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Wie es für die Straßkirchener nach der Entscheidung für das BMW-Werk weitergeht
25. September 2023, 19:27 Uhr

Armin Weigel/dpa
Durch das BMW-Werk in Straßkirchen wird das ohnehin durch Verkehr stark belastete Dorf noch stärker befahren sein: BMW selbst rechnet im Endausbau mit 650 Lastwagen, die pro Tag zum Werk fahren. Dazu kommen 6.000 Pendler-Fahrten und eine hohe zweistellige Zahl an Werksbussen.
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Video zum Thema:
Seit bekannt wurde, dass der Auto-Konzern BMW 100 Hektar des besten Ackerbodens im Kreis Straubing-Bogen gekauft hat, um ein Montagewerk für Hochvoltbatterien zu errichten, zieht sich eine Front quer durch die Gemeinde Straßkirchen. Die einen sehen eine Jahrhundert-Chance, die anderen befürchten nicht weniger als den Verlust der Lebensgrundlage künftiger Generationen.
Martin Götz hat sich seit Monaten für die BMW-Pläne eingesetzt. Er ist das Gesicht der BMW-Befürworter, hat sie mit Argumenten gefüttert, Sticker geklebt und Plakate aufgehängt, um die Ansiedlung zu unterstützen. Denn: Die Straßkirchener brauchen Geld in der Gemeindekasse. Die Fassaden bröckeln, "schönstes Dorf Bayerns" sei ohne neues Geld nicht drin. "Auf eine Umgehungsstraße warten wir hier seit über 40 Jahren; schon meine Eltern haben damals deswegen demonstriert", sagt Götz.
Drei Viertel der Straßkirchener sind beim Bürgerentscheid am vergangenen Sonntag der gleichen Meinung: BMW soll bei Straßkirchen bauen dürfen. Götz findet, dass die Straßkirchener genug diskutiert haben. "Jetzt braucht's Ruhe im Dorf!" Doch geht das überhaupt? Kann Ruhe dort einkehren, wo rund ein Viertel der Bewohner gegen die BMW-Ansiedlung, gegen die Bodenversiegelung des hochgelobten Gäubodens und gegen 650 zusätzlich durchfahrende Lastwagen sind? Kann solch ein Dorf wieder zueinander finden?
Lassen sich Gegner mit BMW-Millionen einfangen?
Straßkirchens Bürgermeister Christian Hirtreiter (CSU) sieht die Diskussion in seiner Gemeinde seit Bekanntwerden der BMW-Pläne demonstrativ entspannt. Wenn die BMW-Millionen erst mal fließen, werden sich auch die jetzigen Gegner wieder einfangen lassen.
Ein neues Feuerwehr-Haus will gebaut, das ehemalige Telegrafenamt neben dem Rathaus saniert werden. Das kostet - allein das bröcklige Telegrafenamt voraussichtlich 1,7 Millionen Euro. "Als reiner Agrarstaat können wir nicht überleben", sagt der Bürgermeister. Einnahmen müssen her, Perspektive für die Jugend, Verlässlichkeit für junge Familien. Das geht für Hirtreiter nur mit BMW, das hört man deutlich heraus bei den Gesprächen mit dem Bürgermeister.
Er betont die Freiheit der Meinung, dass man sich ja demokratisch austausche, dass man nach vorne schaue - aber wie geht es weiter für diejenigen im Ort, die sich von den fast einhelligen Bekenntnissen der Politik zu den BMW-Plänen nicht mitgenommen fühlen?
Müde, enttäuscht - aus Kerl spricht die Ohnmacht
Stefan Kerl ist so ein Straßkirchener. Müde, enttäuscht lehnt er am Montag nach dem Bürgerentscheid im Türstock, wirkt abgekämpft. Der Gäuboden, das sei sein Leben, sagt der Vollerwerbslandwirt. Darum hat er von Anfang an die Bürgerinitiative gegen die BMW-Ansiedlung unterstützt.
Mit den 100 Hektar, auf denen das BMW-Werk entstehen soll, könne man 4.000 Menschen ernähren, sagt er. Stattdessen werde versiegelt. Das tut Kerl im Herzen weh. Sein eigenes Feld würde er auch für 1.000 Euro pro Quadratmeter nicht für eine Industrie-Ansiedlung verkaufen. Das könne er vor seinem Herrgott nicht verantworten. Klar, sagt er, die Zeit heile viele Wunden. Wenn er das sagt, am Montag nach dem Entscheid, wirkt das nicht sonderlich überzeugend. Das Vertrauen in die Politik, sagt er auch, habe er verloren. Wenn er die Namen Söder, Bernreiter, Aiwanger, BBV-Obmann Schreyer aufzählt, spricht er von Verrat, von Versagen. Aus Kerl spricht die Ohnmacht: "Das ganze Rathaus, die ganze Politik steht gegen uns." Er fühlt sich zu wenig informiert, zu wenig mitgenommen, hat das Gefühl, zu viel werde hinter verschlossenen Türen ausgekungelt. Kaum ein Gerücht, kaum ein Raunen im Dorf, das die Bürgerinitiative nicht aufgegriffen hätte in den vergangenen Monaten.
