Sportwissenschaftler im Interview

"Kriegen das Scheitern des Profi-Fußballs vor Augen geführt"


Bundesliga-Fußball in Zeiten von Corona: keine Zuschauer, keine Stimmung. Der eigentliche Klassiker im Rennen um die Meisterschaft zwischen Borussia Dortmund und Bayern München hatte dadurch nur noch Freundschaftsspiel-Charakter.

Bundesliga-Fußball in Zeiten von Corona: keine Zuschauer, keine Stimmung. Der eigentliche Klassiker im Rennen um die Meisterschaft zwischen Borussia Dortmund und Bayern München hatte dadurch nur noch Freundschaftsspiel-Charakter.

Von Redaktion idowa

Der Profi-Fußball am Scheideweg. Ohnehin bröckelte die millionenschwere Fassade in den letzten Jahren gewaltig. Astronomische Gehälter und Transfersummen für Spieler, Fans, die sich ausgebootet fühlen, und dazu auch noch Skandale wie den um die WM 2006. Doch jetzt hat der Fußball in Deutschland wohl die größte Hürde zu überwinden: die Corona-Krise. Auch im Hinblick darauf hat der Würzburger Sportwissenschaftler Prof. Dr. Harald Lange ein neues Projekt initiiert und stellt dabei die Frage: "Welchen Fußball wollen wir?" Im Interview mit idowa spricht der renommierte Wissenschaftler über die Beweggründe für dieses Forschungsprojekt und wie er zur aktuellen Vorgehensweise im deutschen Profi-Fußball steht.

Herr Prof. Dr. Lange, was war denn der Anlass für dieses Projekt?

Prof. Dr. Harald Lange: Die Idee dazu hatte ich gleich zu Beginn des Semesters, als wir die Lehre an der Uni Würzburg komplett auf online umgestellt haben. Dabei merkte ich, dass man auf diesem Weg ganz leicht Studierende aus ganz Deutschland zu einem Spezialthema versammeln kann. Und der Auslöser für genau dieses Thema mit der Frage "Welchen Fußball wollen wir?" ist die aktuelle Debatte, die der Fußball erlebt.

Wie wirkt sich denn die aktuelle Debatte Ihrer Ansicht nach auf den Fußball aus?

Prof. Dr. Lange: Noch nie war der Reformdruck so groß wie jetzt und noch nie waren gute Ideen für eine Neugestaltung des Fußballs so gefragt wie jetzt.

Wer beteiligt sich an dem Projekt?

Prof. Dr. Lange: Hauptsächlich Studenten aller möglichen Studiengänge aus ganz Deutschland. Wobei ein Studium nicht zwingend erforderlich ist. Unter Umständen können sich auch Gäste daran beteiligen. Entscheidend ist die Begeisterung für den Fußball und eine entsprechend engagierte Beteiligung.

Prof. Dr. Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Er prognostiziert dem deutschen Profi-Fußball schwere Zeiten.

Prof. Dr. Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Er prognostiziert dem deutschen Profi-Fußball schwere Zeiten.

Nun haben Sie ja in Zusammenhang damit auch den Blog "www.vierzunull.de" ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?

Prof. Dr. Lange: Wir wollen im Rahmen dieses Projektes vier verschiedene Parteien mit ins Boot holen, die allesamt für den Fußball wichtig sind: Spieler, Sponsoren, Medien und natürlich die Fans. Diese vier Säulen tragen das Grundgerüst des Fußballs. Deshalb wollen wir die Perspektiven dieser vier Gruppen in der Seminararbeit und der Forschung genauer untersuchen. Das gesamte Online-Seminar ist deshalb öffentlich konzipiert.

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie auf der nächsten Seite.

"Geisterspiele": kein Heimvorteil mehr, keine Stimmung

Nun fand ja gestern der Bundesliga-Klassiker schlechthin statt: Borussia Dortmund gegen Bayern München. An sich ja ein echtes Schmankerl für jeden Fußball-Fan. Sportlich ging es um das Duell in der Meisterschaft und das Dortmunder Stadion ist weltweit für seine grandiose Stimmung bekannt. Wegen der "Geisterspiele" war aber keinerlei Stimmung geboten. War es für Sie noch ein echter Klassiker?

Prof. Dr. Lange: Ich habe mir das zwar angeschaut, aber es fehlte für mich eigentlich alles an Dramatik, was dieses Duell sonst so mit sich bringt. Daher habe selbst ich das ziemlich emotionslos verfolgt. Man merkt auch, dass es aktuell keinen Heimvorteil mehr gibt. Es kann ja keine Stimmung mehr von den Rängen auf das Spielfeld überschwappen. Daher fehlten für mich auch die Emotionen auf dem Platz.

Hat das für Sie derzeit nicht auch irgendwie etwas von einem Freizeit-Kick, den man sich nebenbei im Stadtpark ansieht? Qualitativ zwar nicht vergleichbar, aber auch dort steht man teilnahms- und emotionslos daneben und schaut sich das so ein bisschen an.

