Straubinger Kniekoryphäe

Dr. Eichhorn legt das OP-Messer aus der Hand


Wenn auch nicht mehr als Operateur, ist Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn in seiner Praxis weiter für die Patienten da. Er widmet sich nun vor allem der konservativen Behandlung.

Wenn auch nicht mehr als Operateur, ist Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn in seiner Praxis weiter für die Patienten da. Er widmet sich nun vor allem der konservativen Behandlung.

Kniekoryphäe Dr. Eichhorn hat das OP-Messer aus der Hand gelegt. Schluss ist aber noch lange nicht, er fokussiert sich nun auf die konservative Behandlung.

Am 19. Dezember des vergangenen Jahres war ein Tag des Abschieds für Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn. Es war sein Abschied von der Operation. Zum letzten Mal hat er an diesem Tag das OP-Messer in die Hand genommen. Als er aus dem OP-Saal kam, standen seine OP-Helferinnen Spalier, es wurde emotional, es flossen auch Tränen. Und anschließend wurde gefeiert. Von einer großen "Messer-aus-der-Hand-lege-Party" spricht Eichhorn einige Monate später.

Dass er zum Ende des vergangenen Jahres als Operateur abtreten würde, stand für ihn schon länger fest. Im September wird er 70 Jahre alt - "und für mich war immer klar, dass keine sieben vorne stehen darf, wenn ich noch operiere." Seine letzte Operation war noch einmal ein Highlight, erzählt Eichhorn: "Ein türkischer Nationalspieler von Fehnerbahce Istanbul. Dem habe ich ein Kreuzband eingebaut und den Meniskus wieder zusammengeflickt."

Ein Spalier zum Abschied. Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn nach seiner letzten Operation.

Ein Spalier zum Abschied. Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn nach seiner letzten Operation.

Dass Dr. Eichhorn mit knapp 70 als Kniekoryphäe und einer der bedeutendsten Sportärzte überhaupt das OP-Messer aus der Hand legen würde, das war im Leben des gebürtigen Hageners (Nordrhein-Westfalen) lange nicht absehbar. In seiner Schulzeit spielte er vor allem gerne Handball, die Schule litt ein wenig, sein Abitur bezeichnet er als "eher lausig". Sein früherer Lateinlehrer, scherzt Eichhorn, dürfe nicht wissen, dass er später einmal ein erfolgreicher Arzt geworden ist.

Eine "Fehldiagnose" als Wendepunkt

Doch ein Erlebnis gab Eichhorns Leben eine Wende. Als er 23 Jahre alt war, er studierte nach dem Abitur BWL, verletzte er sich beim Handball am Knie. Ein hinterer Kreuzbandriss wurde damals diagnostiziert. "Eine Fehldiagnose", ist sich Eichhorn mit seinem heutigen Wissen sicher. Mit der eigenen Verletzung kam er erstmals mit der Medizin in Berührung - und bei ihm entwickelte sich eine große Leidenschaft dafür.

Ein Medizinstudium für den Sohnemann konnten sich Eichhorns Eltern, Besitzer eines kleinen Tante-Emma-Ladens, nicht leisten. Also packte Eichhorn selbst an. "Mir war egal, was ich mache, Hauptsache ich bekam schnell viel Geld", blickt er zurück. Er arbeitete im Stahlwerk, auch bei der Müllabfuhr.

Schon zu Beginn des Medizinstudiums war für Eichhorn klar, dass er in die operative Sportmedizin gehen will. Darauf hat er sich gezielt vorbereitet, hat beispielsweise als Gasthörer ein Rumpf-Sportstudium an der Sporthochschule in Köln gemacht. Ohne Abschluss, nur, um das für ihn Wissenswerte mitzunehmen. Zum Ende seines Studiums war Eichhorn in Amerika, hat sich dort weitergebildet und die Idee mitgebracht, sich innerhalb einer Praxis zu spezialisieren. Das, sagt Eichhorn, wird inzwischen auch in Krankenhäusern immer mehr umgesetzt. Das sporthopaedicum war in Deutschland Vorreiter. Als Eichhorn diese Idee 1987 aus den USA mitbrachte, glaubte der damalige Professor an der Bochumer Universität nicht, dass das in Deutschland umsetzbar sei - und hielt Eichhorn vier Jahre die Oberarztstelle frei. Das sorgte für Ruhe bei Eichhorn, er wusste aber sehr schnell, dass er von diesem Angebot nie würde Gebrauch machen müssen. Die Idee war ein einziger Erfolg.

