In Sachen Wahlrechtsreform scheint die Union nun noch einmal Ernst zu machen. In der letzten Fraktionssitzung vor der Sommerpause sollen neue Vorschläge diskutiert werden.
Spitze der Unionsfraktion Wahlrecht: Drei Modelle stehen zur Debatte
Die Spitze der Unionsfraktion will dazu an diesem Dienstag in der Fraktionssitzung (17.00 Uhr) drei Modelle zur Debatte stellen, wie die Deutsche Presse-Agentur in Berlin nach einer Sitzung des Fraktionsvorstands aus Unionskreisen erfuhr. Ziel sei ein Meinungsbild der Abgeordneten, mit dem Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) in weitere Verhandlungen mit SPD und Opposition gehen könne.
Nach einem auch intern kontrovers diskutierten Vorstoß von Brinkhaus zur Deckelung der Abgeordnetenzahl bei 750 und nachdem die CSU signalisiert hatte, von 2025 an einer Verringerung der Zahl der Wahlkreise zuzustimmen, sei der Gordische Knoten geplatzt, hieß es weiter. Eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise hatte die CSU bisher kategorisch abgelehnt.
Das von Brinkhaus eingebrachte Modell eines Notfallmechanismus für die Bundestagswahl 2021 sieht ab einer Zahl von 750 Abgeordneten eine Kappung vor. Danach soll im Wechsel je ein Überhangmandat nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert und ein Direktmandat gestrichen werden - bis man bei der Höchstzahl von 750 Sitzen angelangt ist. Von 2025 an sieht dieses Modell eine Reduzierung der Wahlkreise von jetzt 299 auf 280 vor, sieben Überhangmandate sollen ausgleichslos bleiben.
Gegen diesen Vorschlag wächst aber offenbar der Widerstand in der Unionsfraktion. "Dieser Vorschlag stellt aus unserer Sicht keine geeignete Grundlage für eine verfassungskonforme und sinnvolle Wahlrechtsänderung dar", heißt es in einem Brief, der von mehr als 35 Fraktionsmitgliedern unterzeichnet wurde. Er lag der "Bild"-Zeitung, dem "Spiegel" und am Dienstag auch der Deutschen Presse-Agentur vor. "Es ist leider der denkbar schlechteste Vorschlag aller bisherigen Vorschläge", schreiben die Abgeordneten weiter.
Das zweite Modell sieht ein Vorziehen der Reduzierung der Zahl der Wahlkreise auf 280 schon für 2021 vor, der Notfallmechanismus würde entfallen. In Unionskreisen hieß es, dieses Modell sei technisch schwierig umzusetzen, aber möglich.
Das dritte Modell entspricht dem CSU-Vorschlag vom Montag: Es beinhaltet die einmalige Anwendung einer Höchstgrenze für 2021 von 699 Abgeordneten - 299 Wahlkreiskandidaten und maximal 400 Listenmandate. Bei einem Überschreiten der Höchstgrenze solle die Zahl der Abgeordneten im Verhältnis der Fraktionen reduziert werden. Ab 2025 würde die Größe des Bundestages durch eine Kombination von ausgleichslosen Überhangmandaten und einer Reduzierung der Zahl der Wahlkreise begrenzt.
Grüne und FDP hatten den CSU-Vorschlag allerdings am Montag umgehend als verfassungswidrig zurückgewiesen. Einer der prominentesten Sozialdemokraten im Bundestag, dessen Vizepräsident Thomas Oppermann, drohte damit, für den Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken zu stimmen, wenn die Koalition sich nicht einigen könne.
Die Fraktionen hatten sich schon in der vergangenen Wahlperiode nicht auf eine Reform einigen können. In der Folge wurde das Parlament bei der Wahl 2017 mit 709 Abgeordneten so groß wie nie zuvor. Die Sollgröße des Parlaments beträgt 598 Sitze. Für die Bundestagswahl 2021 wird ohne Wahlrechtsänderung ein Anwachsen auf 800 oder noch mehr Abgeordnete befürchtet.
Bislang liegt dem Bundestag nur ein einziger Gesetzentwurf vor, der dies verhindern will. Ihn haben FDP, Grüne und Linke gemeinsam eingebracht. Er sieht auch eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 vor. Die drei Oppositionsfraktionen bestehen darauf, dass der Entwurf am kommenden Freitag, dem letzten Sitzungstag vor der parlamentarischen Sommerpause, abschließend beraten und zur Abstimmung gestellt wird.
Der Bund der Steuerzahler übte scharfe Kritik wegen der Verzögerung der Wahlrechtsreform. "Ich halte es für unsäglich, dass die Fraktionen eine dringend nötige Reform des komplizierten Wahlrechts mit seinen Überhang- und Ausgleichsmandaten verschleppen - das Nachsehen haben die Wähler und Steuerzahler", sagte der Präsident der Interessenvereinigung, Reiner Holznagel, der "Welt" (Dienstag).
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