Prof. Dr. Lange: Das ist eine gute Metapher und ein guter Vergleich. Man sieht halt nur dieses Fußballspiel, aber der Reiz daran ist längst nicht damit vergleichbar, was vor der Corona-Krise in den Stadien durch Gesänge und Choreografien da war. Der Unterhaltungsfaktor bleibt weitestgehend auf der Strecke.

"Fußballer dürfen in der Gesellschaft keinen Sonderstatus bekommen"

Finden Sie, es war die richtige Entscheidung, diese Bundesliga-Saison noch weiterzuführen?

Prof. Dr. Lange: Das kann man gar nicht so pauschal beantworten, weil das ja auch immer davon abhängt, wie die Pandemie verläuft. In der Hinsicht sieht es ja momentan wieder besser aus. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung, die Saison fortzusetzen, sicherlich richtig. Allerdings hätte ich das vor zwei Monaten noch ganz anders gesehen. Insofern war es zum damaligen Zeitpunkt schon sehr skurril, dass damals derart offensiv die Debatte geführt wurde, ob Fußballer eine Art "Sonderstatus" bekommen und wieder spielen dürfen.

Inwiefern fanden Sie das skurril?

Prof. Dr. Lange: Weil es ganz massiv zur Spaltung hinsichtlich des Fußballinteresses beigetragen hat. Auch dadurch ist der Profi-Fußball in der öffentlichen Wahrnehmung in eine Krise geraten. Viele Fans wenden sich bereits jetzt davon ab und in einem zweiten Schritt vielleicht auch Sponsoren.

Hat es Sie überrascht, dass durch die Saison-Unterbrechung so viele Profivereine derart schnell in finanzielle Probleme geraten sind?

Prof. Dr. Lange: Das hat mich in der Tat sehr überrascht. Es gibt da zwar auch plausible Gründe dafür, weil die Clubs häufig das Geld, das sie einnehmen, sofort wieder ausgeben. Wie man jetzt weiß, ist es in einigen Fällen sogar so, dass Clubs sogar Geld ausgeben, das sie noch nicht einmal bekommen haben, wie zum Beispiel Fernsehgelder. All das deutet darauf hin, dass sich auch die Vereine perspektivisch völlig anders aufstellen müssen.

Den dritten Teil des Interviews lesen Sie auf der nächsten Seite.

"Staatliche Hilfen für Bundesliga-Clubs wären absurd"

Zuletzt hatten ja Werder Bremen und auch Borussia Dortmund öffentlich in Erwägung gezogen, staatliche Hilfen in der Corona-Krise zu beantragen. Wie beurteilen Sie das?

Prof. Dr. Lange: Wenn man sich mal vor Augen führt, dass Hotels, Gaststätten, Schwimmbäder und weitere Branchen nicht wissen, wie sie diesen Sommer überstehen sollen, dann ist das in der Tat etwas, das man nicht nachvollziehen kann. Auch das trägt dazu bei, dass ein völlig abgehobenes Bild des Profi-Fußballs in der Öffentlichkeit entsteht. In den Clubs ist so viel Geld vorhanden, dass sie das selbst in den Griff kriegen müssen, anstatt auf staatliche Hilfen zu pochen.

Was denken Sie wären die Folgen, wenn ein Club dennoch staatliche Hilfen beantragen würde?

Prof. Dr. Lange: Das wäre absurd. Jeder Club, der so etwas auf den Weg bringt, der wird Empörung ernten - mit allen Konsequenzen. Der jeweilige Verein kann dann zwar hoffen, das Ganze irgendwie auszusitzen und dass es in einem halben Jahr vergessen ist, es kann aber auch passieren, dass das Interesse der Fans dann noch mehr verloren geht und sich dann auch Sponsoren zurückziehen.

"Geht nicht mehr ohne grundlegende Reformen"

Denken Sie, die Corona-Krise macht aktuell das sichtbar, was im Profi-Fußball jahrelang versäumt wurde?

Prof. Dr. Lange: Die Corona-Krise macht viele Missstände im Fußball erst so richtig sichtbar. Wir kriegen jetzt wochenlang "Geisterspiele" präsentiert. Uns wird Woche für Woche das Scheitern des Profi-Fußballs vor Augen geführt. Immerhin hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) eines richtig gemacht: Man hat der Öffentlichkeit und der Politik vermittelt, dass auch Fußballspieler nur ein Beruf ist und es letztlich nur darum geht, diesem Beruf nachgehen zu dürfen.

Welchen Fußball wollen wir also Ihrer Ansicht nach?

Prof. Dr. Lange: Ich denke, es geht einfach nicht mehr ohne grundlegende Reformen. Wenn der DFB und die DFL weiter in ihrem Elfenbeinturm sitzen und über andere hinweg entscheiden, wird das sicherlich nicht mehr akzeptiert werden. Für einen ehrlicheren Fußball würde ich mir daher wünschen, dass auch die Fans eine wichtige Stimme bekommen, denn ohne sie wäre all das ohnehin nicht möglich. Nur so können die Gräben langfristig wieder geschlossen werden.