sich einer Wikingergruppe an, die er heute noch leitet. Durch Zufall kam er schließlich in die Westernstadt – der Aufwand ist hier geringer, die Leidenschaft dieselbe.

Der Claim – ein Haufen Arbeit

In der Hütte: ein Tisch, ein Ofen, ein Bett und etwas Stauraum. Es ist dunkel, riecht nach Holz und Tierfell. Auf der Terrasse steht ein Tisch voller Werkzeug, daneben eine Kochecke. Uwe Enault setzt sich an den Tisch und greift nach zwei Stücken Holz. Daraus soll eine Flöte indianischer Art werden. Zu tun gebe es genug, sagt er. Der Claim muss gepflegt, Kleidung genäht, Essen gekocht werden – alles weitestgehend ohne Technik. „Wenn man allein in Pullman ist, wird einem schnell bewusst, wie schwer es ist, ohne Technik zu überleben“, erklärt Uwe. Für den Kaffee zum Frühstück muss man zuerst Holz hacken, um dann Feuer und Kaffee machen zu können. Der Authentiker findet: „Man lernt bewusster zu leben.“

Kaum auf der Mainstreet, schon gestoppt: Uwe (rechts) und Manuela (Mitte) müssen auf ihrem Spaziergang immer wieder für Fotos von Besuchern stehen bleiben.

Kaum auf der Mainstreet, schon gestoppt: Uwe (rechts) und Manuela (Mitte) müssen auf ihrem Spaziergang immer wieder für Fotos von Besuchern stehen bleiben.

Die Gemeinschaft zählt

Apropos Kaffee – dafür geht er meistens zu seiner Nachbarin Manuela. „Der Kaffee bei ihr ist günstiger – weil ich ihn nicht selbst kaufen muss“, sagt Enault mit einem Augenzwinkern. Manuela ist in Pullman City Ankusch-Anil vom Stamm der Lenni Lenape. Zusammen unterhalten sie sich über Gott und die Welt. Hin und wieder greift Uwe zu einer seiner Flöten, die auch hier auf dem Tisch liegen. Er spielt, unterbricht frustriert – doch am Ende klappt es, die Freude spiegelt sich in seinem Gesicht wider. Manuela ist berufstätig, deshalb verbringt sie nur die Wochenenden und ihre Urlaube in Pullman City. Vor allem einen Punkt hebt sie dabei hervor: „Die Gemeinschaft ist schon viel wert. Manche Leute kennt man seit gut 20 Jahren. Da sind enge Freundschaften entstanden.“ Für sie gibt es nichts Schöneres, als im Winter, bei schneebedeckter Landschaft, zusammen in einer der Hütten zu sitzen; das Feuer knistert und man führt Gespräche oder singt zusammen.

Besucherkontakt vor der eigenen Haustür

„Neugierige Besucher sind der Grund, warum ich das gerne mache“, sagt Manuela. In Kontakt mit den Besuchern kommen die Authentiker vor der eigenen Haustür, schließlich ist der Authentikbereich während der Öffnungszeiten frei zugänglich. Manche Hobbyisten bieten Führungen oder Lagerfeuer für Kinder an – alles freiwillig. Uwe Enault sieht darin auch einen Nutzen für sich: „Wenn ich das mache, helfe ich Pullman und die erhalten mir meinen Spielplatz.“

Kein Rückzug, sondern ein Rückzugsort

Beide betonen immer wieder, dass ihr Hobby keine Flucht vor der Realität ist. „Flüchten tu ich vor irgendwas, womit ich nicht klarkomme. Aber wir stehen mit beiden Beinen im Leben. Wenn es mir im Alltag zu viel Trubel wird, habe ich hier meinen Rückzugsort“, sagt Uwe Enault. Manuela bezeichnet den Authentikbereich als Zuhause, aber anders. Am Nachmittag gehen sie eine Runde mit den Hunden und treffen sich mit Freunden – beim Kiosk am Goldwaschteich. Dort sitzen sie zusammen auf der Veranda, trinken Bier oder Eistee und unterhalten sich über das alltägliche Treiben in Pullman City.

Vincenz Gneuß studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Sein Beitrag ist in einer Lehrredaktion entstanden, die in dem Studiengang integriert ist. Die Lehrredaktion wird von Redakteuren unserer Mediengruppe betreut.

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