Werbebotschaften

Alle glücklich? Verbraucherzentrale kritisiert Fleisch-Siegel


Ein Haltungskompass ist auf einer Fleischpackung aufgeklebt. Deutschlands Discounter informieren bei Fleischprodukten immer öfter über die Haltungsbedingungen der Tiere. Die Verbraucherzentralen kritisieren jedoch, dass diese Kennzeichnungen für den Kunden nicht immer verständlich und nachvollziehbar seien (Symbolbild).

Ein Haltungskompass ist auf einer Fleischpackung aufgeklebt. Deutschlands Discounter informieren bei Fleischprodukten immer öfter über die Haltungsbedingungen der Tiere. Die Verbraucherzentralen kritisieren jedoch, dass diese Kennzeichnungen für den Kunden nicht immer verständlich und nachvollziehbar seien (Symbolbild).

Wer Fleisch mit hohen Tierhaltungsstandards kaufen möchte, muss sich mit vielen verschiedenen Siegeln im Handel auseinandersetzen - eine Sisyphos-Arbeit. In einer aktuellen bundesweiten Stichprobe der Verbraucherzentralen wurden nun die Angaben der Handelsunternehmen zur Tierhaltung bei gängigen Fleischprodukten überprüft. Das Ergebnis: Zu viele Werbebotschaften, zu wenig Klarheit darüber, was diese eigentlich bedeuten. idowa hat bei den Discountern Aldi, Edeka, Lidl, Real und Rewe nachgefragt.

Die Mengen sind riesig. Allein 2017 wurden in Deutschland laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) 8,81 Millionen Tonnen Schlachtfleisch erzeugt. Der größte Anteil entfällt demzufolge auf Schweinefleisch (62 Prozent), gefolgt von Rindfleisch (13 Prozent) und Hühnerfleisch (12 Prozent). Zunehmend wichtig ist es den Konsumenten, zu wissen, woher die geschlachteten Tiere kommen und wie sie gehalten wurden. Das ergab eine Umfrage der BMEL. Transparenz ist also das Gebot der Stunde. Die Verbraucherzentralen haben sich dem Thema in einer aktuellen Untersuchung angenommen.

Bei 17 Handelsketten haben die Zentralen eine Stichprobe genommen, im Speziellen ging es um Produkte von Schwein, Rind und Geflügel. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme bei den konventionellen Fleischprodukten erscheint ernüchternd: Nur vereinzelt habe es verlässliche und nachvollziehbare Werbeaussagen in Bezug auf höhere Tierschutzstandards gegeben, wie die Verbraucherzentralen in einer aktuellen Pressemitteilung ausführen.

Viele Regelungen nicht verpflichtend

Die EU-Vermarktungsnormen für Geflügel definieren beispielsweise eindeutig unterschiedliche Formen der Tierhaltung. Unterschieden wird hier "Extensive Bodenhaltung", "Freilandhaltung", "Bäuerliche Freilandhaltung" und "Bäuerliche Freilandhaltung - Unbegrenzter Auslauf". Will ein Produzent eine entsprechende Kennzeichnung seiner Produkte, dann muss er klare Vorgaben erfüllen. Vorgeschrieben ist jeweils, wie viel Platz die Tiere haben müssen, wie groß ihr Auslauf ist und wie sie gefüttert werden müssen. Damit bieten die Normen eine gute Orientierung für Verbraucher. Solche Angebote seien im Handel allerdings selten, wie die Verbraucherzentralen bemängeln.

Daneben gibt es allerdings weitere Standards, so zum Beispiel die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Dort werden Mindeststandards für die Haltung einiger Tierarten und Tiergruppen konkretisiert. Allerdings liegen hier nicht für alle Tierarten Regelungen vor. Es fehlen zum Beispiel Vorgaben für Milchkühe, Mastrinder, Puten und Wassergeflügel. Die Verbraucherzentralen kritisieren an dieser Verordnung, dass die gesetzlichen Standards zum Teil so niedrig sind, dass sie Haltungsverfahren zulassen, die von Experten als nicht tiergerecht bemängelt werden. Für viele Bereiche fehlen eindeutige Regeln beispielsweise für das Platzangebot oder den Auslauf der Tiere.

Keine falschen Erwartungen wecken

Wie sieht es nun bei der Auszeichnung der Produkte im Handel aus? Beim Schweine- und Rindfleisch gibt es laut Verbraucherzentrale nur sehr wenige Angebote mit verlässlicher und nachvollziehbarer Werbung. Informationen zu den ausgelobten Haltungskriterien, beispielsweise "Weidehaltung", fehlen der Stichprobe zufolge bei Aldi, Edeka, Hit, Lidl, Rewe und Real.

