Schulsysteme

Übertritt: Elternwille oder Lehrerurteil?


Wo es nach vier Grundschuljahren für die Kleinen hingehen soll, entscheidet in Bayern die Grundschule. Baden-Württemberg geht einen anderen Weg und bekommt die Konsequenzen, vor allem an Realschulen, zu spüren. (Symbolbild)

Wo es nach vier Grundschuljahren für die Kleinen hingehen soll, entscheidet in Bayern die Grundschule. Baden-Württemberg geht einen anderen Weg und bekommt die Konsequenzen, vor allem an Realschulen, zu spüren. (Symbolbild)

Von Redaktion idowa

Nach vier Jahren Grundschule steht die erste wichtige Entscheidung für Schulkinder an: Der Übertritt. Wo es hingeht, hängt in Bayern in der Regel von der Empfehlung der Grundschule ab. Andernorts haben Eltern das letzte Wort. Doch ist nach vier Jahren Schule überhaupt der richtige Zeitpunkt für einen Übertritt und wer sollte die Entscheidung treffen?

Während in Bayern die verbindliche Grundschulempfehlung gilt, ist diese Entscheidung in Baden-Württemberg nicht amtlich. Im Nachbarbundesland geben die Schulen eine Empfehlung, überlassen die Entscheidung aber in der Regel den Eltern. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Etwa jedes neunte Kind, das zum aktuellen Schuljahr in Baden-Württemberg von der Grundschule auf das Gymnasium wechselte, hatte dafür nicht die entsprechende Empfehlung, wie aus einer Mitteilung des Kultusministeriums in Stuttgart hervorging. Volle Realschulen und Gymnasien sind die Folge.

Gründe für die Entscheidung der Eltern, ihre Kinder auf Schulen zu schicken, für die sie laut Empfehlung nicht geeignet sind, gibt es viele. Oft liegt es gar nicht mal am elterlichen Stolz, sondern schlicht an der Infrastruktur. Michael Gomolzig, Pressesprecher des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg, sagt: "Mittlerweile haben Schüler mit Hauptschulempfehlung die Schwierigkeit, überhaupt auf eine wohnortnahe Hauptschule gehen zu können und melden sich daher an anderen Schulen an, um dort den Hauptschulabschluss zu machen." Von den vormals über 1.200 Haupt- und Werkrealschulen (Mischung aus Haupt- und Realschule) in Baden-Württemberg existieren demnach nur noch rund 400.

Verbindlichkeit wie in Bayern gefordert

Insgesamt wechselten im Herbst rund 91.600 Schülerinnen und Schüler auf eine weiterführende Schule in Baden-Württemberg. Dabei entschieden sich 43 Prozent für das Gymnasium. Von ihnen brachten rund 89 Prozent die Empfehlung für diese Schulart mit. Rund zehn Prozent allerdings kamen mit einer Empfehlung für die Realschule aufs Gymnasium. Beim einem Prozent lautete die Empfehlung "Werkreal- oder Hauptschule" - sie gingen aber trotzdem aufs Gymnasium.

Die Arbeitsgemeinschaft der Realschulrektoren fordert, die verbindliche Grundschulempfehlung, nach bayerischem Modell, wieder einzuführen und die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss an der Realschule zu machen, in Baden-Württemberg abzuschaffen. Die jetzige grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg schrieb im letzten Schuljahr lediglich die Vorlage der Grundschulempfehlung vor.

"Mit der Wiedereinführung der Verbindlichkeit wären die Probleme nicht aus der Welt. Die vorherige Landesregierung hatte die schulischen Strukturen auf den Kopf gestellt. Heute werden die Realschulen gebraucht, um den Hauptschulabschluss flächendeckend anbieten zu können", sagt Gomolzig. Auch deshalb herrsche besonders an den Realschulen Unmut.

Übertritt nach vier Jahren "unpädagogisch"

Judith Wenzl, Bezirksvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) in Niederbayern, kritisiert den Übertritt an sich, unabhängig von der Verbindlichkeit einer Empfehlung. "Das Übertrittsverfahren ist unübersichtlich, unpädagogisch und engt die Schüler ein. Das Verfahren kommt viel zu früh und spiegelt nicht die tatsächliche Leistung wieder. Die Übertrittsnote wird aus drei Noten ermittelt. Diese kann unmöglich ein Kind in Gänze erfassen."

Ein Umdenken müsse hier stattfinden, die aufnehmende Schule auch mehr in die Pflicht genommen werden. Dass unumgänglich mehr Kinder auf Gymnasien landen, weil die Eltern das so wollen, spielt für Wenzl nicht die entscheidende Rolle. Der Überschuss würde sich mit der Zeit einpendeln. Die Kinder möglichst auf das Gymnasium zu schicken, sei ein gesellschaftlicher Druck, der auf den Eltern liegt. "Ein Hauptschulabschluss wird einfach als weniger wertvoll erachtet", sagt Gomolzig. Die Gründe dafür herauszufinden, sollte die Gesellschaft eigentlich umtreiben, meint Wenzl.

"Eltern produzieren Schulversager"

Haben die Kleinen die gefürchtete Hürde "Übertritt" dann einmal geschafft, gilt aber dennoch: "Eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium ist keine Garantie für ein bestandenes Abitur. Durch zu großen Ehrgeiz erliegen manche Eltern der Gefahr, Schulversager zu produzieren", sagt Gomolzig. Die Grundschule sei kein Vorgymnasium, sondern eine eigenständige Schulart mit einem klar definierten Bildungsauftrag. Mittlerweile erreiche ohnehin schon jeder Zweite die Zulassung für ein Studium nicht auf dem regulären Weg über das Gymnasium.

Welche Schule ein Kind nach der Grundschule besuchen soll, ist für Wenzl Sache der Eltern. Die Grundschulempfehlung in Bayern sei immerhin treffsicher und helfe den Eltern bei der Entscheidung.