Thomas Schneider im Exklusiv-Interview

„Es herrscht ein richtig guter Spirit – so wie es sein muss“


Thomas Schneider freut sich auf sein erstes großes Turnier als Co-Trainer der Fußball-Nationalmannschaft.

Thomas Schneider freut sich auf sein erstes großes Turnier als Co-Trainer der Fußball-Nationalmannschaft.

Voller Vorfreude geht Thomas Schneider in sein erstes großes Turnier als Co-Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Im Gespräch mit unserer Zeitung beschreibt der Wahl-Straubinger seine Erwartungen an die Europameisterschaft 2016 und erklärt, warum die EM aus deutscher Sicht nicht unbedingt nur dann eine gute EM wird, wenn am Ende auch der vierte Titel glückt.

Sein erstes Mal soll unvergesslich werden. Ein fröhliches und vor allem friedliches Fußball-Fest wünscht sich Thomas Schneider, wenn er als Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft in sein erstes großes Turnier geht. Ob der intensiven Vorbereitung auf die EURO 2016 waren die Zeitfenster zwar eng bemessen, dennoch hat sich der in Straubing lebende Familienvater die Zeit genommen für ein Interview mit der Heimatzeitung. Der 43 Jahre alte Fußballlehrer spricht über persönliche Erwartungen, sportliche Ziele und den Teamgeist, der die Mannschaft durch das Turnier tragen soll. Am besten bis zum Triumph am 10. Juli.

Während Ihr Chef, Bundestrainer Joachim Löw, in sein sechstes Großturnier geht, steht für Sie in Frankreich eine Premiere an. Mit welchen Erwartungen gehen Sie persönlich in die EURO 2016?
Thomas Schneider: Ich erwarte eine tolle EM. Ich hoffe, dass das Turnier ein friedliches, fröhliches Fest wird, mit großartigen Mannschaften und großartigen Spielen. Ich freue mich sehr auf die Zeit in Frankreich. Es ist einfach schön, in dieser Konstellation zu arbeiten, mit den Spielern, gemeinsam mit Jogi Löw, Oliver Bierhoff, Andy Köpke und Marcus Sorg. Und mit dem Team hinter dem Team. Die gesamte Gruppe funktioniert und harmoniert großartig, es ist zu spüren, wie begeistert alle von der gemeinsamen Aufgabe und den gemeinsamen Zielen sind. Es herrscht ein richtig guter Spirit, so wie es sein muss. Die Vorbereitung läuft gut, ich kann es kaum erwarten, bis wir in Frankreich umsetzen können, was wir uns erarbeitet haben.

Als amtierender Weltmeister gehört das deutsche Team automatisch zum engen Favoritenkreis. Wird die EM 2016 nur dann eine gute EM, wenn am Ende auch der vierte Titel glückt?
Schneider: Nein. Wir haben unser Ziel schon oft formuliert. Natürlich wollen wir die EM gewinnen, wir sind Weltmeister, einen anderen Anspruch können wir gar nicht haben. Aber andere haben ähnliche Ambitionen, mit ähnlicher Berechtigung. Wenn wir unser Ziel nicht erreichen, dann werden wir enttäuscht sein, das bedeutet aber nicht, dass wir dann auch enttäuscht haben müssen. Ihre Formulierung finde ich passend: "…ob der Titel glückt". Denn natürlich müssen viele Faktoren hinzukommen, damit ein solcher Erfolg gelingt. Und Glück gehört auch dazu. Enttäuscht wäre ich vor allem, wenn es uns im Turnier nicht gelingen würde, unser Potenzial abzurufen.

Wird Spanien, das zwischen 2008 und 2012 mit zwei EM-Triumphen und einem WM-Titel eine Erfolgs-Ära prägte, zum Gradmesser für das deutsche Team?
Schneider: Was die Spanier erreicht haben, ist unglaublich stark, sie haben mit ihrem Fußball Maßstäbe gesetzt, eine Epoche geprägt. Und ich bin weit davon entfernt, sie abzuschreiben, nur weil sie ihre ganz große Dominanz verloren haben. Sie haben immer noch eine Mannschaft, die absolut titelfähig ist. So wie neben uns noch einige andere Teams. Frankreich natürlich ganz besonders. Welche Qualität sie haben, hat man schon in Brasilien gesehen, jetzt spielen sie zuhause. Wenn sie das nicht lähmt, dann ist sehr mit ihnen zu rechnen. Bei einem Turnier muss man Italien immer auf der Liste haben, England schätze ich hoch ein, und Belgien ist nicht ganz zufällig Weltranglistenerster. Der Kreis der Favoriten ist groß, und wir gehören ganz sicher dazu.

