Selbstversuch
Der Mentalist liest in mir wie in einem offenen Buch
Den Tischzauberer, der durch schnelle Handbewegungen sein Publikum verzweifeln lässt, kennt jeder. Seien es Hütchenspiele oder Kartentricks - optische Illusion heißt das Zauberwort. Doch beim Mentalismus, eine Unterart der Zauberei, geht es nicht nur um schnelle Hände. Im Internet gibt es viele Videos, die zeigen, wie die Mentalmagier ihr Gegenüber scheinbar perfekt lesen und beeinflussen können. So auch der gebürtige Germeringer Michael Laßlop. Der 35-Jährige spielt unter dem Namen Michael Bijan regelmäßig mit den Gedanken seines Publikums.
"Erleben Sie die Macht der Gedanken" - so lautet der Slogan von Michael Bijan. Dessen Ziel ist es, mich bis zum Ende des Treffens vom Mentalistentum zu überzeugen. Dazu hat er einige Experimente vorbereitet. Für seinen ersten Trick holt der Mentalist einen gewöhnlichen Würfel aus seiner Tasche. Zunächst soll ich verdeckt würfeln, für mich aufdecken und die Zahl im Kopf behalten. "Sieh mir nun bitte in die Augen. Ich werde nun versuchen, deine Zahl zu erraten." Laut nennt er der Reihe nach die Zahlen von 1 bis 6, während ich mein Bestes gebe, keine Reaktion zu zeigen. "Deine Zahl ist die 4!", meint Bijan. Er hat Recht und gibt zu, dass ich mich durch minimale, unterbewusste Bewegungen in der Augenpartie verraten habe.

Regina Schuder
Höchstkonzentriert stellte sich unser Reporter den Experimenten des Mentalisten Michael Bijan (r.).
"Du warst froh, die Lüge hinter dir zu haben"
Beim nächsten Versuch soll ich darum meine Augen verschließen. Und trotzdem errät er wieder meine Zahl. Dieses Mal war ein leichtes Zucken des Mundwinkels der entscheidende Hinweis. Auch beim dritten Mal liegt er richtig, weil er eine kleine Bewegung meiner Hand wahrgenommen hat. Beim letzten Versuch soll ich selbst die Zahlen aufsagen und erneut durchschaut mich der Mentalist und errät die korrekte Zahl. Auch hier verrät er seinen Trick: "Nachdem du deine Zahl gesagt hast, konnte man kurz die Erleichterung in deinem Gesicht erkennen. Du warst froh darüber, die Lüge hinter dir zu haben."
Mentalisten - oder auch Gedächtniskünstler - verstehen sich als Unterart von Zauberern. Um Gedanken zu lesen, Verhalten zu beeinflussen und Entscheidungen vorherzusehen, nutzen sie Techniken aus Psychologie wie Neuro-Linguistisches Programmieren (NLP) und Hypnose. Einer der bekanntesten deutschen Mentalisten ist Timon Krause, der schon in vielen Fernsehsendungen verblüffte. Bei seinen Gastauftritten auf ProSieben wurde er sogar zum Angstgegner des erfolgreichen Comedy-Duos Joko & Klaas und brachte dadurch vielen Menschen den Mentalismus näher. Zwar nutze laut Bijan jeder Mentalist ähnliche Techniken, doch arbeite jeder auf seine eigene Art.
Bijan gibt mir beim nächsten Experiment einen Zettel und bittet mich, ein beliebiges Wort aufzuschreiben. Dieser Zettel wird im Anschluss in einen Umschlag gelegt, der danach versiegelt wird. Er hat keine Chance, das Wort auf dem Zettel zu sehen. "Wir machen jetzt noch ein anderes Experiment, danach werde ich das Wort erraten", sagt der Mentalmagier. Auf die Auflösung muss ich jedoch warten.
Feingefühl für Zwischenmenschliches
Mentalisten nutzen vor allem Menschenkenntnis und lesen die Körpersprache. Zusätzlich hilft ihnen Statistik. Auch eigene leichte Bewegungen können die Versuchsperson beeinflussen. Der Unterschied zum klassischen Zauberer? Beides ist in erster Hinsicht Show. Allerdings nimmt der Mentalist Menschen als Zauberinstrument.
Weiter geht es mit dem nächsten Versuch, einem seiner "beliebtesten Tricks". Er drückt mir ein Pendel in die Hand, welches ich ruhig halten soll. "Richte die Augen auf die Spitze und konzentriere dich nur auf meine Stimme. Stell dir vor, das Pendel bewegt sich in einer geraden Linie." Dann soll ich mir Kreisbewegungen vorstellen, den Blick immer auf die scheinbar stille Pendelspitze gerichtet. Hochkonzentriert führe ich die Anweisungen aus und denke intensiv an die Formen, ohne zu merken, dass meine Hand tatsächlich all diese Bewegungen ausführt. Währenddessen verstärkt Bijan mit leichten Fingerbewegungen den Effekt, laut dem Mentalist steuern die Gedanken die Bewegungen. Dasselbe Spiel folgt, als ich eine von fünf Karten mit Formen (Kreis, Viereck, Dreieck, Stern, Plus) verdeckt ziehen muss. Weiterhin mit dem für mich ruhigen Pendel in meiner Hand zeigt Bijan mir nacheinander die Karten, und errät die von mir gezogene Form drei von dreimal. Durch das bloße Vorstellen meiner Form bewege ich das Pendel unterbewusst in diesem Umriss.
