Uni-Klinikum Regensburg

Prof. Bernhard Graf über die Lehren aus der Covid-19-Welle


Prof. Dr. Bernhard Graf im idowa-Interview über die Erkenntnisse aus der Covid-19-Zeit am Universitätsklinikum Regensburg.

Prof. Dr. Bernhard Graf im idowa-Interview über die Erkenntnisse aus der Covid-19-Zeit am Universitätsklinikum Regensburg.

Mit den Fallzahlen von Sars-CoV-2 sinkt die Zahl der Menschen, die wegen Covid-19 auf der Intensivstation liegen. Am Klinikum der Universität Regensburg (UKR) ging es in der Corona-Zeit neben der Patientenversorgung auch darum, Erkenntnisse über die neue Krankheit zu gewinnen.

Prof. Dr. Bernhard Graf ist der stellvertretende ärztliche Leiter des UKR. Im Interview mit idowa erklärt er, warum die Erfahrungswerte aus der ersten Covid-19-Welle ihn mit Zuversicht in die Zukunft blicken lassen - und wie man Krankenhäuser für eine neue Krankheitswelle rüsten kann.

Herr Prof. Graf, aus vielen Teilen Deutschlands sind in der Corona-Zeit Auslastungsquoten um die 60 Prozent an den Kliniken gemeldet worden. Wie war die Situation am Uniklinikum Regensburg?

Prof. Bernhard Graf: Die Tagesauslastung schwankte bei uns auch zwischen 50 und 60 Prozent. Wir sind der einzige Maximalversorger hier in der näheren Region. Die Maxime war daher: Wir arbeiten erweiterte Notfälle ab. Wenn ein Patient, der zur Operation ansteht, innerhalb der nächsten drei Monate einen Schaden erleiden würde, wenn er nicht operiert wird, dann haben wir die Operation durchgeführt.

"Größere Operationen haben wir verschoben"

Wie viele Untersuchungen und Operationen sind in dieser Zeit ausgefallen?

Graf: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Viele Patienten sind bei uns gar nicht angekommen. Wir haben die Ambulanzen heruntergefahren, so dass sich diese Patienten auch nicht vorgestellt haben. Eine Zahl zu sagen ist schwierig. Wie werden erst in nächster Zeit sehen, wie viele Patienten kommen. Vor allem kleinere Eingriffe wurden in der Zwischenzeit von anderen Kliniken übernommen. Größere Operationen haben wir vor uns hergeschoben, da gibt es jetzt schon einen Mehrbedarf, den wir im Augenblick abarbeiten, wobei wir im Moment noch nicht auf 100 Prozent unserer alten Ressourcen fahren. Das dürfen wir noch nicht.

Wie groß sind die Ressourcen, die derzeit noch für Covid-Patienten reserviert sind?

Graf: Wir müssen 15 Prozent unserer normalen Betten für Covid-Patienten freihalten und 30 Prozent unserer Intensiv-Ressourcen. Wir machen als Maximalversorger sehr viele Operationen, die danach einen sogenannten Intensiv-Bedarf haben, wo die Patienten nicht direkt nach der OP nach Hause gehen können oder auf die Normalstation, sondern ein bis drei Tage auf der Intensivstation bleiben müssen. 30 Prozent heißt bei uns: 30 Intensivbetten, die wir vorhalten müssen. Von den 30 Betten, die wir im Augenblick vorhalten, sind noch zwölf Betten mit Covid-Patienten belegt, die beatmet werden müssen. Am Wochenende haben wir zwei Patienten auf unsere Intensivstation bekommen, die akut an Covid-19 erkrankt sind. Man muss jetzt die Entwicklung der kommenden Wochen abwarten und die politischen Vorgaben, ob wir die vorgehaltenen Betten weiter reduzieren dürfen. Gemessen am tatsächlichen Bedarf würden wir selbst derzeit etwa 15 bis 20 Prozent der Betten vorhalten.

"Wir können die Ressourcen extrem schnell wieder hochfahren"

Die sinkende Infektionsrate bildet sich also auch auf den Stationen ab?

Graf: Ja. Wir hatten zum Beispiel am 7. und am 9. April - das waren die Tage, an denen wir am meisten Patienten auf unserer Intensivstation hatten - 38 beatmete Patienten auf der Intensivstation, im Augenblick sind es noch zwölf. Von diesen zwölf sind zehn Patienten schon sehr lange hier bei uns. Das ist auch das Problem der Covid-Infektion: Viele Patienten brauchen eine sehr lange Intensiv-Zeit. Wir haben einen Patienten inzwischen über zwei Monate an der Beatmung. Die Erholung verläuft extrem langsam. Auch bei Influenza und Pneumonie müssen Patienten manchmal mehrere Wochen beatmet werden, aber bei Covid ist es wirklich extrem. Das hat auch die Probleme in anderen Ländern ausgemacht, dass die Intensivstationen einfach voll waren und dann über längere Zeit blockiert.

