Migrationspolitik
Scholz gründet Arbeitsgruppe mit Union zur Migration
28. August 2024, 5:00 Uhr
Nach dem mutmaßlich islamistischen Messeranschlag von Solingen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Gespräche mit den Ländern und der Union als größter Oppositionskraft über die möglichen Konsequenzen angekündigt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) werde "sehr zügig jeweils einen Vertreter des Vorsitzes und Co-Vorsitzes der Ministerpräsidentenkonferenz, Vertreter der größten Oppositionspartei und involvierte Bundesressorts zu vertraulichen und zielgerichteten Gesprächen über diese Frage einladen", sagte Scholz nach einem Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer in Berlin.
Bei den Gesprächen solle es um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer, die Bekämpfung des islamistischen Terrors und das Waffenrecht gehen. Dabei sollten auch Vorschläge von Ländern und Union berücksichtigt werden. Den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hat derzeit Hessen mit dem CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein. Niedersachsen mit Regierungschef Stephan Weil hat den Co-Vorsitz für die von der SPD geführten Länder.
Am 1. Oktober übernimmt Sachsen den MPK-Vorsitz, wo derzeit CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer die Regierung führt. Nächsten Sonntag wird dort allerdings gewählt. In den Umfragen liefert sich die AfD mit der CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Rang der stärksten Partei.
Scholz reagiert mit der Gründung der Arbeitsgruppe auf einen Vorstoß von CDU-Chef Friedrich Merz, mit dem er am Dienstag über die Folgen der Messerattacke von Solingen mit drei Toten und acht Verletzten gesprochen hatte. Der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte sich allerdings nur für die Benennung von jeweils einem Beauftragten von Regierung und Union ausgesprochen, die eine Zusammenarbeit bei Gesetzesänderungen vorbereiten sollten.
Nun wird die Gruppe deutlich größer. Vor allem werden die Länder eingebunden. Mit denen hatte sich Scholz schon im vergangenen Herbst auf Maßnahmen gegen irreguläre Migration verständigt. Aus der Bundesregierung sollen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) dabei sein. Es sind also alle drei Ampel-Parteien personell vertreten.
Aus dem Plan von Merz, nur mit der SPD zu verhandeln, wird also nichts. Der CDU/CSU-Fraktionschef hatte bereits am Dienstag seinen Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei als Vertreter für mögliche Gespräche benannt. Wann die erste Sitzung der Gruppe stattfinden soll, blieb zunächst offen.
Möglicherweise schon davor will die Regierung "zeitnah" ein erstes Maßnahmenpaket vorlegen. "Seit dem Samstag laufen die Gespräche innerhalb der Regierung und man befindet sich jetzt in der Schlussredaktion", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er rechne "sehr zeitnah" mit Ergebnissen.
Unter anderem soll es dabei um die weitere Beschleunigung der Rückführung abgelehnter Asylbewerber gehen. Scholz hatte bereits im vergangenen Jahr Abschiebungen "in großem Stil" angekündigt. Obwohl die Zahl der Abschiebungen im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Viertel zugenommen habe, sei das längst noch nicht genug, betonte der Kanzler. "Deshalb wird die Bundesregierung ihre Bemühungen fortsetzen, die irreguläre Migration weiter zu begrenzen. Dazu gehören auch neue gesetzliche Maßnahmen, die wir in der Bundesregierung seit dem Wochenende intensiv miteinander abstimmen."
Die FDP zeigt sich offen für Vorschläge der Union zur Migrationspolitik. Parteichef Christian Lindner sagte in Berlin, die Regierung arbeite an Kontrolle und Konsequenz bei der Migration und werde dazu weitere Maßnahmen beschließen. "Wenn sich die CDU nach der Ära Merkel ihrer Verantwortung stellt, sollten wir deren Vorschläge offen und konstruktiv beraten. Es darf keine Denkverbote geben." Aus Sicht der FDP sei schon lange klar, dass man einen neuen Realismus in der Einwanderungspolitik brauche.
Grünen-Chef Omid Nouripour zweifelt hingegen an deren Umsetzbarkeit. Die Union habe sehr viele Vorschläge gemacht, sagte er im Deutschlandfunk. Er habe aber mehr Fragen als vorher. "Wir sind gesprächsbereit", betonte Nouripour. Er wolle aber besser verstehen, was die Union wolle.
Merz hatte Scholz angeboten, Gesetze notfalls auch ohne die Ampel-Partner Grüne und FDP im Bundestag durchzusetzen. Vizekanzler Robert Habeck warf dem Unionsfraktionschef daraufhin eine "Rhetorik des Spaltens" vor. Der Grünen-Politiker sagte in einem Sat.1-Interview, Gespräche vorzuschlagen, aber gleich zu sagen, mit wem man nicht reden wolle, sei ein "Stück weit verräterisch".
Zu den Forderungen des CDU-Chefs gehören ein "faktischer Aufnahmestopp" für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan und die Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder in diese beiden Länder abzuschieben. Weiterhin soll, wer als Flüchtling aus Deutschland in sein Heimatland reist, in Deutschland umgehend jeden Aufenthaltsstatus verlieren. Es soll dauerhafte Kontrollen an den EU-Außengrenzen geben und mehr Kompetenzen für die Bundespolizei. Auch bringt Merz die Erklärung einer "nationale Notlage" ins Spiel, um EU-Recht auszuhebeln und Migranten zurückweisen zu können, die zuerst in ein anderes EU-Land eingereist sind.
Beim mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen hatte ein Angreifer am Freitagabend auf einem Stadtfest drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Mutmaßlicher Täter ist der 26-jährige Syrer Issa Al H., der in Untersuchungshaft sitzt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn unter anderem wegen Mordes und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Diese hatte die Tat für sich reklamiert und auch ein Video eines maskierten Mannes veröffentlicht, bei dem es sich um den Täter handeln soll. Der mutmaßliche Täter hätte eigentlich im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, was aber scheiterte.
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