Sportwetten-Boom

Markt ohne Grenzen?


Sportwetten sind rund um den Fußball allgegenwärtig.

Sportwetten sind rund um den Fußball allgegenwärtig.

Egal ob im TV, im Fußballstadion oder im Internet: Sportwetten sind allgegenwärtig. Über einen wachsenden Markt, fehlende Regulierung und prominente Werbegesichter.

Es ist ein Donnerstagabend Ende Februar in Pilsen. Es ist eisig kalt im Stadion des FC Viktoria Pilsen, der an diesem Abend Partizan Belgrad im Rückspiel der Europa-League-Zwischenrunde zu Gast hat. Das Flutlicht erhellt den Rasen unter dem Pilsener Nachthimmel. Es läuft die 67. Minute, als Samuel Burgfeld von seinem Platz in der ersten Reihe aufspringt und laut zu jubeln beginnt. Pilsens Stürmer Michal Krmencik hatte sich an der Strafraumkante gut durchgesetzt und mit einem satten Schuss links unten die Führung für Viktoria erzielt. Der 23-jährige Burgfeld aus Arnschwang im Landkreis Cham jubelt nicht etwa, weil er Anhänger Pilsens ist. Er jubelt, weil er auf einen Heimsieg Pilsens gewettet hat - und mit ihm vermutlich viele weitere.

Denn Burgfeld ist Jungunternehmer und hat sein Hobby, Sportwetten, zum Beruf gemacht. Er hat vor rund drei Jahren die Firma "90plusX" gegründet, mit der er Sportfans beim Wetten helfen möchte. Auf seiner Webseite gibt er kostenlose Wettempfehlungen und will damit seiner "Community", wie Burgfeld die Nutzer seiner Seite bezeichnet, die Chance auf Profit bei Sportwetten erhöhen. Inzwischen nutzen über 3.000 Menschen regelmäßig das Angebot - eine stolze Zahl, die nach Burgfelds Wunsch noch auf 10.000 ansteigen soll.

Das Thema Sportwetten rund um den Fußball ist allgegenwärtig. Es gibt in Deutschland keinen Erst- oder Zweitligisten mehr, der nicht auch von einem Wettanbieter gesponsert wird, einzelne wie zum Beispiel Hertha BSC haben sogar einen Anbieter als Haupt- und Trikotsponsor. Der Marktführer in Deutschland ist nicht nur Sponsor des FC Bayern, sondern auch Partner der Bundesliga. In Österreich gibt er der ersten Liga sogar den Namen. Dazu kommt die ständige Werbung im TV, vor allem rund um Sportübertragungen. Nimmt man die Bundesliga-Übertragung beim Pay-TV-Sender "sky", dann präsentiert der eine Anbieter den Countdown am frühen Nachmittag und ein anderer das Top-Spiel am Abend. Die beliebten Werbebotschafter der Unternehmen: Sportgrößen wie Oliver Kahn oder Lukas Podolski.

Anteil an Sportwetten steigt

Eine Entwicklung, die auch Tobias Hayer von der Universität Bremen genau verfolgt. Er beschäftigt sich seit 2001 mit Glücksspiel im Allgemeinen und stellt fest, dass der Anteil an Sportwetten immer größer wird. Für ihn gibt es dafür einige Gründe. Einer ist eben die Werbung mit bekannten Gesichtern. "Sie sind für viele Sportfans Vorbilder und werden von den Anbietern nicht umsonst ausgewählt. Das bringt einen gewissen Aufforderungscharakter mit sich", sagt Hayer. Dazu kommt die Möglichkeit der Online- bzw. Livewetten. Heute kann quasi jeder mit einem einfachen Klick am Smartphone auf Sportereignisse in der ganzen Welt wetten. Gerade Livewetten haben laut Hayer "ein besonderes Kick-Potenzial. Sie sorgen für Spannung, Nervenkitzel und Adrenalin. Man sieht sofort, ob man gewonnen oder verloren hat." Und dann komme noch eine falsche Selbsteinschätzung dazu, schließlich gibt es in Deutschland bei jeder Weltmeisterschaft gefühlt 80 Millionen Bundestrainer. "Die Leute glauben, dass sie mit ihrem Wissen über Sport besser tippen können. Aber am Ende entscheidet bei Sportwetten immer das Glück."

