Zukunftsängste während Corona

Psychologe: Drohungen schaffen auf Dauer kein Vertrauen


Dr. Simon Hahnzog ist Psychologe und Akademischer Direktor an der Augsburg Business School Steinbeis IFEM.

Dr. Simon Hahnzog ist Psychologe und Akademischer Direktor an der Augsburg Business School Steinbeis IFEM.

Einnahmeeinbußen, Kurzarbeit, Lockdown. In vielen Betrieben plagt die Menschen die Angst vor der Zukunft. Das ergab eine Umfrage der Gewerkschaft IG Metall. Auch Dr. Simon Hahnzog, Psychologe und Akademischer Direktor an der Augsburg Business School Steinbeis IFEM, beobachtet dieses Phänomen und sagt, dass es noch schlimmer kommen könne. Im Interview erklärt er, was Führungskräfte und Politiker jetzt tun und wie Betroffene selbst mit ihren Ängsten umgehen können.

Laut einer Umfrage der IG Metall plagen Beschäftigte Zukunftsängste. Haben Sie auch den Eindruck, dass die Arbeitnehmer zunehmend verunsichert sind?

Dr. Simon Hahnzog: Absolut. Das ging schon im Frühjahr, in der mittleren Phase des Lockdowns, los und diese Ängste haben immer mehr zugenommen. Da sind wir auch noch nicht am Ende der Skala angelangt, glaube ich. Irgendwann wird das Kurzarbeitergeld aufgebraucht sein, schätzungsweise nach der Bundestagswahl, und dann wird es noch heftiger.

Trägt der Lockdown Ihrer Meinung nach dazu bei, dass immer mehr Menschen Angst vor dem Jobverlust haben?

Da kommen viele Faktoren zusammen. Wenn man es konkret auf die Arbeit bezieht, haben wir zum Beispiel im Home Office das Problem, dass die Sichtbarkeit der Leistung schwieriger wird. Das ist was ganz anderes, als wenn ich direkt in der Firma bin. Und der Lockdown macht auch gerade jetzt für alle sichtbarer, dass etwas nicht passt. Dazu kommt der Stress, den der Lockdown für alle die mitbringt, die zum Beispiel noch Kinder haben, wo alles noch unmittelbarer wird.

Spielen die Einnahmenbußen, die viele durch die Kurzarbeit haben, eine Rolle für die eigene Wertschätzung?

Die Wertschätzung ist da gar nicht unbedingt das Kernthema. Angst entsteht durch ein Verlustgefühl von Sicherheit. Dieses Verlustgefühl wird meistens wiederum von einem Kontrollverlust hervorgerufen. Genau das kann man in diesem Jahr sehr genau beobachten. Jede Sicherheit ist jedoch immer auch eine Illusion. "Mein Arbeitsplatz ist sicher für die Zukunft, meine Branche wird es zukünftig geben." So können wir das aber nicht sagen. Aber wenn ich jeden Tag in die Firma gehe, dann ist das eine Kontrollmöglichkeit, die ich habe. Die ist jetzt auf einmal weg und so wächst die Angst.

Für mehr Transparenz in der Kommunikation sorgen

Gibt es für Arbeitgeber Möglichkeiten, positiv auf ihre Mitarbeiter einzuwirken?

Transparenz ist da etwas ganz Wichtiges. Das bedeutet, ganz authentisch und offen mitteilen, was der aktuelle Stand ist und wie es weitergehen soll und nicht vermeintlich Dinge schön reden. Das ist für den Moment nett, kommt dann aber um so heftiger, wenn der Plan dann doch nicht geklappt hat. Was auch wichtig ist, ist ein offenes Ohr haben und auch einmal nachhaken, wie es den Mitarbeitern so geht. Verständnis zeigen. Angst ist eine Emotion und die kann ich nur bedingt mit rationalen Argumenten verändern.

Inwiefern könnten in dem Zusammenhang die Politiker noch besser daran arbeiten, die Menschen emotional abzufangen?