Von der Unterversorgung zur Pilgerstätte

Es ist irgendwie paradox. 1987 kam Eichhorn nach Ostbayern, weil die Region sportmedizinisch als unterversorgt galt. Heute ist Straubing eine Pilgerstätte für verletzte Sportler, ganz besonders bei Knieverletzungen. Das verdeutlicht in allererster Linie, was Eichhorn mit seinen Unterstützern geschaffen hat. Angefangen in einer Ein-Mann-Praxis in der Straubinger Bahnhofsstraße, der alten Hartmann-Praxis, baute er im Laufe der Zeit die größte orthopädische Praxis in Deutschland auf. Anfangs mietete er einmal wöchentlich für vier Stunden am Mittwochnachmittag einen OP-Saal an, heute werden vom sporthopaedicum 15.000 bis 20.000 Eingriffe jährlich gemacht. Alleine Eichhorn führte in seinen Hochzeiten rund 1.500 Operationen pro Jahr durch.

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Fragt man Eichhorn nach dem Geheimnis der Erfolgsgeschichte, dann nennt er einige Punkte. Zuallererst sein Team: "Ich hatte unheimliches Glück mit den Mitarbeitern, ob OP-Schwestern oder Sprechstundenhilfen." Während des Gesprächs bringt eine Sprechstundenhilfe Kaffee. "Tina ist seit 33 Jahren bei mir", sagt Eichhorn. Mit OP-Schwestern hat er im Durchschnitt 20 Jahre zusammengearbeitet. "Da musste man nicht mehr groß über die Operation reden. Die haben auf den Monitor geschaut und wussten, was ich brauche." Dadurch seien Ruhe und Präzision bei der OP gewährleistet gewesen.

Ein weiterer Erfolgsfaktor: "Wir haben nicht einen Big Boss und viele Zuarbeiter, sondern wir haben lauter Big Bosse", schildert Eichhorn die flache Hierarchie des sporthopaedicums. Über die Jahre hat man sich um die besten Leute in ihrem Gebiet bemüht. "Und jeden, den wir haben wollten, haben wir auch bekommen", sagt Eichhorn nicht ohne Stolz. Im sporthopaedicum können sich die Ärzte auf ihr Spezialgebiet konzentrieren. "Ein Chefarzt muss auch mal Operationen machen, die ihm nicht so viel Lust machen. Bei uns macht jeder das, was ihm Spaß macht." Daraus folgt wiederum, dass jeder Patient immer von einem Spezialisten in seinem Bereich betreut wird. Ob zu viele Alpha-Rüden auch ein Problem darstellen können? "Jeder weiß genau, was er will, da können die Gespräche auch einmal sehr gehaltvoll sein, denn ein richtig Guter lässt sich nicht vorschreiben, was er macht", sagt Eichhorn. "Aber es hat super funktioniert und wir haben immer eine gute Lösung gefunden. Das erfordert auch ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft."

Oldtimer statt Knie: Wofür Dr. Eichhorn nun mehr Zeit hat

Eichhorns Spezialität war immer das Knie, vor allem das Kreuzband. "Ich kriege durch meine Erfahrung mit den Händen raus, ob ein Kreuzband kaputt ist", sagt er. Schon Anfang der 80er-Jahre hat er an der Universität in Bochum die endoskopische Kniechirurgie vorangetrieben. Damals wurde er noch dafür belächelt. "Andere Ärzte haben gesagt: Ich schneide das Knie auf und bin in einer halben Stunde fertig", erzählt Eichhorn. Er hat zum Teil zwei Stunden an einem Knie operiert. Heute sind die Kamerasysteme und Instrumente deutlich besser. "Jetzt sind wir in der Lage, selbst größere Bandplastiken endoskopisch durchzuführen", sagt Eichhorn. Für die Weiterentwicklung arbeitete Eichhorn dabei auch mit großen Firmen zusammen, die seine Ideen umgesetzt haben. Zudem war er jedes Jahr sechs bis acht Wochen im Ausland, um zu lernen und sich auszutauschen. "Da hat man viel gehört, was man nicht mitbekommt, wenn man immer nur vor Ort ist. Manches wurde auch erst an der Bar ausgetauscht", sagt er. Einige Punkte hat er nach und nach in sein Repertoire eingebaut.

Eine "Granate"? Die musste Klaus Eder sehen

Viele seiner Patienten sind über den Profisport gekommen. Der ehemalige Nationalspieler Martin Wagner vom 1. FC Kaiserslautern war der erste. Dadurch hat sich rumgesprochen, dass in Straubing, wo Eichhorn übrigens auch zwölf Jahre lang Mannschaftsarzt der Tigers war, ein sehr guter Arzt ist. Viele bekannte Sportler folgten auf Wagner, sie aufzulisten, würde den Rahmen sprengen. Auch der Donaustaufer Klaus Eder, langjähriger Physiotherapeut der Fußball-Nationalmannschaft, hat das schnell mitbekommen. "Mich hat damals Dr. Ebner angerufen, dass er eine Granate an Land gezogen hat", erinnert sich Eder. Diese Granate, dachte sich Eder, müsse er mal persönlich kennenlernen. "Wir haben uns von Anfang an super verstanden, es hat sich auch abseits des Berufes eine Freundschaft entwickelt", erzählt der Physio. Auch, weil seine Frau und Dr. Eichhorn mit der Jagd und Oldtimern die gleichen Hobbys hätten.

Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn (rechts), hier mit Ex-BVB-Profi Sven Bender hat einige Profisportler operiert. (Foto: imago)

Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn (rechts), hier mit Ex-BVB-Profi Sven Bender hat einige Profisportler operiert. (Foto: imago)

Eder lobt "die Fachkompetenz und den Charakter" Eichhorns. "Das findet man in dieser Kombination ganz selten." In 30 Jahren Zusammenarbeit habe es nie Streit, nie ein böses Wort gegeben. Auch dass Eichhorn nie dick aufgetragen habe oder in die Öffentlichkeit geprescht sei, schätzt Eder an Eichhorn. Viele seien nun traurig, dass Eichhorn aufhöre, sagt Eder. Aber ganz hört Dr. Eichhorn ohnehin noch nicht auf. Im Gegenteil: Man spürt förmlich, wie er nach wie vor für sein Thema brennt. Bemerkenswert. Eine Begeisterung, die viele in ihrem Berufsleben wohl nie erreichen.

Noch lange nicht Schluss

Eichhorn wird auch weiter im sporthopaedicum arbeiten, dreimal die Woche hält er noch eine Sprechstunde ab. "Das mache ich so lange ich Spaß daran habe oder bis ich tot umfalle", sagt Eichhorn. Er will sich nun vor allem der konservativen Behandlung widmen. Denn auch wenn Eichhorn in seinem Leben sehr viel operiert hat, so war das für ihn immer nur die letzte Behandlungsmethode, wenn nichts anderes mehr ging. Tissue Engineering, auf Deutsch die künstliche Herstellung von biologischem Gewebe, werde die Zukunft sein, glaubt Eichhorn. "Wir arbeiten daran, irgendwann in der Lage zu sein, aus Kreuzbandzellen ein ganzes Kreuzband zu züchten", sagt der Knie-Spezialist. Auch hier ist das sporthopaedicum als Kooperationspartner der Regensburger Universität vorne dabei.

Über ein halbes Jahr nach seiner letzten Operation vermisst Dr. Eichhorn vor allem eines: die Teamarbeit. Das Operieren an sich fehlt ihm weniger. Im Gegenteil, seit er nicht mehr operiert, schläft Eichhorn besser. "Als Operateur hat man doch immer ein gewisses Anspannungslevel. Das merkt man nicht, solange es da ist. Erst jetzt habe ich gemerkt, wie leicht es wird, wenn die Anspannung weg ist, man die Operationen vom nächsten Tag nicht schon im Kopf durchgeht."

Oldtimer statt Knie

Zum Messer greifen zukünftig andere Ärzte des sporthopaedicums. Privatdozent Dr. Bode zum Beispiel, der Nachfolger Eichhorns. Als hervorragenden Mann stuft ihn Eichhorn ein. Ohnehin sieht er das sporthopaedicum auch für die Zukunft bestens aufgestellt. Er wünscht sich, dass man weiter Vorreiter bleibt. "Man sollte wohl portioniert auf den Fortschritt hören. Nicht bei allem mitgehen, aber dennoch Trendsetter sein", sagt er. Zudem wünscht sich Eichhorn, dass im sporthopaedicum immer der Patient im Mittelpunkt bleibt. Die Geschicke der Praxis liegen aber schon länger in anderen Händen. Denn per Vertrag erlischt ab einem gewissen Alter das Stimmrecht eines Arztes innerhalb des Teams. "Es ist wichtig, dass die Jungen am Ende das Sagen haben, dass die alten Knacker durch ihre Halsstarrigkeit nicht Innovation und Fortschritt blockieren", sagt Eichhorn. Zu oft erlebe man, dass die Alten nicht abtreten könnten.

Eichhorn selbst hat kein Problem, sich zurückzunehmen. Jemand für die große Bühne war er ohnehin nicht. Er ließ lieber seine Taten für sich sprechen. Nun freut er sich darauf, etwas mehr Zeit außerhalb der Praxis zu verbringen. Wie viel Freizeit er nun mehr habe, kann er nicht genau quantifizieren, die Übergänge seien fließend. Im sporthopaedicum ist er noch dreimal die Woche, aber er bildet sich durch Bücher und TV-Sendungen nach wie vor weiter, schaut auch mal auf dem Hochsitz bei der Jagd ein MRT-Bild an. Aber deutlich mehr Zeit als früher hat er dennoch. Für seine fünf Kinder und seine fünf Enkelkinder in erster Linie. Aber auch für die Hobbys, für die Jagd und die Oldtimer. "Statt an Knien schraube ich jetzt eben an alten Autos herum", sagt Dr. Eichhorn und lacht.