Nahost
Hisbollah nach Großangriff: Wollten keine Zivilisten treffen
25. August 2024, 5:19 Uhr
Der Chef der libanesischen Hisbollah-Miliz hat nach einem groß angelegten Raketenangriff auf Israel vergleichsweise zurückhaltende Töne angeschlagen. Bei der Attacke am Sonntagmorgen mit mehr als 300 Raketen sollten keine zivilen Ziele in Israel getroffen werden, und auch nicht der Flughafen Tel Aviv oder das Verteidigungsministerium, sagte Hassan Nasrallah. "Unser Ziel war von Anfang an, keine Zivilisten anzugreifen, sondern militärische Ziele."
In seiner wie üblich scharfen Rhetorik gegen Israel sagte Nasrallah zugleich, dass Angriffe des Iran und der Huthi-Miliz im Jemen auf Israel noch bevorstünden. Auch die Hisbollah werde sich die Option weiterer Angriffe vorbehalten. Die Antwort auf die Tötung des Militärkommandeurs Fuad Schukr durch Israel vor gut zwei Wochen sei aber vorerst beendet - und der Libanon könne "durchatmen".
Die Hisbollah habe mit der Attacke so lange gewartet, um Israel psychologisch unter Druck zu setzen und um den Verhandlungen im Gaza-Krieg eine Chance zu geben, sagte Nasrallah. Sie habe sich für einen Angriff auf die Glilot-Militärbasis in der Nähe von Tel Aviv entschieden. Israel hatte seinerseits kurz zuvor Ziele im Südlibanon angegriffen - als "Akt der Selbstverteidigung".
Im Libanon wurden drei Menschen getötet. In Israel wurde nach Militärangaben ein Soldat getötet. Nach Medienberichten wurde der 21-Jährige auf einem Marineboot von Teilen einer israelischen Abwehrrakete getroffen.
Bei dem Angriff am frühen Sonntagmorgen hatte Israels Armee nach eigenen "die unmittelbare Gefahr für die Bürger des Staates Israel" erkannt und vorab begonnen, zahlreiche Ziele im Südlibanon zu attackieren.
Rund 100 Kampfflugzeuge hätten angegriffen, so Israels Armee. Die Raketenabwehr, Marine und Luftwaffe seien daran beteiligt gewesen. Die Armee habe Tausende Raketen zerstört, die auf den Norden Israels gerichtet gewesen seien sowie "viele andere Bedrohungen entfernt", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Dies sei aber "nicht das Ende der Geschichte", sagte er zu Beginn einer Sondersitzung der Regierung.
Auch Nasrallah sagte, dass die israelischen Angriffe etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Hisbollah-Attacken einsetzten. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es, Israel habe mindestens 40 Ziele im Süden des Libanons angegriffen. Israels Kampfflugzeuge hätten unter anderem Strom- und Wasseranlagen getroffen, berichteten die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA und Sicherheitskreise.
Ein israelischer Militärsprecher sagte, die Hisbollah habe geplant, zumindest einige Geschosse auf das Zentrum Israels abzufeuern. Das hätte eine ernsthafte Eskalation bedeutet. Die Hisbollah hat bislang hauptsächlich Ziele in der Nähe der Nordgrenze Israels zum Libanon beschossen.
Die "New York Times" zitierte einen westlichen Geheimdienstmitarbeiter, wonach sich Israels Angriff gegen Raketenwerfer im Libanon gerichtet habe. Diese seien so programmiert worden, dass sie um 5.00 Uhr Ortszeit (4.00 MESZ) in Richtung Tel Aviv im Zentrum Israels abgefeuert werden sollten.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas beschießt die mit ihr verbündete Hisbollah Ziele im Norden Israels. Israels Militär wiederum greift regelmäßig Ziele im Nachbarland an, teils tief im Landesinneren. Auf beiden Seiten der Grenze gab es Dutzende zivile Todesopfer, die Grenzregion gleicht seit Monaten einer Kampfzone.
Der israelische Analyst Ronen Bergman schrieb auf dem Nachrichtenportal "Ynet", angesichts mangelnder Fortschritte bei den Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg sei die Hisbollah zu der Ansicht gelangt, dass die Zeit für ihre Rache an Israel nun gekommen sei. Die Hamas hatte am Vorabend verlauten lassen, Israel beharre bei den indirekten Gesprächen auf seinen Forderungen.
In der Region wird eine noch größere Eskalation befürchtet, seit Ende Juli der Hisbollah-Kommandeur Schukr sowie der Auslandschef der Hamas, Ismail Hanija, im Iran getötet wurden. Der Iran und die Hisbollah - Teherans wichtigster Verbündeter in der Region - kündigten daraufhin Vergeltung an. Die Hisbollah erklärte, sie habe die "erste Phase" ihres Vergeltungsangriffs beendet.
Mutmaßlich könnten in einer zweiten Phase etwa auch die Huthi im Jemen oder Iran-treue Milizen im Irak und Syrien Israel angreifen. Die Huthi lobten den "großen und mutigen Angriff" der Hisbollah. Die mit ihr verbündete Hamas sprach von einem "Schlag ins Gesicht" der israelischen Regierung. Eine mögliche zweite Phase der Vergeltung dürfte vor allem vom Verlauf der Gaza-Verhandlungen abhängen.
Israel verhängte den landesweiten Ausnahmezustand. Er gelte seit 6.00 Uhr Ortszeit (5.00 Uhr MESZ) für die nächsten 48 Stunden, sagte Verteidigungsminister Joav Galant. Bei dem Angriff der Hisbollah seien drei Wohnhäuser getroffen worden, davon eines in der Küstenstadt Akko.
Wegen der Bedrohungslage stellte der Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv kurzzeitig den Betrieb ein. Die Nachrichtenseite "ynet" berichtete unter Berufung auf eine nicht genannte Quelle, die Hisbollah habe einen Angriff auf eine "strategische Einrichtung im Bereich von Tel Aviv" geplant, einschließlich eines möglichen Angriffs auf den Flughafen.
Netanjahu sagte: "Wir sind entschlossen, alles zu unternehmen, um unser Land zu verteidigen, die sichere Rückkehr der Einwohner des Nordens in ihre Häuser zu gewährleisten und weiter eine einfache Regel zu befolgen: Wer uns Schaden zufügt, dem werden wir Schaden zufügen."
Der israelische Armeesprecher Hagari verkündete neue Anweisungen für Zivilisten vom Großraum Tel Aviv bis zu Israels Nordgrenze. In dem Raum könnten die Menschen normal zur Arbeit gehen und ihre Kinder in Sommerlager schicken - unter der Bedingung, dass Schutzräume innerhalb kurzer Zeit erreichbar seien.
Trotz des gegenseitigen Beschusses Israels und der Hisbollah werden die indirekten Gespräche über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg fortgesetzt. Eine 13-köpfige israelische Delegation traf dazu in Kairo ein, wie die dpa aus Kreisen des Flughafens erfuhr. Vertreter der Hamas sind aus Katar angereist, diese wollen wie zuvor aber nicht direkt an den Gesprächen teilnehmen. Die Vermittler USA, Ägypten und Katar versuchen, mit einer Einigung über eine Waffenruhe eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern.
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