Nach Landtagsbeschluss

Ordnungsgelder und mehr: Wie Bayerns Kommunen jetzt die Zügel anziehen dürfen

Bis zu 1.000 Euro Ordnungsgeld für störende Gemeinderäte, Nein zu Veranstaltungen bei Antisemitismus-Gefahr: Bayerns Städte und Gemeinden bekommen mehr Macht - aber womöglich auch neue Probleme.

Wer als Gemeinderat bei Sitzungen stört, könnte künftig tief in die Tasche greifen müssen. (Symbolbild)

Wer als Gemeinderat bei Sitzungen stört, könnte künftig tief in die Tasche greifen müssen. (Symbolbild)

Von dpa

Die Zustimmung im Landtag war breit wie selten: Mit überwältigender Mehrheit haben nicht nur CSU und Freie Wähler, sondern auch Grüne und SPD im Landtag neue Befugnisse für Bayerns Städte und Gemeinden geschaffen. Bis zu 1.000 Euro Ordnungsgeld für Pöbler im Gemeinderat, keine städtischen Räume für Veranstaltungen bei Antisemitismus-Gefahr - Kommunen dürfen künftig härter durchgreifen. Was bedeutet das für Bayerns Rathäuser? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Zunächst müssen die betroffenen Gemeinde- und Stadträte mehrheitlich dafür stimmen, solche Sanktionen einzuführen. Denn für Ordnungsgelder müssen sie ihre Geschäftsordnung ändern. Die Änderung gilt also nicht automatisch in allen Rathäusern Bayerns.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält die Gesetzesänderung für «zwingend nötig». (Archivbild)

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält die Gesetzesänderung für «zwingend nötig». (Archivbild)

Bürgermeister entscheidet über Ordnungsgelder

Nach der Kommunalwahl am 8. März 2026 beschließen die neu zusammengesetzten Gremien aber ohnehin Geschäftsordnungen, also die selbst gegebenen Regeln für ihre Arbeit. Dabei dürfte diese Option ein Thema werden. Die Gesetzesänderungen selbst treten schon zum 1. Januar 2026 in Kraft.

Wird die Möglichkeit für Ordnungsgelder geschaffen, entscheidet laut Gesetzentwurf zunächst der Vorsitzende des Gremiums - im Rathaus also Bürgermeisterin oder Bürgermeister - darüber, ob ein Gemeinderat oder eine Gemeinderätin zahlen muss. Voraussetzung ist, dass die Kommunalpolitiker bei einer Sitzung „die Ordnung erheblich stören“. Der Gemeinderat muss dem Ordnungsgeld ebenfalls mehrheitlich zustimmen. Diese Regeln gelten laut bayerischem Innenministerium auch für Kreistage und Bezirkstage.

Bisher drohten Störern laut Innenministerium entweder informelle Maßnahmen wie Ordnungsrufe und Ermahnungen oder aber gleich der Ausschluss von einer oder mehreren Sitzungen. Ein Sprecher des bayerischen Städtetags sagte, Ordnungsgelder würden in der Praxis voraussichtlich erst nach mehreren Ordnungsrufen verhängt.

Bis zu 1.000 Euro für Wiederholungstäter

Das entscheiden die Vorsitzenden der betreffenden Gremien basierend auf der jeweiligen Geschäftsordnung. Eine Mehrheit des Gremiums muss dem zustimmen. Bei einem ersten Verstoß in diesem Bereich können nach der Gesetzesänderung bis zu 500 Euro fällig werden, bei Wiederholungstätern und Wiederholungstäterinnen sogar bis zu 1.000 Euro Ordnungsgeld.

Das ist weniger als für pöbelnde Landtagsabgeordnete: Dort müssen Wiederholungstäter bis zu 4.000 Euro zahlen. Die Entscheidung, ob ein Ordnungsgeld fällig wird, fällt im Landesparlament das Landtagspräsidium.

Städte und Gemeinden können künftig verhindern, dass ihre Räume für Veranstaltungen genutzt werden, „bei denen Inhalte, die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen oder rechtfertigen, oder antisemitische Inhalte zu erwarten sind“, heißt es im vom Landtag beschlossenen Entwurf für die Gemeindeordnung.

