Regensburg

Energiewende: "Wir müssen die Kosten im Griff halten"


Prof. Dr. Oliver Brückl, Fakultät Elektro- und Informationstechnik, ist Mitglied der "Bundeskommission zur zukünftigen Beschaffung von Blindleistung".

Prof. Dr. Oliver Brückl, Fakultät Elektro- und Informationstechnik, ist Mitglied der "Bundeskommission zur zukünftigen Beschaffung von Blindleistung".

Seit September 2018 leitet Professor Oliver Brückl von der OTH Regensburg die "Bundeskommission zur Beschaffung von Blindleistung". Wir haben mit ihm über die Energiewende, die Herausforderungen bei der Netzstabilität und die Zukunft der Stromspeicherung gesprochen.

Herr Professor Brückl, Sie leiten seit diesem Jahr die "Bundeskommission zur zukünftigen Beschaffung von Blindleistung". Was genau macht diese Kommission?

Prof. Brückl: Die Kommission ist jetzt im September 2018 eingesetzt worden und soll nach einem Jahr ihre Arbeit erledigt haben. Insgesamt sind fünf Sitzungen vorgesehen. Die Zielsetzung ist, die Diskussion um die Blindleistung besser zu strukturieren. Das Bundeswirtschaftsministerium möchte alle unterschiedlichen Argumente und verschiedene Ansichten auf dem Tisch haben. Dies schließt technische, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte mit ein. Blindleistung benötigt eigentlich jeder Verbraucher, auch wenn nur Unternehmen und größere Betriebe dafür bezahlen müssen. Netzbetreiber benötigen ebenfalls Blindleistung, die sie auch einsetzen, um die Spannung in unseren Stromnetzen innerhalb der zulässigen Grenzen halten zu können. Die Spannungshaltung ist eine der großen Herausforderungen der Netzbetreiber, um die Energiewende umzusetzen und künftig auch die Elektromobilität zu integrieren.

Wer ist außer Ihnen Teil der Kommission?

In der Kommission sind 14 Verbände, die Deutsche Bahn, die eines der größten 110 kV-Netze betreibt und Blindleistung bereitstellen könnte, der VDE, die Bundesnetzagentur sowie das Bundeswirtschaftsministerium vertreten. In den Verbänden sind beispielsweise Netzbetreiber oder Hersteller von Erzeugungsanlagen organisiert, aber auch die Industrie. Mit dabei sind zum Beispiel der Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft und der Verband kommunaler Unternehmer (VKU), indem Stadtwerke und kleine Gemeindewerke normalerweise Mitglied sind. Wir wollen, dass am Ende jeder gehört wird bzw. sich einbringen kann. Daher wird es auch eine öffentliche Konsultationsphase im nächsten Jahr geben.

Im September haben Sie sich zum ersten Mal getroffen. Worum ging es bei diesem Treffen?

Das erste Treffen stand natürlich zunächst im Zeichen des Kennen Lernens. Es ging aber auch schon darum, die Themen zu sammeln, erste Aspekte zu beleuchten und das weitere Vorgehen zu besprechen. Wir haben am 4. Dezember die nächste Sitzung und da greifen wir bereits weitere Aspekte auf, die wir sicherlich kontrovers diskutieren werden. Es geht aber nicht darum, eine einheitliche Linie zu finden, sondern darum, die unterschiedlichen Positionen aufzuzeigen, sodass das Bundeswirtschaftsministerium am Ende erkennen kann, wie es weitergehen soll.

Vor welchen zentralen Herausforderungen steht die Kommission in Zukunft?

Wir stehen vor der Herausforderung, ein zukunftsfähiges System zu entwickeln, das zum einen die Netzstabilität aufrecht erhält und zum anderen unnötige Kosten und damit unnötige Strompreissteigerungen vermeidet. Der Strompreis ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Auch wenn für die meisten Menschen der Strompreis noch nicht von großer Bedeutung ist, 344.000 Haushalten wurde im letzten Jahr der Strom abgestellt, das sind nochmals 14.000 mehr als im Jahr davor. Es gibt also viele Bürger, für die ist der Strompreis existenziell bedrohlich.

Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Netzstabilität heute?

Es gibt verschiedene Herausforderungen vor allem im Bereich der Frequenz- und Spannungshaltung. Wir haben bereits viele technische Lösungen entwickelt, um beispielsweise Wind und Photovoltaik in unsere Netze aufnehmen zu können. Es kommen aber noch weitere Problemstellungen auf uns zu. Denken Sie an die Elektromobilität, die nun verstärkt auch die Stadtwerke hart treffen wird. Die müssen nun in kurzer Zeit sich viel Know-How aneignen, damit sie die Ladeinfrastruktur kostengünstig aufbauen können und nicht unnötig viel Geld dafür ausgeben, was letztlich wieder den Strompreis in die Höhe treiben wird. Technisch kann man eigentlich alles lösen, die entscheidende Frage ist, welche Lösung die sinnvollste und nachhaltigste ist.

Erstens kann man die zeitliche und örtliche Entwicklung der Erzeugungs-, Speicher- und Laststruktur nicht genau vorhersehen. Zweitens erkennt man manchmal negative Auswirkungen erst Jahre später. Selbst Maßnahmen im Niederspannungsnetz können gravierende Auswirkungen auf die Stabilität des europäischen Verbundnetzes haben, wie wir erst kürzlich in einem von uns erstellten Gutachten erkannt haben. Zudem gibt es noch eine Reihe weiterer ungelöster Problemstellungen, die wir in den nächsten Jahren angehen müssen.

Wie können Sie die Stadtwerke bei der Problemlösung unterstützen?

Lösungsansätze gibt es bereits viele und wurden teilweise von uns mitentwickelt. Wir in Regensburg unterstützen sowohl kleine als auch die großen Netzbetreiber, z. B. bei der Weiterentwicklung ihrer Netzplanungsmethoden oder der Einführung neuer Netzregelungsstrategien. Wir können bei allen Aspekten der Netzstabilität und Netzintegration von Erzeuger, Speicher und Lasten Hilfestellung geben. So haben wir mit vielen Stadtwerken und nahezu allen großen bayerischen Netzbetreibern Kooperationen, ab nächstem Jahr auch mit einem Übertragungsnetzbetreiber und drei großen ostdeutschen Verteilungsnetzbetreibern. Einem Stadtwerk werden wir beispielsweise helfen, sein Netz umzustrukturieren, um die Leistungsfähigkeit zu verdoppeln, und künftig selber planen zu können. Wir arbeiten aber auch schon an Methoden der automatisierten Netzplanung und -überwachung. Digitalisierung ist auch bei uns ein großes Thema.

Gibt es inzwischen andere Möglichkeiten der Stromspeicherung?

Technisch ist es bereits heute relativ einfach, Strom zu speichern. Die große Herausforderung sind die hohen Kosten. Die meisten Bürger haben das Bild vor Augen, zur Mittagszeit den Strom einzuspeichern und am Abend zu verbrauchen. Natürlich rechnet sich das für sie, weil man damit Steuern und Abgaben sowie die Netzentgelte spart, was übrigens den Strom für die übrigen Verbraucher wiederum teurer macht. Dieser Tagesausgleich ist aber nicht unser wirklich großes Problem. Teuer wird es, wenn man Wochen mit viel Wind und Sonne mit Wochen mit wenig Wind und Sonne ausgleichen müssen. Am Ende brauchen wir sogar Monats- und Jahresspeicher.

Um den Bedarf an Speichern und damit die Kosten gering zu halten, benötigen wir den Netzausbau. Denn dieser sorgt erst einmal für einen räumlichen Ausgleich, d. h. die Energie dorthin zu leiten, wo sie zum gleichen Zeitpunkt noch benötigt wird. Das ist von den Kosten her deutlich, aber auch vom Energieverlust her günstiger, weil beim Transport ungefähr fünf Prozent Verluste und beim Speichern bestenfalls 15 bis 20 Prozent Verluste anfallen. Nach dem Netzausbau kommt aber unweigerlich das Zeitalter der Speicher.