Straßkirchens Bürgermeister Christian Hirtreiter will den Vorwurf nicht gelten lassen, dass sich die Bürgerinitiative nur gegründet habe, weil sich viele fühlen wie Kerl: zu wenig mitgenommen, zu wenig informiert. War nicht alles rechtens? Saß nicht immer eine Rechtsaufsicht dabei, waren die Gemeinderatsbeschlüsse nicht einstimmig? Dürfe nicht auch der Bürgermeister - rein hypothetisch natürlich - als Privatmann Plakate pro BMW aufhängen? Und überhaupt sei BMW Vorhabensträger, nicht die Gemeinde - insofern sei man nicht verpflichtet, über die Ansiedlungspläne zu informieren.
Mit dem Ratsbegehren sei nun mit repräsentativ hoher Wahlbeteiligung entschieden, dass die Bauplanung weiter verfolgt werden kann. Hirtreiter betont den bürokratischen Prozess, es handle sich ja nur um eine Weiterführung der Planung. Aber ja, sagt er später, natürlich war das die letzte wirkliche Hürde. Er gehe davon aus, dass BMW die Vorgaben der weiteren Planung erfüllen werde.
Und jetzt - endlich "a Ruah"? Das wünschen sich viele Straßkirchener, wenn man sich umhört im Ort. Mei, man hätte das Ergebnis schon knapper erwartet, sagt eine Verkäuferin beim örtlichen Metzger. Aber jetzt seien eigentlich alle froh, dass die Diskussionen ein Ende hätten. Wie hätte das sonst auch weitergehen sollen? Die Junior-Chefin eines Straßkirchener Frisör-Salons erzählt, man habe die Termine von Kunden so gelegt, dass Befürworter und Gegner nicht nebeneinander sitzen. "Man möchte ja keinen Streit im Salon." Ein Straßkirchener traut sich kaum aus der Tür, um mit uns zu sprechen. Prüft erst, ob die Nachbarn schauen. "Für Streit am Stammtisch habe ich keine Kraft mehr", sagt der Rentner.
"Man darf den anderen nicht verteufeln"
Auch Thomas Spötzl, Sprecher der Bürgerinitiative für den Erhalt des Ackers, hat viel eingesteckt. Einmal habe ihn abends jemand angerufen, erzählt er, nicht der erste Anruf dieser Art. Der Anrufer habe ihm einen vorbereiteten Text vorgetragen, geendet mit "..., Sie Arschloch" und aufgelegt. Drei, vier solcher Anrufe habe er erhalten, weil ihm Leute "einen Denkzettel" verpassen wollten, erzählt er süffisant. Facebook ist voll mit Beiträgen darüber, dass er, der nicht gebürtige Straßkirchener, ja doch eigentlich gar nichts mitzureden haben sollte, hier im Gäuboden. Ein BMW-Befürworter habe ihn am Rande eines Infostands mal aufgefordert, drei Straßkirchener Straßennamen zu nennen, als dem Mann die Argumente ausgegangen waren.
Unvermittelt habe er dann am Abend des Bürgerentscheids die Hand von BMW-Fürsprecher Martin Götz' in der seinen gefunden. Ein Handschlag unter Jubel und Applaus der Anwesenden - Spötzl wirkte eher bedröppelt. Schlechter Verlierer? "Ich hätte seinen Kontakt sicher nicht gesucht", sagt er am Montag. Zu persönlich seien die Angriffe der BMW-Befürworter ihm gegenüber gewesen. Aber, sagt Spötzl: Man müsse ja immer leben mit Menschen, die einem nicht in den Kram passen. Es sei ein Erfolg der BI, dass man die Straßkirchener wachgerüttelt habe, dass diskutiert wurde im Dorf.
Auch BMW-Befürworter Götz hat der gesamten Diskussion etwas Positives abgewinnen können: Mit dem Nachbarort sind wir näher zusammengerückt, sagt er. "Feindschaften sind wenn dann Einzelfälle", ist er überzeugt. Er als Straßkirchener sei vom Werkbau zudem auch direkt betroffen. Wenn die vielen Lastwagen die Straße entlangpoltern, dann wird er sicherlich auch mal genervt sein. "Aber manchmal muss man eben auch die Pobacken zusammenkneifen."
Nachbarn, Freunde, Familien haben sich zerstritten - Straßkirchens Pfarrer Gerhard Pöpperl ist sich bereits vor dem Bürgerentscheid sicher gewesen, dass auf ihn eine besondere Aufgabe in der Gemeinde warten wird: die Versöhnung. "In einer Predigt habe ich bereits gesagt, dass man sich als Gemeinde nicht zerreißen lassen soll - egal, welche Argumente vorgebracht werden", sagt Pöpperl. "Man darf den anderen nicht verteufeln." Pöpperl ist froh, dass mit dem Sonntag eine Entscheidung gefallen ist. Jetzt kann Entspannung in die Gemeinschaft einkehren, meint er. "Wenn man sich versöhnen will, dann kann man das auch schaffen."
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