Rechtsextreme
Björn Höcke schwört die AfD in der Region aufs Regieren ein

Simona Cukerman
Messias für die drinnen, Gottseibeiuns für die draußen: Björn Höcke spricht in Reisbach.
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Im Video erzählen Simona Cukerman und Christoph Urban aus der Seite 3- und Online-Redaktion idowa, wie die Geschichte hinter diesem Türchen entstanden ist.
„Sind Sie für oder gegen die AfD?“, fragt ein Polizist Autofahrer an der Ortseinfahrt von Reisbach am Freitag. Dort, im Landkreis Dingolfing-Landau, soll später am Abend „der Leibhaftige“ sprechen - so zumindest ruft ihn die AfD im Gasthaus Neumeier hämisch selbst auf die Bühne.
400 AfD-Anhänger werden ihn feiern, fast genauso viele protestieren draußen gegen ihn und die Partei. Die Polizei trennt beide Lager schon bei der Einfahrt in den Ort, aus Sicherheitsgründen.
Björn Höcke, der Rechtsextreme, Messias für die einen, brauner Teufel für die anderen. Was macht der hier? So genau ist nicht zu erfahren, warum der Chef der Thüringer AfD und Mitgründer des inzwischen aufgelösten „Flügels“, einer völkisch-nationalistischen Bewegung innerhalb der AfD, am Freitag in Reisbach und Samstag in Neutraubling (Kreis Regensburg) zu Besuch war. „Einfach so“, sagt Reisbachs AfD-Chef Lars Pohl. „Man besucht sich unter Freunden“, meint Katrin Ebner-Steiner, Höckes Statthalterin in Bayern und Fraktionsvorsitzende im Landtag.
Vermutlich dürfte der Besuch aber auch mit der anstehenden Kommunalwahl im März 2026 in Bayern zu tun haben. Gut 290.000 Menschen in Ostbayern gaben der AfD schon bei der Bundestagswahl ihre Zweitstimme. Im Schnitt kam sie in Wahlkreisen unserer Region auf rund 25 Prozent, in manchen Orten wählt jeder Dritte blau. Hier ist die „Herzkammer der bayerischen AfD“, so Katrin Ebner-Steiner - und hier will die Partei in zehn Monaten auch in die Gemeinderäte und Bürgermeisterbüros.
„Wahnsinn, wie man schon redet, wie das spaltet“
Während am Freitagabend nach und nach AfD-Anhänger eintrudeln, schwenken rund 250 Gegendemonstranten Regenbogen- und Antifa-Fahnen, skandieren Parolen und pfeifen die AfDler aus. 29 Prozent hat die Partei hier geholt.
Weiter hinten im Pulk drücken sich drei Frauen ans Protest-Gitter. Sie ist aus der Gemeinde, sagt die mittlere der drei, heute zum ersten Mal auf einer politischen Veranstaltung. Weil sie an ihre Enkelkinder denke. „Wenn die mal fragen, wo wir damals waren.“ Dann will sie eine gute Antwort geben können. Ihre Freundin neben ihr sagt: „Weil man an so einem Tag nicht auf der Couch sitzen darf als Christ.“
Sie hält ein Plakat, auf dem steht: „Wir wollen kein viertes Reich.“ Der Reisbacher Pfarrer, sagt die dritte im Bunde, habe vorher in der Maiandacht auf die Veranstaltung hier hingewiesen. Nicht direkt gesagt, dass sie protestieren sollen. Aber doch hingewiesen. Steht er nicht eh da vorne? Die Frauen recken die Hälse.
„Ich fühl’ mich hier herin auch nicht wohl“, sagt die Frau mit dem Plakat gegen das vierte Reich plötzlich über ihren Platz im Anti-Block. Vorne, wo Besucher der AfD-Veranstaltung vorbeigehen, skandieren geübte Protestler mit Masken vermummt: „AfD, Faschistenpack, wir haben euch zum Kotzen satt“ - „Schämt euch!“ - „Nieder mit der Nazi-Pest!“. Die Frau hält ihr Plakat etwas verschämt vor dem Körper - eine Stange zum Hochhalten habe sie gar nicht erst drangemacht. „Da kommen schon Sprüche, wo du dir denkst ...“, sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch. Ihre Freundin pflichtet ihr bei: „Wahnsinn, wie man schon redet, wie das spaltet.“ Aber, sagen die drei, „wir können ja nicht noch einen dritten Haufen aufmachen, wir Hausfrauen“. AfD-Besucher geben sich beim Vorbeigehen ungerührt, manche zeigen feixend einen Daumen hoch oder formen höhnisch ein Herz mit den Händen. Im Gasthaus dringen die „Alerta, Alerta!“-Rufe nur dumpf durch die heruntergelassenen Rollläden. Auf beiden Seiten ist man sich sicher: Die da drüben, das sind die Faschisten.
„Freunde, wir werden dieses Land regieren“
Drinnen bestellen sich Gäste Currywurst oder Schnitzel, trinken Krieger-Bräu, an den Balken an der Decke Deutschland- und AfD-Banner, dazwischen gusseiserne Kronleuchter, die Wände holzvertäfelt.
Ein Blick auf die Besucher zeigt: Die AfD ist hier mehr Bewegung als nur Partei. Männer tragen AfD-blaue T-Shirts, Frauen haben sich die Nägel in diesem Ton lackiert. Einige tragen sogar Sneaker in den Farben der Partei: Weiß, Rot, Blau.
Draußen beim Rauchen steht ein 24-Jähriger, angereist aus Weiden. Er sagt, er fühle sich hier „endlich mal verstanden“. Dass Strom und Lebensmittel immer teurer würden, das beschäftige ihn. Die AfD spreche diese Dinge an. „Zum Teil ist das, was Höcke sagt, schon wahr“, sagt er, schaut weg. Was genau er meint, kann er nicht erklären.