Ist eine Europameisterschaft schwieriger zu gewinnen als eine Weltmeisterschaft?
Schneider: Schon mit Blick auf Brasilien gilt dies unter mehreren Aspekten nicht mehr. Aus deutscher Sicht alleine wegen der klimatischen Verhältnisse. Früher hat man das vor allem deshalb gesagt, weil das Teilnehmerfeld bei Europameisterschaften erheblich kleiner war und schon in der Vorrunde Gegner drohten, die richtig hohe Qualität haben. Noch bei der EM 2012 hat Deutschland in der Gruppenphase gegen die Niederlande und Portugal gespielt, so hätte auch die Finalpaarung lauten können, dazu gegen die starken Dänen. Durch die Aufstockung hat sich das jetzt ein klein wenig geändert. Wobei ich damit nicht sagen will, dass wir bei der EM in Frankreich leichte Gegner in der Vorrunde haben. Über die Stärke Polens müssen wir nicht reden, aber auch die Ukraine und Nordirland sind unangenehm und gefährlich.

"Wir haben zum Glück einen turniererfahrenen und intelligenten Kader"

Bei Länderspielen können Sie nur für ein paar Tage mit dem Team arbeiten. Im Vorfeld und während der EM sind Trainerteam und Mannschaft jedoch für mehrere Wochen beisammen. Welche besonderen Herausforderungen werden dabei an den Trainerstab gestellt?
Schneider: Die besonderen Herausforderungen bestehen eigentlich eher bei den "normalen" Länderspielen, eben weil wir bei diesen so wenig Zeit haben. Die Situation vor und während der Turniere ist im Vergleich dazu ja beinahe Luxus. In der Vorbereitung können wir uns die Grundlagen erarbeiten, konditionell, taktisch, spielerisch, während des Turniers geht es dann um Details. Wir haben auch das Glück, dass wir einen zwar noch jungen, aber schon sehr reifen, turniererfahrenen und intelligenten Kader haben. Wir müssen keinen Spieler motivieren, wir müssen auch kein Unterhaltungsprogramm zusammenstellen. Die Spieler sind fokussiert, sie wissen, was sie zu tun haben.

Im November letzten Jahres erlebte die deutsche Nationalelf beim Länderspiel in Paris eine Nacht des Terrors. Die Anschläge in der Stadt, auch rund um das Stadion in St. Denis, haben Entsetzen ausgelöst. Welche Gefühle begleiten Sie - Trainer- und Betreuerstab sowie Spieler - angesichts der Rückkehr nach St. Denis zum Vorrundenspiel gegen Polen?
Schneider: Ich kann nur über mich reden und für mich kann ich sagen, dass ich schon ein paar Tage brauchte, um die Ereignisse Ende letzten Jahres zu verarbeiten. Insgesamt aber haben wir Vertrauen in die für Sicherheit zuständigen Stellen, in Deutschland genauso wie in Frankreich. Ich wünsche mir sehr, dass der Fußball in den nächsten Wochen im Mittelpunkt steht. Frankreich ist ein Fußball-Land mit tollen Stadien und liebenswerten Menschen. Ich hoffe auf einen friedlichen, stimmungsvollen Turnierverlauf.

Sie sind Jahrgang 1972. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Europameisterschaft 1984 in Frankreich?
Schneider: Das ist mehr als 30 Jahre her, Details weiß ich nicht mehr aus der eigenen Erinnerung. Aber natürlich habe ich den Turnierverlauf grob im Kopf. Unsere Mannschaft ist früh ausgeschieden, sehr unglücklich. Im letzten Vorrundenspiel gegen Spanien war viel mehr drin, das Aus kam durch ein sehr spätes Gegentor. Ansonsten war es das Turnier von Michel Platini. Seine neun Treffer sind bis heute und wahrscheinlich noch für lange Zeit EM-Rekord. Platini hat die Franzosen fast im Alleingang zum Sieg bei der Heim-EM geführt.