Beschönigende Auslobungen beziehungsweise Darstellungen zur Tierhaltung gibt es bei etlichen Produkten. So zeigt zum Beispiel bei einem Schweine-Minutensteak ein Foto auf der Verpackung Schweine in Freilandidylle. Das daneben abgebildete Haltungszeugnis der Stufe 1 entspricht jedoch lediglich dem gesetzlichen Mindeststandard der Stallhaltung. Auch bei der Verpackung eines Kalbskoteletts aus dem Supermarkt zeigen sich die Verbraucherzentralen skeptisch, ob das beworbene Fleisch unter gehobenen Tierhaltungsstandards erzeugt wurde. So zeigt die Abbildung eine idyllische Landschaft mit weidenden Rindern, auf der Verpackung selbst fehlen jedoch jegliche Angaben zu Haltungskriterien.

Für problematisch halten die Verbraucherzentralen auch verschiedene Imagewerbungen der Discounter. So warb beispielsweise ein Supermarkt auf seinem Flyer mit folgendem Slogan: "Es gibt an den Bedienungstheken [...] nur bestes Schweine-, Rind- und Kalbfleisch von Bauern, die wir alle kennen, deren Arbeitsweise und Umgang mit den Tieren wir schätzen und denen wir vertrauen."

Die Zentralen kritisieren, dass die Darstellung teils hohe Standards bei der Tierhaltung zu implizieren scheint, aber tatsächlich keine Aussagen zu Haltungsbedingungen gemacht würden. Mit so einem Marketing würden Kunden hinters Licht geführt, kritisiert Jutta Saumweber, Referatsleiterin Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Bayern.

Nachvollziehbare Begriffe?

Geht es nach dem Willen der Verbraucherzentralen, dann soll der Handel Fleischprodukte, die nur nach dem gesetzlichen Mindeststandard produziert wurden, nicht mit irreführenden Begriffen bewerben. Mit "Weidehaltung", "mehr Platz" oder "kleinere Tiergruppe" solle nur dann geworben werden, wenn die Kriterien dafür für den Verbraucher auch transparent und nachvollziehbar sind.

Auch den Gesetzgeber möchten die Verbraucherzentralen in die Pflicht nehmen: Es solle eine verpflichtende mehrstufige staatliche Tierwohlkennzeichnung eingeführt werden. Nur so ließe sich eine bessere Orientierung beim Fleischeinkauf erreichen. Eine entsprechende Regelung gibt es derzeit nicht, die Vermarktungsnormen der EU sind für die Händler nicht verpflichtend. Außerdem wollen die Zentralen, dass die Kriterien für die zu schaffende Tierwohlkennzeichnung deutlich über den gesetzlichen Mindeststandards liegen.

Das sagen die Supermärkte

Aldi, real und Edeka befürworten eine gesetzliche Lösung. "Eine eindeutige Hilfe für Kunden sehen wir nur in einer bundesweit gültigen gesetzlichen Regelung", erklärt beispielsweise der Pressereferent von real. Er spricht sich für die gesetzliche Lösung aus, die von der derzeitigen Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, vorangetrieben wird.

Demnach soll während der aktuellen Legislaturperiode eine dreistufige staatliche "Tierwohl-Kennzeichnung" eingeführt werden, die allerdings für den Handel nicht verpflichtend ist. Wann es hier eine beschlussfähige Fassung gibt, steht derzeit noch nicht fest. Kritik gibt es aber schon vorab. Wie eine Pressesprecherin der Verbraucherzentrale Bayern gegenüber idowa sagt, hätte man sich eher eine verpflichtende Kennzeichnung für die Verbraucher gewünscht. Außerdem sei auch bei der geplanten "Tierwohl-Initiative" der Mindeststandard für die Stufe 1 viel zu niedrig. Schließlich werbe man mit einem sogenannten "Tierwohl"-Siegel.

Neben der gesetzlichen Initiative sind in der Zwischenzeit auch einige Handelsunternehmen tätig geworden. Aldi, Rewe, Lidl und Edeka haben sich bereits auf ein einheitliches System geeinigt, das ab April 2019 schrittweise eingeführt werden soll. Das kündigte die sogenannte "Initiative Tierwohl" am 11. Januar an, die von den Handelsunternehmen ins Leben gerufen wurde. In Bezug auf die Händler-Initiative heißt es: "Damit kommt der Handel dem Wunsch der Verbraucher nach mehr Erkennbarkeit und Transparenz nach", wie es Tobias Neuhaus, Pressesprecher von Aldi Süd, formuliert.

