Schreibwettbewerb

Lyrik to Go


Ein paar von Carolins Texten entstehen unter der Dusche.

Ein paar von Carolins Texten entstehen unter der Dusche.

Von Carolin Wittmann

Beim bundensweiten Schreibwettbewerb hat die 21-jährige Carolin Wittmann mit dem Text "warum man in online-formularen in der namenszeile keine zahlen eingeben kann" gewonnen.
In der Freistunde gibt die 21-Jährige einblicke in ihre lyrischen Bäume im Kopf. Eine Textauswahl.

Anmerkung der Redaktion: Alle Texte wurden unbearbeitet und in Interpunktion und Grammatik unverändert von der Autorin übernommen.

warum man in online-formularen in der namenszeile keine zahlen eingeben kann

und während ich ihrer stimme durch den dünnen türspalt der weisen tür mit
dem großen buchstaben T lausche
komme ich einfach nicht darauf, warum sie glaubt dass ein besuch bei
ihrem ach so tollen heilpraktiker mich über 50 kilo wiegen lassen
würde (oder warum das wichtig wäre)
so rolle ich hin und her
auf ihrem ach so gesunden quietschtürkisen gymnastikball
halte die luft an
halte mich selber an
halte die welt an
und das erste mal in vier Jahreszeiten klappt es

dass ich
nicht mehr da bin
oder genau so da bin
wie die klamotten die kreuz und quer im raum explodiert sind
auf der vorhergegangenen suche nach etwas
das mir noch passt
mein leben
ist mir ein paar nummern zu groß

und als ich da hänge
mich blass vom türkis abhebend
bin ich nur noch ein fetzen haut und knochen
wie das tshirt ein fetzen baumwollstoff und nähte
die hose ein fetzen leinen ist
und genauso bin ich das perfekt formbare auftreten im alltag
wie die klamotten es für die leute sind
die sie sich extra dafür kaufen müssen

und das erste mal in vier Jahreszeiten klappt es
dass nur mein Ich im raum schwebt
doch was ich sehe
verstehe ich nicht
weil es mir nicht gefällt
ich bin von lauter fäden umgeben
die an den nähten, am saum, auf den seiten heraushängen
und flecken
in den tshirts ketchup
auf den hosen kaffee
und ich verstehe nichts mehr
weil ich in meinem kopf
vor lauter geschichten die die klamotten mir vorlesen
fast erdrückt werde
und ich verstehe nichts mehr
weil alles zerknittert ist
und erst dadurch so bunt wird
die schatten die sich in den falten einnisten und eine berglandschaft aus
dem wunderland erzeugen
wieso wollte ich dann
mein ganzes leben lang
so perfekt glatt sein
wessen idee war das denn

und das was mit mir geschah
war nicht ich
das, was mich in die höhe schleuderte
mir die klamotten anzog
die schuhe an die füße klebte
und mama beim rausfegen die telefonschnur vom finger zog
das war nicht mehr ich
denn ich
wollte es nicht mehr sein
wollte mehr sein

Von jetzt an
Will ich keine Größe 30 sein
Von jetzt an
Bin ich Tamara

Die Meister der Einsamkeit

Die einsamsten Menschen
Lieben am besten
Weil sie sich mit Leere auskennen

Sie heben den Kopf
Pflücken mit sanften Händen
Stoff ihrer Träume
Und füllen die Löcher anderer

Einsamkeit ist die Verbindung zu etwas das nicht existiert
Das Vakuum das entsteht saugt diese Löcher in Menschen
Liebe

ist nur Einsamkeit mit Ziel

Tage

Es gibt gute Tage
und dann gibt es die Tage
Die vor den Guten kommen

Herz

Sie haben uns
im Biologie-Unterricht
erzählt
dass das Herz einen
am Leben hält

Und uns nur gelehrt
wie man den
Magen
füllt

nicht haben

Wenn wir
uns alle über das definieren was wir
nicht haben
ist jeder
von uns
ein niemand

Leute

Die Leute die zu leben wissen, verstehen
dass der Spaß darin besteht, ihm nachzujagen

Ganz selbstverständlich

Doch danach, als uns der goldene sonnenuntergang im auto flackernd die augenlider
nach unten streicht

kratzen unsere haare nicht über das polster

wenn die kühle abendwärme auf der heimreise durchs fenster weht

Sie sind nassweich

Nicht vom salz der offenen, schweren weite von wässern geschockt;

in den weihern werden sie von kleinen flitzefischen durchpflügt, wenn wir unter der
glitzerfläche unsere aufgepusteten backen präsentieren

Wenn wir mal luftholen gehen schmiegen sich unsere haare um uns an,
und für den kleinen moment

in dem wir sie nicht wegstreichen

weil wir uns im grinsen und strampeln verlieren

sind wir ganz kurz vielleicht für immer ein teil des wassers, ein teil der
unterwasserstille, in der wir tretend schwebten, über beide ohren und den scheitel
hinaus verliebt in den flüchtigen ewigen kampf gegen das untergehen, in dem wir ruhe
finden, weil wir ihn uns ausgesucht haben

in dem gelbgrün trüb fließenden blauton der von lichtlinien durchzogen wird wie das
eiskristall orange das wir aus der beschlagenen kühlbox mopsen von den nach holz
schmeckenden klebenden stielen

Die spitzen unserer haare wippen bedächtig weihertropfen auf die eiswürfel
wenn wir uns unsere belohnung aussuchen

Ein paar glückliche, handtuch-verdeckte halbnasse gestalten irgendwo an einem
bedeutungsmäßig unendlichen fleck wasser zwischen zwitschernden bäumen und summenden sträuchern unterm blau-weiß des wolkenkratzer-leeren und über den kleinen steinchen
und bemoosten holzbröseln

die sich zwischen zehen und mit uns im bunten handtuch verweilen

teilen das cola- und orangeneis

Wie die warme magie dieses nachmittags im sommer

Ganz

Selbstverständlich

Essen

Liebe isst wenn das Essen einfach nur deshalb so gut schmeckt
Weil ich dir dabei ein paar Blicke stehlen kann

Begabung

Jeder Mensch ist begabt
nur manche haben
weniger Angst als andere