Da ist schon einiges passiert in diesem Jahr. Es gab viel Weiterentwicklung. Gleichzeitig ist da viel, das noch hakt. Um einmal zwei Beispiele zu nennen: Das eine ist der Versuch, mit Drohung zu arbeiten: "Wenn ihr euch nicht an die Regeln haltet, dann wird alles ganz schlimm…" Das ist irgendwann aufgebraucht und schafft nicht Vertrauen, sondern Angst. Und Angst ist nicht das Beste für eine vertrauensaufbauende Bindung. Das zweite ist die Transparenz. Das war zu Beginn des November-Lockdown meiner Meinung nach ein guter Versuch, zu sagen, dass dauert jetzt vier Wochen und dann ist gut. Ich glaube, da lag das Motiv dahinter, den Leuten ein sicheres Gefühl zugeben. Nur das war nicht auf stabilen Füßen gebaut. Es wusste kein Mensch, ob das nach vier Wochen besser ist oder nicht. An so etwas könnte nachgebessert werden, indem auch hier transparenter kommuniziert wird.

Sollte die Politik stattdessen mehr auf die Eigenverantwortung der Bürger setzen?

Das ist natürlich die Schwierigkeit. Da entsteht ja ein Paradox. Wenn ich jemanden zu mehr Eigenverantwortung auffordere, handelt er dann eigenverantwortlich oder handelt er so, weil ich es von ihm verlangt habe? Ich kann also Eigenverantwortung nicht durch den Appell an Eigenverantwortung erhöhen, sondern muss deutlich machen, wieso es bedeutsam ist, bei sich zu sein. Auf eine lange Sichtweise sind Angst und Sanktionen weniger hilfreich. Nur wenn es um akute Situationen geht, sind solche Restriktionen sehr sinnvoll, aber dafür ist es nun zu lang und immer wieder gebremst. Das beste Mittel, um Vertrauen aufzubauen und jemanden in die Eigenverantwortung zu bringen, ist, dass er sich seiner Verantwortlichkeit und seiner Möglichkeiten bewusst wird. Da schließt sich dann wieder der Kreis zur Angst durch Kontrollverlust.

Eigenes Handlungsumfeld aktiver gestalten

Was kann man selbst gegen Ängste tun?

Kleine Dinge in meinen Alltag integrieren, die ich kontrollieren kann. Zum Beispiel kann ich kontrollieren, was ich esse, dass ich mit einer Freundin telefoniere oder an die frische Luft gehe. Dass ich auch am beschissensten Tag der Woche schaue: War heute irgendetwas schön? Und wenn nichts schön war, gehe ich heute einfach wieder ins Bett. Was kann ich selber aktiv in meinem Handlungsumfeld gestalten? Dadurch erlange ich wieder Kontrolle und das mindert die Angst. Das wird nicht gleich die Zukunftsängste reduzieren, aber die Verunsicherung am Tag kann es schon einmal verringern.

Ab welchem Punkt sollte man sich Hilfe suchen, wenn man unter Ängsten leidet?

Es gibt keine genaue Trennlinie, ab der man sagen würde, jetzt ist das keine normale Angst mehr, sondern eine Angststörung. Gerade dieses Jahr gibt es sehr viele Leute, die Angst haben. Ich würde es daran festmachen, wie beeinträchtigend dieses Angstgefühl für meinen normalen Tag ist. Dass ich mal eine Nacht schlecht schlafe, kein Thema. Wenn ich aber nach einem Monat merke, dass ich jede Nacht schlecht geschlafen habe, dann ist es nicht mehr okay. Wenn ich einen Tag mal ins Grübeln verfalle, ist das auch in Ordnung, aber wenn es nicht aufhört und ich Dinge wie Familie oder Freunde vernachlässige, die mir wichtig sind und das über einen längeren Zeitraum, sollte ich hellhörig werden.

Es gibt auch in der jetzigen Phase viele Möglichkeiten wie anonyme Hotlines, die ich kontaktieren kann, wo ich zumindest mal mit jemandem sprechen kann, der sich auf professionellem Niveau damit auseinandersetzen kann.

Was kann man gegen das Grübeln tun?

Da kann ich empfehlen, sich eine ganz bewusste Grübelzeit zu nehmen. Eine Viertelstunde, in der man sich mit den ganzen Sorgen und Ängsten ganz ausführlich beschäftigt. Dann ist es aber ganz wichtig, dass nach der Viertelstunde wieder Schluss ist. Die Methode funktioniert nur, wenn man sich vorher für danach etwas ganz Konkretes vorgenommen hat, bei dem man nicht so viel grübeln kann. Das schafft auch wieder Kontrollmöglichkeiten und erleichtert.