Noch präsenter als in Deutschland sind Sportwetten in anderen Ländern. In England beispielsweise gibt es direkt an den Stadien Wettannahmestellen, "man kann quasi an jeder Straßenecke wetten", sagt Hayer. Den Spielern in England ist es verboten, auf Fußballspiele zu wetten - weltweit. Der ehemalige Nationalspieler Joey Barton wurde für 18 Monate gesperrt, weil er spielsüchtig war und auf Fußballspiele gewettet hatte. Anschließend richtete der Profi einen Appell an die Liga, die Football Association (FA). Denn einerseits ist das Wetten den Spielern zwar verboten, andererseits laufen sie zum Teil mit Werbug für Wettanbieter auf ihren Trikots herum. "Das ist, als ob man einen trockenen Alkoholiker darum bittet, seine ganze Zeit im Pub oder in einer Brauerei zu verbringen", sagte Barton. Die FA reagierte anschließend und löste eigene Verträge mit Sponsoren aus dem Bereich der Sportwetten auf.

Borowka und Kahn: Ex-Profis als Kritiker und Werbegesichter

Ein ehemaliger deutscher Nationalspieler und Deutscher Meister, der mit dem Thema Sucht sehr offen umgeht, ist Uli Borowka. Er war 16 Jahre lang Profi und davon 16 Jahre alkoholabhängig, 14 Jahre medikamentenabhängig und vier Jahre spielsüchtig. Er betrachtet die Entwicklung in Deutschland im Bereich Sportwetten als "sehr kritisch, fast schon dramatisch." Borowka hat einen Verein für Suchtprävention und Suchthilfe gegründet und beschäftigt sich täglich mit den Problemen. "Die Spielsucht ist aktuell unser größtes Problem", betont er. Sportwetten würden in der Öffentlichkeit verharmlost werden: "Aber am Ende gibt es nur Verlierer."

Borowka spricht von einem massiven Problem. Er habe regelmäßig mit jungen Menschen zu tun, die schon vier bis fünf Stunden am Tag zocken. Was ihn besonders ärgert, sind ehemalige Profis, die für Sportwetten werben. Für ihn sind Leute wie Oliver Kahn oder auch Lukas Podolski oder Patrick Owomoyela "falsche Vorbilder. Sie sind immer noch Vorbilder für junge Menschen und diese gehen dann dem Abgrund entgegen. Jeder lässt sich zu so etwas herab, aber keiner denkt über die Konsequenzen nach." Er erzählt: "Ich habe genügend Menschen gesehen, die schon in jungen Jahren ihr Leben weggeschmissen haben." Wenn Oliver Kahn im TV sage, die Wette sei in sicheren Händen, dann sehe er das sehr kritisch, wie Borowka im Gespräch erläutet. Denn er selbst würde den Begriff "sicher" im Zusammenhang mit Wetten nicht verwenden.

Uli Borowka hat einen Verein für Suchtprävention und Suchthilfe gegründet. (Foto: imago)

Uli Borowka hat einen Verein für Suchtprävention und Suchthilfe gegründet. (Foto: imago)

Ein Sprecher des Marktführers in Deutschland, "tipico", entgegnet, dass für das Unternehmen der Begriff "sicher" vor allem in Zusammenhang mit Spielerschutz, Jugendschutz, Datenschutz, einem verlässlichen Ein- und Auszahlsystem sowie einer integren Arbeitsweise zu verstehen sei. Zudem habe man beim Thema Werbung klare Richtlinien. Der überwiegende Teil der Nutzer würde das Thema Sportwetten als Freizeitgestaltung zu Unterhaltungszwecken verstehen. Nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Spieler ist im Bereich der Sportwette nach den Erfahrungen von "tipico" gefährdet. Das Unternehmen betont: "Wir schulen unsere Mitarbeiter, um bestimmte auffällige Verhaltensweisen frühzeitig zu erkennen und ergreifen entsprechende Maßnahmen." Im Bereich der Prävention greife "tipico" auch auf spezielle Software zurück, die das Spielverhalten der Kunden mit Hilfe von Algorithmen überwache.

Zurück zu Borowka. Eindrucksvoll erzählt der ehemalige beinharte Verteidiger von seiner eigenen Geschichte: "Ich habe teilweise 32 Stunden am Stück gespielt, bin nachts schweißgebadet aufgewacht. Ich stand unter extremem psychischen Druck, Geld zu gewinnen, damit ich überhaupt noch meine Miete bezahlen konnte. Es ist ein brutales Leben, wenn du morgens schauen musst, wo du 30 Euro herbekommst." Für Borowka das größte Problem: "Es fehlt die Aufklärung und Sportwetten werden komplett verharmlost." Auch Tobias Hayer sagt: "Sportwetten werden gesellschaftsfähig gemacht, die Probleme allerdings tabuisiert." Es gebe vermehrt Personen, "die die Kontrolle verlieren und sich dabei kaputt machen."