Kommunen erwarten „klare Hinweise“

In welchen Fällen solche Inhalte regelmäßig zu erwarten sind, wird nicht im Entwurf erwähnt und dürfte stark vom jeweiligen Einzelfall abhängen. Eine Sprecherin des bayerischen Gemeindetags sagte, die Kommunen erwarteten vom Innenministerium deshalb „klare Hinweise, wann tatsächlich eine Veranstaltung untersagt werden kann“. Aktuell gebe es noch „erhebliche Vollzugsfragen“.

Wie bisher entscheiden im jeweiligen Einzelfall die zuständigen Stellen in den Rathäusern und Landratsämtern darüber, ob jemand öffentliche Räume der Kommunen für seine Veranstaltungen nutzen darf. Bisher hatten laut Gemeindeordnung grundsätzlich alle Gemeindeangehörigen „nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften“ einen Anspruch darauf, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Gemeinde- und Stadträte konnten die Nutzung aber auch per Satzungsbeschluss beschränken, zum Beispiel um politische Veranstaltungen generell in Räumen der Kommunen zu verhindern.

Mit dem Ordnungsgeld will die Staatsregierung mehr Möglichkeiten schaffen, um Kommunalpolitiker, die Sitzungen und damit das Funktionieren von Gemeinderäten und Stadträten stören, zu bestrafen. Bisher seien diese Möglichkeiten „nicht ausreichend differenziert“ gewesen, heißt es als Begründung vom bayerischen Innenministerium.

Kampf gegen Antisemitismus wichtiger Aspekt

Was die Nutzung öffentlicher Räume angeht, begründet das Innenministerium die Regeländerung mit dem Kampf gegen zunehmenden Antisemitismus. Vor allem nach dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 sei Antisemitismus „zu einem akuten gesellschaftlichen Konfliktfeld und damit auch zu einem erheblichen politischen und gesellschaftlichen Problem geworden“. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, die Gesetzesänderung sei zum Schutz jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger „zwingend nötig“ gewesen.

Das ist nicht auszuschließen. Sowohl gegen Ordnungsgelder als auch gegen die Verweigerung öffentlicher Räume für Veranstaltungen kann vor den Verwaltungsgerichten geklagt werden. Auch eine Verfassungsklage gegen die Änderungen in der Gemeindeordnung wäre möglich.

Tristan Barczak, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Passau, sagte, Ordnungsgelder für Kommunalpolitiker seien in anderen Ländern „durchaus üblich und verfassungsrechtlich unproblematisch“. Aber: „Der Ermessensspielraum bei der Festsetzung des Ordnungsgelds muss natürlich im Einzelfall verfassungsgemäß, insbesondere verhältnismäßig, genutzt werden.“

Mit Blick auf die Möglichkeit, Veranstaltungen in öffentlichen Räumen zu verhindern, sieht Barczak deutlich mehr Raum für Konflikte: „Die Regelung wird mit Sicherheit gerichtlich überprüft werden.“ Eine Untersagung wegen der Gefahr von Inhalten, die die NS-Herrschaft billigen, verherrlichen oder rechtfertigen, lasse sich zwar „womöglich rechtfertigen“. Die Regel dürfe aber „nicht dazu genutzt werden, vermeintlich oder tatsächlich rechtsextremistische Parteien zu bekämpfen“, sagte Barczak. „Das ist nicht Aufgabe der Kommunen, sondern allein Sache des Bundesverfassungsgerichts.“

AfD nicht begeistert

Problematisch sei die Lage auch bei der zweiten möglichen Begründung für eine Verweigerung von Veranstaltungsräumen: „Was Antisemitismus ist, ist dagegen in der deutschen Rechtsordnung an keiner Stelle definiert. Ob die Gesetzesänderung den Anforderungen rechtsstaatlicher Bestimmtheit genügt, erscheint insofern sehr zweifelhaft“, sagte Barczak. „Sie darf jedenfalls auch in dieser Hinsicht keine Öffnungsklausel sein, dass Gemeinden künftig selbst entscheiden können, was Antisemitismus ist.“

Die AfD im bayerischen Landtag, die derzeit den einzigen Abgeordneten stellt, der im Parlament schon mit einem Ordnungsgeld belegt wurde, machte aus ihrer Bewertung der neuen Möglichkeiten vor dem Beschluss keinen Hehl: Landtagsabgeordneter Florian Köhler bezeichnete den Gesetzesentwurf als verfassungswidrig und warnte vor Willkür. Die Ordnungsgelder nannte er einen „Maulkorb für Ehrenamtliche“. Die AfD-Fraktion stimmte geschlossen dagegen.

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