Straubinger Musiker im Interview

Das hält Mathias Kellner von den Aussagen des Spotify-Chefs


"Bei Streamingdiensten wie Spotify verlieren nicht nur Musiker den Durchblick, sondern auch Plattenfirmen", sagt Mathias Kellner.

"Bei Streamingdiensten wie Spotify verlieren nicht nur Musiker den Durchblick, sondern auch Plattenfirmen", sagt Mathias Kellner.

Von Redaktion idowa

Der 35-jährige Mathias Kellner aus Straubing ist Künstler aus Leidenschaft. Er sieht sich selbst als "Musiker und Kabarettist". Seit einigen Jahren verdient er damit seinen Lebensunterhalt. In Zeiten von Corona kein leichtes Unterfangen. Und dann wären da ja auch noch Streamingdienste wie Spotify, die Berufsmusikern das Leben erschweren. Vor wenigen Wochen sorgte Spotify-Chef Daniel Ek bei vielen Musikern für Empörung. Sein Vorwurf: Die meisten Musiker würden nicht mit der Zeit gehen. Alle paar Jahre ein neues Album zu veröffentlichen, würde eben nicht mehr reichen. Deshalb würden diese Musiker mit Spotify kaum etwas verdienen. Was Mathias Kellner von dieser Aussage hält und wie er generell zu Streamingdiensten steht, das verrät er im Interview mit idowa.

Herr Kellner, mittlerweile gibt es eine neue Ära im Musikbusiness, eingeleitet von Streamingdiensten wie Spotify. Wie stehen Sie zu diesen Angeboten?

Kellner: Geteilt. Für die Kids, die Musik kennenlernen wollen und neugierig sind, was es alles gibt, ist das eine super Sache. Für meine Generation war das damals deutlich schwieriger. Wir waren auf die richtigen Kontakte angewiesen, die uns irgendein Tape zugesteckt haben, wo dann mal was drauf war, das man für sich entdeckt hat. Insofern verstehe ich das aus Sicht der Hörer voll und ganz.

"Wir reden hier über vielleicht 80 Euro im Jahr"

Und aus Sicht der Musiker, die auf die Einnahmen durch Album-Verkäufe angewiesen sind?

Kellner: Für uns ist es gelinde gesagt "beschissen". Ganz einfach deshalb, weil faktisch kein Geld dabei verdient wird, obwohl man teils Tausende oder sogar Hunderttausende Streams hat. Da bleibt halt kaum was hängen. Und damit meine ich jetzt nicht "ein paar Tausend Euro", sondern hier reden wir über vielleicht 80 Euro im Jahr.

Hätten Sie einen Lösungsansatz, wie man diese Diskrepanz besser regeln könnte?

Kellner: Nein, den habe ich ehrlich gesagt nicht. Selbst wenn man Spotify ein gutes Stück teurer machen würde und den Künstlern mehr auszahlt, dann hätte das eher zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt weniger Leute Spotify nutzen würden. Und dann käme es wahrscheinlich wieder aufs Gleiche raus.

Bei den zuletzt getätigten Aussagen von Spotify-Chef Daniel Ek kann Musiker Mathias Kellner nur ungläubig mit dem Kopf schütteln.

Bei den zuletzt getätigten Aussagen von Spotify-Chef Daniel Ek kann Musiker Mathias Kellner nur ungläubig mit dem Kopf schütteln.

Um zumindest ein bisschen mehr durch Streamingdienste zu verdienen, gehen ja nun einige Musiker her und gründen ihre eigene Plattenfirma. Wäre das für Sie persönlich auch ein denkbares Modell?

Kellner: Eher nicht. Denn mein Geschäft ist immer schon eher das Live-Geschäft. Zwar mache ich regelmäßig Alben, aber das ist absolut nicht mein Steckenpferd. Mein Platz ist einfach auf der Bühne. Bei mir geht der Gedanke mittlerweile eher in die Richtung, dass ich mir überlege, meine nächsten Alben vielleicht nur noch in einem billigen Pappschuber zu machen und die dann auf meinen Konzerten zu verschenken. Da weiß ich dann zumindest, dass die Leute sich das Album wenigstens ein Mal anhören.

"Man kriegt die Abrechnung und versteht die Welt nicht mehr"

Und bei Spotify setzen sich die Hörer zu wenig mit der Musik auseinander?

Kellner: Das kann ich nicht beurteilen, aber ich finde es generell einfach unübersichtlich. Man sieht zwar die Anzahl der Streams und denkt sich rein von der Menge her, dass das ja ganz schön viel ist. Und dann kriegt man eine Abrechnung und versteht die Welt nicht mehr. Noch nicht mal meine Plattenfirma blickt da noch durch.

Was Mathias Kellner zu den umstrittenen Aussagen von Spotify-Chef Daniel Ek sagt, das lesen Sie auf der nächsten Seite.

"Von Kunst und Musik hat dieser Mensch keine Ahnung"

Haben Sie denn je mit dem Gedanken gespielt, sich noch mehr auf Spotify und Co. einzulassen als bisher?

Kellner: Nein, für mich war das nie eine Option, mich da mehr reinzuhängen. Denn ich weiß, selbst wenn ich da jetzt versuchen würde, alles ideal zu nutzen, dann wäre das nicht ansatzweise rentabel. Ob ich jetzt 80 Euro damit "verdiene" oder 95 Euro ist mir dann ehrlich gesagt auch schon egal. Wenn man meiner Meinung nach mit Spotify wirklich Geld machen möchte, dann braucht man zig Millionen Streams und die werde ich sowieso nie haben, weil meine Musik dafür viel zu sehr "Sparte" ist.