Das von der Initiative Tierwohl entwickelte System besteht aus vier Stufen.

Das von der Initiative Tierwohl entwickelte System besteht aus vier Stufen.

Die Stufen der Tierwohlkennzeichnung

Stufe 1 "Stallhaltung" entspricht den gesetzlichen Mindestanforderungen
Stufe 2 "Stallhaltung plus" : Haltung mit höheren Tierwohlstandards, mindestens zehn Prozent mehr Platz im Stall und Beschäftigungsmaterial
Stufe 3 "Außenklima": zusätzliche Flächen für die Tiere und Frischluftkontakt
Stufe 4 "Premium": noch mehr Platz für Tiere und Auslaufmöglichkeiten

Das vierstufige Modell soll es den Kunden leichter machen, zu erkennen, wie die Tiere gehalten wurden. Auch die Supermarktkette Edeka will das von der "Initiative Tierwohl" ausgehandelte System in ihren Filialen übernehmen. "Edeka hält somit die Zusage vom Mai 2018 ein, eine gemeinsam vom Handel entwickelte Lösung zu implementieren. Ab Anfang April 2019 werden die ersten verpackten Eigenmarken mit der Kennzeichnung ausgestattet", bestätigt ein Pressesprecher auf idowa-Nachfrage.

Einheitlicher Haltungskompass, eindeutige Kennzeichnung? Was für den Verbraucher wünschenswert wäre, scheint schon durch das Nebeneinander von nicht-verpflichtenden, staatlichen Siegeln und dem Auszeichnungssystem des Handels fraglich. Und dann ist da noch eine augenfällige Ähnlichkeit: Das vom Handel eingeführte Label soll "Initiative Tierwohl" heißen, die von der Regierung geplante Regelung wird auch als "Tierwohl-Initiative" bezeichnet. Eine Namensnähe, die auf jeden Fall nicht zu mehr Transparenz beitragen dürfte.

Haltungskompass allein reicht nicht aus

Der Deutsche Tierschutzbund begrüßt die Idee des Handels, fordert aber gleichzeitig nicht nur einen Haltungskompass, sondern eine transparente Kennzeichnung und Weiterentwicklung hin zu mehr Tierschutz in der gesamten Produktionskette. Das betont der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes gegenüber Ökotest. "Wenn der Handel es wirklich ernst meint, dann braucht es jetzt auch ein Ende der Billigpreisbewerbung tierischer Produkte. Und wenn er es wirklich ernst meint, den Ansprüchen der Verbraucher Rechnung tragen zu wollen, dann muss alles mit der Ziffer 1 ausgelistet werden, denn der gesetzliche Standard ist aus Tierschutzsicht ungenügend."

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hält die Initiative des Handels für eine tiergerechtere Haltung ebenfalls für einen Schritt in die richtige Richtung. Sie wendet jedoch ein: "Allerdings geht die staatliche Tierwohl-Kennzeichnung dabei über eine reine Haltungskennzeichnung, wie sie der Handel plant, hinaus. Denn bei der staatlichen Kennzeichnung wird die gesamte Lebensspanne des Tiers in den Blick genommen - von der Geburt bis zur Schlachtung - und nicht nur Platzangebot und gegebenenfalls Bewegungsradius wie bei einer Haltungskennzeichnung."

Zudem betont das Ministerium, dass Handel und Bundesregierung künftig einen gemeinsamen Weg gehen sollten, bei dem das Tierwohl stärker im Zentrum steht. Gleichzeitig sollen die Maßnahmen aber auch für die Betriebe praktikabel sein. Dabei soll eine staatliche Kennzeichnung entstehen, auf die sich Verbraucher verlassen können.

Ist ein Weg aus dem Wald der Siegel nun in Sicht? Der Handel und die Bundesregierung betonen zumindest, dass sie an einem Licht am Ende des Tunnels arbeiten. Ob am Ende dann wirklich weitgehende Transparenz steht, scheint angesichts der aktuellen Sachlage wenigstens fraglich.

Wir hatten auch Lidl und Rewe um eine Stellungnahme gebeten, eine Rückmeldung innerhalb der schriftlich gesetzten Frist blieb jedoch aus.