Tierhaltung in Ostbayern

Hunde-Attacken: Warum sind viele Halter überfordert?


Spielfreude oder Angriff? In Ostbayern hat die Zahl der Hundeangriffe über die vergangenen Jahre zugenommen. (Symbolbild)

Spielfreude oder Angriff? In Ostbayern hat die Zahl der Hundeangriffe über die vergangenen Jahre zugenommen. (Symbolbild)

Von Stefan Karl

Die Zahl der Hundeattacken steigt - auch in Ostbayern. Wie das Bayerische Innenministerium bestätigt, hat sich die Zahl der Angriffe seit 2011 fast verdoppelt. Im Regensburger Tierheim sind mehr als die Hälfte der dort untergebrachten Hunde verhaltensauffällig. Das Problem sind laut Experten nicht nur unerfahrene Halter, sondern auch die gestiegene Zahl von Import-Tieren.

Bester Freund des Menschen und treuer Gefährte, wenn alles gut läuft - gefährlich, wenn die Erziehung schief geht: Immer mehr Hunde in Bayern sind verhaltensauffällig. Ihre Besitzer bringen sie schließlich aus Verzweiflung ins Tierheim. Die Zahl der Hundeangriffe ist in der jüngeren Vergangenheit explodiert. Das bayerische Innenministerium meldet für das Jahr 2018 insgesamt 1.281 Attacken. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 waren es noch 870. Werden die Hunderassen immer gefährlicher - oder halten einfach immer mehr Menschen einen Hund, die nicht dafür geeignet sind?

Die Zahl der Hundeattacken hat in Bayern kontinuierlich zugenommen (Stand 2018).

Die Zahl der Hundeattacken hat in Bayern kontinuierlich zugenommen (Stand 2018).

In Ostbayern ist die Lage laut der Statistik des Innenministeriums ähnlich bedenklich wie im Freistaat insgesamt. Für Niederbayern zählte das Ministerium im Jahr 2018 insgesamt 109 Angriffe auf Menschen und andere Tiere - im Jahr davor waren es sogar 113 und damit fast doppelt so viele wie im Jahr 2011. Im Bezirk Oberpfalz hatte die Zahl der gefährlichen Situationen mit Hunden im Jahr 2016 einen Höchststand erreicht mit 88. Seitdem bewegen sich die Zahlen auf etwa gleich hohem Niveau und liegen etwa ein Drittel höher als im Jahr 2011.

Die Statistik für Niederbayern (Stand 2018).

Die Statistik für Niederbayern (Stand 2018).

Ein Grund für die steigenden Fallzahlen liegt wohl schlichtweg daran, dass es immer mehr Hunde im Land gibt. Bundesweit lebten nach einer Aufstellung des Industrieverbands Heimtierbedarf 9,4 Millionen Hunde in den bundesdeutschen Haushalten. "Die Heimtierpopulation in Deutschland wächst stärker als die Zahl der Haushalte. 22 Prozent aller Haushalte besitzen sogar mindestens zwei Heimtiere", erklärte Verbandspräsident Norbert Holthenrich in einer Mitteilung der Interessensvertretung von Herstellern von Futter, Tierspielzeug und anderem Produkten zur Tierhaltung. "Gut möglich, dass einige der neuen Hundehalter sich zu viel zutrauen", sagt Andrea Aumeier, eine der Vorsitzenden des Tierschutzvereins in Regensburg und Leiterin des Hundehauses am Regensburger Tierheim: "Jeder will sich heute einen Hund anschaffen, hat aber vielleicht weder die Zeit, noch das nötige Know-How dazu."

Die Statistik über Hundeangriffe in der Oberpfalz (Stand 2018).

Die Statistik über Hundeangriffe in der Oberpfalz (Stand 2018).

Mehr als 50 Prozent der Hunde, die im Tierheim Regensburg betreut werden, gelten als verhaltensauffällig: "Solche Hunde werden besonders häufig im Tierheim abgegeben, weil die Besitzer mit ihnen überfordert sind. Mittlerweile überfordern diese Tiere aber auch uns, weil sie extrem viel Betreuung brauchen." Die Fälle gleichen einander sehr stark, sagt Aumeier: "Oft verträgt sich zum Beispiel ein Zweithund nicht mit dem Hund, der schon da ist. Oder er attackiert Kinder. Dann muss der Hund natürlich aus Sicht des Besitzers schnell weg."

"Der schlimmste Hund bisher war ein Dackel"

Dennoch - dass die Zahl der Hunde steigt, erklärt nicht restlos die explodierenden Fallzahlen. Einige Hunderassen gelten als besonders aggressiv. Der Freistaat Bayern unterteilt die Gruppe der sogenannten Kampfhunde in die Kategorien 1 und 2. Zur Ersten gehören Rassen wie der American Pit Bull Terrier, der Staffordshire Bullterrier oder auch der Bandog. Die Namen unter Kategorie 2 sind weniger geläufig - sie lauten etwa American Bulldog oder Dogo Argentino. Bei beiden verlangt der bayerische Staat mindestens eine sogenannte Haltererlaubnis. Bei Kategorie 1 muss der Halter seine Zuverlässigkeit mittels polizeilichem Führungszeugnis nachweisen. In der Öffentlichkeit gelten für diese vielerorts Hunde Leinen- und Maulkorbpflicht.