Sportwetten erst am Beginn der Expansionsentwicklung

Samuel Burgfeld hat mit 18 Jahren mit dem Wetten angefangen. Zu Beginn machte auch er ordentlich Verluste - das seien nicht nur 1.000 Euro gewesen, sagt der Oberpfälzer. Er habe aus den Fehlern gelernt, erklärt er. Inzwischen hat er für sich klare Regeln aufgestellt. So würden viele einfach aus dem Bauch heraus entscheiden, mit Emotionen wetten und zu viel Geld auf einzelne Spiele setzen. Burgfeld dagegen empfielt seinen Nutzern, sich ein festes Budget zu setzen, dieses in kleine Einheiten zu unterteilen und nur kleine Beträge auf einzelne Ereignisse zu setzen. Damit fahre man langfristig besser.

Ein bis zwei Tipps pro Tag veröffentlicht Burgfeld durchschnittlich auf seiner Seite, dazu veranstaltet er immer wieder zeitlich begrenzte Challenges, in denen mehr Tipps angeboten werden. Er selbst spiele über 100 Wetten pro Monat. Sein Unternehmen wächst, kürzlich hat er einen Mitarbeiter eingestellt. Seine Vision: er will 10.000 Leute auf seiner Seite haben, die sich über ihn Tipps für Sportwetten holen.

Wann greift der Staat ein?

Tobias Hayer erklärt, dass es im Bereich der Glücksspiele meist Wellenbewegungen gibt. Heißt: Die Aufmerksamkeit, die Werbung, die Zahl der Spieler nimmt zu - bis ein Punkt erreicht ist, an dem der Staat eingreifen muss und den Markt reguliert. Ohnehin würden die Anbieter in Deutschland bislang nur geduldet und besäßen keine Konzession. Bis der Staat irgendwann eingreift, wird der Trend aber noch deutlich zunehmen, erkläutert der Experte. "Ich denke, wir befinden uns erst am Anfang der Expansionsentwicklung."

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA) empfielt in einer Infobroschüre zum Thema
Sportwetten, folgene Regeln einzuhalten:

- Festlegen, wie oft und wie lange du wettest
- Setz dir ein Limit, wie viel Geld du ausgibst
- Nur Geld setzen, das du übrig hast
- Beim Wetten keinen Alkohol trinken
- Nicht bei Frust und Wut wetten

Eine zeitgemäße Regulierung würde man sich auch bei "tipico" wünschen, wie das Unternehmen betont: "Das ist notwendig, um für Anbieter und Verbraucher Rechtssicherheit zu schaffen." Aktuell fehle eine klare Abgrenzung zwischen seriösen Anbietern mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU und unseriösen Angeboten. Glücksspiel ist in Deutschland Sache der Länder. So sei das länderübergreifende Konzessionsverfahren aus vergaberechtlichen Gründen gescheitert. In Deutschland hat bisher nur Schleswig-Holstein erfolgreich eine Lizenzierung durchgeführt. "tipico" habe dieses Konzessionsverfahren nach ausführlicher Prüfung bestanden und besitze zudem eine gültige EU-Lizenz.

Borowka wünscht sich mehr als Grußworte

Uli Borowka würde sich mehr Unterstützung vom Staat und von den Politikern wünschen. "Leider mussten wir die Erfahrung machen, dass bei keinem Politiker mehr als ein Grußwort zustande gekommen ist", sagt der Ex-Profi. Aber er werde sich mit seinem Verein davon nicht unterkriegen und schon gar nicht von seinem Weg abbringen lassen. "Wir sind ein kleiner Verein und arbeiten tagtäglich mit Jugendlichen und Sportlern. Wir haben verdammt viel zu erledigen, bekommen aber leider nicht die nötige Unterstützung. Aber das macht uns nur noch stärker. Wir reden nicht den ganzen Tag, sondern wir packen es an. Wir marschieren mit unserem kleinen Verein los und erreichen die Menschen."

Samuel Burgfeld im Stadion von Viktoria Pilsen.

Samuel Burgfeld im Stadion von Viktoria Pilsen.

Drei Wochen nach dem Spiel gegen Belgrad ist Samuel Burgfeld erneut bei einem Spiel in Pilsen. Wieder ist Europa League, dieses Mal trifft Viktoria auf Sporting Lissabon. Burgfeld hat auch auf dieses Spiel gesetzt. Seine Wette: beide Teams erzielen in 90 Minuten einen Treffer. Nach 90 Minuten steht es 2:0 für Viktoria Pilsen. Nach dem 0:2 im Hinspiel geht es in die Verlängerung, Sporting erzielt den Treffer zum 2:1 und zieht in die nächste Runde ein. Damit ist Pilsen ausgeschieden und auch mit seiner Wette lag Burgfeld dieses Mal daneben. "Man kann theoretisch mit Sportwetten Erfolg haben und viel Geld gewinnen - man kann ja auch Lotto-Millionär werden. Aber die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering. Am Ende ist und bleibt es ein Glücksspiel und die Anbieter sind die großen und einzigen Profiteure", sagt Hayer.