Und reine Live-Alben wären keine Alternative?

Kellner: Das hatte ich mir auch schon überlegt. Ich bin prinzipiell ein großer Fan von Live-Alben. Aber oft habe ich da halt das Gefühl, dass die Live-Atmosphäre auf so einem Album nicht wirklich eingefangen werden kann. Da muss man eben direkt dabei gewesen sein. Vor allem bin ich ja mit meinem jetzigen Programm nur noch allein mit der Akkustik-Gitarre unterwegs. Das Programm ist zur Hälfte Kabarett. Das funktioniert auf einem Live-Album eher nicht so.

"Kreativität kann man nicht erzwingen"

Spotify-Chef Daniel Ek hat ja unlängst für Empörung unter Musikern weltweit gesorgt, weil er ihnen mehr oder weniger Faulheit unterstellt hat. Seiner Ansicht nach reicht es eben nicht mehr, alle drei oder vier Jahre ein neues Album zu veröffentlichen...

Kellner: (lacht) Da merkt man halt, wie wenig dieser Mann Kunst und Musik versteht. Er ist ein reiner Geschäftsmann und von seinem Geschäft hat er Ahnung. Deshalb macht er damit auch Kohle. Aber sein Vorwurf klingt so, als würden sich die Musiker das aus Bequemlichkeit aussuchen, nur alle paar Jahre etwas Neues zu veröffentlichen. Und das ist Schwachsinn. Denn Kreativität kann man nicht erzwingen. Es braucht Zeit, Lieder zu komponieren und zu arrangieren.

Dass die Vormachtstellung von Spotify beileibe kein neues Phänomen ist, darüber berichtet Mathias Kellner auf der nächsten Seite.

Möchte Spotify das Musikbusiness umerziehen?

Daniel Ek hat ebenfalls gesagt, dass die Künstler, die mit der Zeit gehen, sich anpassen und regelmäßig neue Musik online stellen, sehr wohl gut davon leben können.

Kellner: Das mag schon sein. Aber da geht es ja nur noch um die Menge. Ständig neuer Content. Das ist wie am Fließband. Wer so etwas machen möchte, der kann das gerne machen. Ohnehin habe ich so ein bisschen den Eindruck, die Spotify-Macher möchten, dass alles nach ihrer Pfeife tanzt. Aber so hat sich noch nie etwas entwickelt. Über solche Aussagen von Daniel Ek kann ich also nur mit dem Kopf schütteln, denn man erkennt sofort, dass er von der Materie keinen blassen Schimmer hat.

Sehen Sie denn die Gefahr, dass Spotify mit solchen Aussagen die gesamte Musikbranche ein Stück weit "umerziehen" möchte?

Kellner: Diese Gefahr sehe ich definitiv. Das ist allerdings auch kein ganz neues Phänomen. Das gab es schon immer. Früher hat halt das Radio die Richtung vorgegeben. Trotzdem gab es da auch abseits des Mainstreams immer eigene Strömungen, wodurch Radiostationen förmlich dazu gezwungen wurden, die jeweilige Musik trotzdem zu spielen - ob sie wollten oder nicht. Im Endeffekt hat Spotify nur die großen Plattenfirmen abgelöst. Früher wurde man von den großen Plattenfirmen abgezockt, heute eben von Spotify.

Siehe das Beispiel Falco...

Kellner: Wie Falco, genau. Da haben damals alle gesagt, "Das kann man ja nicht spielen. Das ist ja irre" und dann ist er einfach so populär geworden, dass die Radiostationen Falco spielen mussten. Und siehe da: An Falco erinnert sich heute noch jeder.

Wie Mathias Kellner die Zukunft im Musikbusiness sieht und wie er die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren bekommen hat, das lesen Sie auf der nächsten Seite.

"Die Zwangspause hat mir gezeigt, wie sehr ich die Bühne vermisse"

Ein Blick in die Glaskugel. Sehen Sie in zehn Jahren noch CDs und Schallplatten auf dem Markt?

Kellner: Wenn es so weiter geht, dann sehe ich sogar wieder Kassetten auf dem Markt. Denn einen gewissen Nostalgie-Trend gab es ja trotzdem auch immer irgendwie - zum Glück.

Sie haben es vorhin bereits erwähnt, Ihr Platz ist auf der Bühne. In den letzten Monaten war das ja wegen der Corona-Krise samt Lockdown nicht möglich. Hatten Sie in dieser Zeit Zukunftsängste?

Kellner: Einerseits muss ich zugeben, dass ich diese Zwangspause gar nicht so schlimm fand. Denn ich war jahrelang sehr viel unterwegs und bin kaum zur Ruhe gekommen. Unter dem Aspekt war das gar nicht so schlecht. Außerdem hat mir der Verzicht gezeigt, wie sehr ich daran hänge, auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen. Rein finanziell war das natürlich eine andere Sache.

Inwiefern?

Kellner: Mich hat der Lockdown eiskalt erwischt. Ich war zu der Zeit gerade auf Tour und plötzlich ging nichts mehr. Mein erster Gedanke galt da natürlich sofort meiner Familie und wie ich das hinkriegen soll, uns finanziell über Wasser zu halten. Zum Glück hatte ich durch die zahlreichen Konzerte der letzten Jahre noch ein gewisses Polster, aber das hält auch nicht ewig. Ich bin Realist genug, um zu sehen, dass uns die Corona-Thematik noch lange verfolgen wird. Und falls es hart auf hart kommen sollte und ich irgendwann nicht mehr von der Musik leben könnte, dann müsste ich mir eben einen anderen Job suchen.