Endstation Tierheim: Anhand der Rasse lässt sich wenig über die Gefährlichkeit eines Hundes sagen, erklären Experten. (Symbolbild)

Endstation Tierheim: Anhand der Rasse lässt sich wenig über die Gefährlichkeit eines Hundes sagen, erklären Experten. (Symbolbild)

Die tatsächlichen Fallzahlen aber scheinen die Einschätzung der Verwaltung zur Gefährlichkeit der Rassen nicht zu bestätigen - im Gegenteil. Kaum fünf bis zehn Prozent in der Spitze betrug der Anteil dieser vermeintlichen Problemrassen an den Gesamtfallzahlen zu Hundeangriffen. Auch Andrea Aumeier findet deutliche Worte gegenüber idowa: "Aus meiner Sicht ist die Rasseliste totaler Krampf." Die Rasse sage kaum etwas darüber aus, wie problematisch das Verhalten eines Hundes werden kann: "Wenn ich Ihnen sage, dass der schlimmste Hund, den ich je im Tierheim hatte, ein Dackel war, lachen Sie mich aus. Aber es ist so. Wir hatten American Steffordshire da, wir hatten Dogo Argentino - das waren alles eigentlich fast Lämmer im Vergleich zu diesem Dackel." Im Rekordjahr 2017 in Niederbayern gingen gerade mal sieben der 113 gemeldeten gefährlichen Zwischenfälle mit Hunden auf das Konto von Hunden der Kategorie 1 und 2.

Lesen Sie im zweiten Teil des Artikels, was Experten von einem verpflichtenden Hundeführerschein halten würden - und welche Rolle der Tierschutz im Ausland in der Problematik der Hundeangriffe spielt.

Risiko-Rassen und Auslandstierschutz

Vieles deutet also wohl darauf hin, dass die Hunde der vermeintlichen Gefahrkategorien in der Hauptsache von Menschen gehalten werden, die sich mit Hunden auskennen - deshalb passiere vergleichsweise wenig, sagt Aumeier. Insofern würde die regelmäßig geforderte Maßnahme, den Hundeführerschein für Halter verpflichtend zu machen, wohl eher ins Leere laufen. "Wir haben prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, den Haltern den Hundeführerschein zu empfehlen", erklärt Michael Siefener vom Bayerischen Innenministerium gegenüber idowa: "Wir sehen aber keinen Sinn darin, es verpflichtend zu machen. Wir haben schon jetzt strenge Regeln zum Umgang mit potenziell gefährlichen Hunden."

Andrea Aumeier ist Leiterin des Hundehauses am Regensburger Tierheim und Mitglied des Vorstands im Tierschutzverein Regensburg und Umgebung e.V.

Andrea Aumeier ist Leiterin des Hundehauses am Regensburger Tierheim und Mitglied des Vorstands im Tierschutzverein Regensburg und Umgebung e.V.

Auf die Thematik angesprochen, meint Andrea Aumeier vom Regensburger Tierheim, sie wäre schon mit viel weniger zufrieden: "Wenn jeder, der sich einen Hund anschafft, erst mal eine Hundeschule besuchen würde, wäre viel gewonnen. Wenn man die Leute fragt, die bei uns einen Hund abgeben, ob sie schon mal mit einem Hundetrainer gearbeitet hätten, dann heißt es: ‚keine Zeit, kein Geld, keine Lust'." Jedem, der sich einen Hund zulegt, würde sie die Hundeschule empfehlen.

Das Problem mit dem Auslandstierschutz

Zu beobachten sei allerdings, dass sich die problematischen Vorfälle bei Hunden häufen, die über Tierschutzorganisationen aus dem Ausland importiert wurden, meint Aumeier: "Die Fotos aus Rumänien von Tierheimen im Winter appellieren an das Mitleid der Menschen." Doch die Barmherzigkeit hat eine Kehrseite: Die nach Deutschland verschickten Hunde sind zuweilen auf ganz andere Aufgaben geschult - viele von ihnen waren niemals als Familienhunde gedacht. Problematisch, wenn ein solcher Hund auf unerfahrene Halter trifft: "Meistens sind es Hütehunde oder Herdenschutzhunde, die nach Deutschland geschickt werden. Die können keinen sinnvollen Job ausführen und sind eigentlich maßlos überfordert." In einigen ostbayerischen Tierheimen würden solche importierten Hunde bis zu 90 Prozent der Belegung ausmachen, weiß Aumeier von Kollegen.

Das Problem liegt oft am anderen Ende der Leine ? viele unerfahrene Halter sind mit ihren Hunden überfordert. (Symbolbild)

Das Problem liegt oft am anderen Ende der Leine – viele unerfahrene Halter sind mit ihren Hunden überfordert. (Symbolbild)

Wirklich helfen könne auch das Tierheim in vielen Fällen nicht: "Wir haben schon Hunde bekommen, die haben wir nicht einmal anfassen können. Wenn man einen Hund hat, der nie vom Menschen berührt worden ist, dann hat er Panik jedes Mal, wenn er sich mit einem Menschen auseinandersetzen muss." Gleichzeitig müssten die Tiere medizinisch versorgt werden: "Wenn ich einen Hund dafür jedes Mal in Narkose versetzen muss, dann ist das unheimlich belastend."

Oft sind Hunde aus dem Ausland für Familien ungeeignet. Sie sind zum Beispiel Hüte- oder Hirtenhunde. (Symbolbild)

Oft sind Hunde aus dem Ausland für Familien ungeeignet. Sie sind zum Beispiel Hüte- oder Hirtenhunde. (Symbolbild)

Es gehe ihr nicht darum, den Auslandstierschutz an sich zu diskreditieren. Aber gerade die schwarzen Schafe der Branche richten laut Andrea Aumeier viel Leid an. Auch bei guter Betreuung sei die Prognose oft schlecht: "Ich kann einen Hütehund zum Beispiel Leute suchen lassen. Man muss ihn körperlich auslasten. Mit ein paar Stunden am Tag ist das nicht getan. Solchen Rassen eine Aufgabe zu geben, ist fast unmöglich. Für einen Australian Shepherd bräuchte ich eine Schafsherde. Die haben wir nicht."