Von der Zaubererakademie zum Mentalismus
"Wie gut sowas funktioniert, ist von Person zu Person unterschiedlich. Wichtig ist aber, dass die Person Lust darauf hat", sagt der Mentalist. Seit etwa sechs Jahren tritt er unter dem Namen Michael Bijan auf. Seinen zweiten Vornamen Bijan verdankt er seinen persischen Wurzeln. Als Kind interessierten ihn Privatdetektive wie Sherlock Holmes oder Magnum, aber auch Fußball war ein wichtiger Bestandteil seiner Jugend. Bevor er sich endgültig dem Mentalismus widmete, schloss er ein Bachelorstudium in BWL und ein Masterstudium in Wirtschaftspsychologie ab. "Links geblinkt, rechts abgebogen", erklärt er seinen Weg in die Zauberei.

Regina Schuder
Höchstkonzentriert stellte sich unser Reporter den Experimenten des Mentalisten Michael Bijan (r.).
Auch während des Masterstudiums spielte er noch Fußball, verletzte sich dabei aber schwer und hatte plötzlich viel Freizeit. Aus Spaß habe ihn seine Mutter für einen Schnuppertag an einer Zauberakademie in München angemeldet. Die Akademie gefiel ihm so gut, dass er daraufhin eine zweijährige Ausbildung zum Zauberkünstler absolvierte. Dort habe er gemerkt, dass ihn weniger die klassische Magie, sondern mehr das Zaubern mit Menschen reizt. Kombiniert mit seinem Psychologiestudium und seiner Tätigkeit in der Marktforschung habe ihm das viel Freude bereitet.
Zweites Standbein: Coaching zur Körpersprache
Auch heute noch macht ihm der Mentalismus Spaß. "Das schönste ist dieses ,What?-Gefühl', welches man auch als Kind häufiger hatte", sagt Bijan. Gemeint ist die Verblüffung, wenn etwas passiert, was mit logischem Denken nicht zu begreifben scheint. "Damit hole ich Leute gerne aus ihrer Welt heraus." Das Geheimnis hinter den meisten Experimenten liegt im Lesen der Körpersprache und dem Beeinflussen der Versuchsperson. Das hilft dem Germeringer auch bei seinem anderen beruflichen Standbein als "Body Language Coach", der Vorträge und Seminare zum Thema Körpersprache hält.
Nun zur Auflösung des Zettel-Experiments. Ich habe bei Beginn des Treffens ein Wort auf einen Zettel geschrieben und diesen in einen versiegelten Umschlag gelegt. Jetzt will Bijan dieses Wort erraten. "Stell dir dein Wort bildlich vor, als wäre es vor deinen Augen." Da ich das Wort "Eishockeyschläger" aufgeschrieben habe, stelle ich mir eben diesen vor. "Du stellst dir einen Gegenstand vor, stimmts? Einen relativ großen noch dazu", merkt Bijan. "Stell dir nun vor, das Wort an sich schwebt vor deinen Augen." Dabei erkennt er, dass ich ein eher langes Wort aufgeschrieben habe. "Hat es was mit Sport zu tun?", fragt er anschließend. Er ist schon auf der richtigen Fährte. Dann geht er laut bekannte Sportarten durch. Anhand meiner Reaktion merkt er offenbar, dass die richtige noch nicht dabei war, daher überlegt er weiter. Schließlich kommt er auf Eishockey, beobachtet meine Reaktion und schreibt anschließend ein Wort auf einen leeren Zettel und faltet diesen. "Lies bitte vor, was auf diesem Zettel steht", sagt er. Ich öffne den Zettel und dort steht tatsächlich das Wort "Eishockeyschläger". Während mir wieder einmal die Verblüffung ins Gesicht geschrieben ist, grinst Bijan.
"Eine Reise in den Buchladen" - ein reines Gedankenexperiment dient als krönender Abschluss. "Stell dir vor, du gehst in einen Buchladen, du siehst links und rechts Regale. Entscheide dich für eins", sagt der 35-Jährige. Als nächstes soll ich mich für ein Buch, eine Seite und letztendlich ein Wort auf dieser Seite entscheiden - imaginär und ausschließlich in meinen Gedanken. Ich stelle mir ein Fußballbuch vor, schlage Seite 7 auf und stoße auf das Wort "Brasilien". Eben dieses Wort schreibe ich verdeckt auf einen Zettel und platziere diesen neben mich. Anschließend zückt Bijan sein Portemonnaie und zieht einen Zettel heraus. Er gibt ihn mir und bittet mich, vorzulesen, was dort steht. "Du wirst Brasilien wählen!" Mein Gefühl, dass ich für solche Versuche ein eher schweres Publikum bin, hat mich vollkommen getäuscht. Alles hat genauso geklappt, wie der Gedankenkünstler es sich vorgestellt hat.
Wie dieses letzte Experiment funktioniert, lässt Bijan allerdings offen. Ein Magier verrät nie seine besten Tricks.
Zum Autor
Andreas Schuder studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Dieser Text ist in der Lehrredaktion der Universität Passau entstanden. Die Betreuung der Studenten haben im vergangenen Semester Redakteure unserer Mediengruppe übernommen.