Was sind die Lehren aus der Covid-19-Welle?

Graf: Was wir gelernt haben, führt auch dazu, dass ich zwischenzeitlich relativ ruhig wäre, wenn wieder ein Ansturm käme. Wir haben gelernt, in kürzester Zeit unsere Intensiv-Ressourcen zu erhöhen. Wir sind jederzeit in der Lage, innerhalb von zwei bis drei Tagen 50 Intensivbetten freizubekommen. Wir können die Intensiv-Ressourcen extrem schnell hochfahren. Wir haben gelernt, dass wir bestimmte Sachen vorhalten müssen. Wir brauchen mehr Geräte, Desinfektionsmittel, Mundschutz - das waren die Engstellen. Ob das jedes Krankenhaus für sich macht oder ob es die Ministerien zentral machen, ist noch unklar. Wir haben zusätzlich Ärzte ausgebildet für die Beatmungsgeräte und für das Monitoring auf Intensiv. Man hat Pflegerinnen und Pfleger von der Normalstation für die Intensivpflege eingewiesen. Man muss für Notfälle solche Ressourcen vorhalten. Das kostet natürlich Geld, aber ich bin überzeugt, dass sich das ausbezahlen wird.

Mehr zur Bilanz der Covid-Wochen und wann Prof. Bernhard Graf die Rückkehr zum Normalbetrieb erwarten, lesen Sie im zweiten Teil des Interviews!

Andere Kliniken fragten nach Material

Wie sieht die Bilanz der ersten Welle in Zahlen aus?

Graf: Etwa 100 Patienten hatten wir auf Intensiv, das meiste, was wir gleichzeitig hatten, waren 38 Beatmete, davon waren elf an der sogenannten ECMO, der Extrakorporalen Membranoxygenierung. Manche waren nur sehr kurz bei uns, manche mussten gar nicht beatmet werden. Wir haben fast alle Patienten von anderen Krankenhäusern bekommen. So sehen wir auch unsere Aufgabe: Andere Krankenhäuser fangen an, und wenn die an ihre Grenzen kommen, können die Patienten zu uns verlegt werden. Wir hatten Patienten aus ganz Bayern, von Rosenheim bis hoch nach Marktredwitz und von Passau bis Ingolstadt. Wir haben das Glück, dass wir bis zu 15 ECMOs zum Einsatz bringen können. Das hat sich für die Patienten mit einem sehr schweren Verlauf bewährt. Aber: Diese ECMOs sind sehr aufwändig, man braucht sehr viel Einmal-Material dafür. Das wurde plötzlich zur Engstelle. Wir hatten uns glücklicherweise im Vorfeld eingedeckt mit dem Material, aber wir bekamen Anrufe von anderen Kliniken, ob wir nicht ein paar Oxygenatoren ausleihen könnten, weil sie in Deutschland einfach nicht mehr verfügbar waren.

Wann erwarten Sie die Rückkehr zum Regelbetrieb?

Graf: Meiner persönlichen Meinung nach werden wir die nächsten Monate, vielleicht auch Jahre mit Covid-19 leben müssen. Es werden wohl nur wenige Fälle sein, dennoch wird es die nächsten zwei Jahre vermutlich keine Covid-freie Zeit geben. Wir müssen deshalb parallel fahren. Wir werden einen Teil der Intensivstation mit zehn Betten und eine Normalstation in dieser Größenordnung zur Quarantäne-Station vorhalten - unabhänging davon, welche Vorgaben zusätzlich von der Politik kommen. Wenn wir die Ressourcen vorhalten, sind wir auf der sicheren Seite. Ich glaube, es werden in nächster Zeit immer wieder Patienten diese Infektion erleiden. Warum, wissen wir noch nicht sicher. Wir gehen schon davon aus, dass es eine Prädisposition dafür gibt - ob das nun genetisch ist oder ob es bestimmte Vorerkrankungen sind.

Was sind nach Ihren Beobachtungen die Prädispositionsfaktoren?

Graf: Adipositas ist prädisponierend. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil hatte Übergewicht. Die koronare Herzkrankheit ist ein Risikofaktor. Einige Patienten, auch unter den Verstorbenen, wussten vorher nicht, dass sie eine Erkrankung der Herzkrankgefäße hatten. Ein dritter Faktor sind Lungenerkrankungen, die ich auf jeden Fall hier nennen würde.