Eine Frau, 59, sagt, früher habe sie nie gewählt. Heuer zum ersten Mal - und gleich die AfD. Sie sagt, sie habe nichts gegen Hilfe für Bedürftige - „aber wie soll das alles gut gehen? Wie sollen meine Enkel sich hier noch ein Leben aufbauen?“ Dass „die einen alles geschenkt bekommen“ und „wir dafür arbeiten müssen“, das sei nicht fair. „Und wenn man eine andere Meinung hat, ist man gleich ein Nazi.“ Um kurz nach acht ist die Spannung im Gasthaus auf dem Höhepunkt. MdL Dieter Arnold heizt den Saal mit einigen „Wollt ihr ...?“-Fragen auf („Wollt ihr noch mehr Migration?“ - „Nein!“). Katrin Ebner-Steiner gibt den „sogenannten Qualitätsmedien“ noch eins mit - ein Zuhörer dreht sich um, zeigt mit dem Finger auf den Reporter und knurrt: „Da, der da ist eh von denen!“ Dann kommt Höcke.
Der stürzt seine Zuhörer in eine Mischung aus Angst und Hoffnung. Er warnt vor „Kräften“, die gegen die Interessen des deutschen Volks handelten, es in „Unmündigkeit und Dummheit“ hielten - und „zu Unrecht in einer moralischen Gefängniszelle“, aus der es sich befreien müsse. Allen voran „die Kartellparteien“, genauso die „Altmedien“, Behörden, Richter, Staatsanwälte. Aber davon wolle man sich nicht aufhalten lassen. „Freunde, wir werden regieren, wir werden dieses Land regieren“, ruft er unter Applaus, Pfiffen und Gejohle in den Saal. „Wir gehen in Thüringen in die absolute Mehrheit - und auch in Deutschland!“
Höckes Rede ist durchzogen von einer Obsession für Ordnung und Reinheit, wie sie allem autoritären Denken zugrunde liegt. Er sagt, in Deutschland sei „ein gewachsenes Volk ohne Not multikulturalisiert“ worden. Er beklagt vermüllte Autobahnraststätten, bei denen ihm „speiübel“ werde, und den Verfall von Tugenden wie „Pünktlichkeit, Qualitätsversessenheit und Ordentlichkeit“. Er betont, dass es nicht 63 Geschlechter gebe, sondern genau zwei, nicht mehr und keine anderen. Und er verspricht, dass die AfD das Land wieder „vom Kopf auf die Füße stellen“ und einen „wohlgeordneten Staat“ formen werde.
Deutlich plumper als der ehemalige Geschichtslehrer setzen Katrin Ebner-Steiner und ihr MdL-Kollege Dieter Arnold die gleichen Punkte: „Wir werden abschieben“, ruft Ebner-Steiner in den Raum, „bis die Startbahnen in Erding glühen.“ Auch diejenigen, „die sich den deutschen Pass erschlichen haben, werden wir ausweisen“. Und Arnold poltert, manche Migranten „kommen aus einer Kultur, die mit unserer Kultur nicht kompatibel ist“ und „dieses Land“ werde mit der AfD „wieder zum Land der Deutschen gemacht werden“.
Groll gegen die Medien und Wut auf die da oben
Es sind Aussagen wie diese, wegen denen das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei zuletzt als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat. Sie zeigen ein „ethnisch-kulturelles“ Verständnis vom deutschen Volk - und das verstoße gegen den Menschenwürde-Paragrafen des Grundgesetzes. Verfassungsfeindlich.
Die Redner in Reisbach empfinden die Einstufung des Verfassungsschutzes, der dem Innenministerium unterstellt ist, freilich als Ritterschlag. Die Behörde sei vielmehr ein „Regierungsschutz“ - und dass das Gutachten erst an Medien durchgestochen wurde, nicht aber den Kritisierten selbst zugänglich war, bestätigt AfD-Vertreter in ihrer Wahrnehmung: Alle arbeiten zusammen und alle gegen uns.
Am nächsten Tag, 12 Uhr auf der Festwiese in Neutraubling, zeigt sich im Wesentlichen das gleiche Bild. Polizeigitter entlang der Birkenallee halten die beiden Lager, AfD und Protest, etwa 30 Meter auseinander. Auf der einen Seite Empörung, Hysterie, Anklagen, auf der anderen Seite Deutschland kurz vor dem Untergang, Groll gegen die Medien, Wut auf die da oben - aber die AfD soll es richten.
Höcke ist hier noch mehr in Polterlaune, bezeichnet den Verfassungsschutz als „Instrument des Unrechtsstaats“, Syrer als eine „gewaltbelastete Bevölkerungsgruppe“ und unkt, dass Windräder unsere Landschaft zersetzen und „uns das Heimatgefühl nehmen“ sollen. Und auch hier wieder der Aufruf, wie schon in Reisbach: Mitgliederanträge bitte nicht erst mit nach Hause nehmen, sondern sofort ausfüllen.
Während Björn Höcke tags zuvor am Abend in Reisbach noch Selfies gibt, zählt Veranstalter Lars Pohl draußen vor dem Gasthaus noch einmal auf, wo seiner Partei Bürgermeister-Ämter so gut wie sicher seien. Reisbach mache er selbst, da ist Pohl zuversichtlich. In Mengkofen und Eichendorf habe man gute Kandidaten, genauso in Dingolfing. „Die anderen können uns bespucken, wie sie wollen“, sagt Pohl. „Wir sind ruhig, wir gehen zur Seite, wir machen weiter.“






































