Jede Woche verhandelt das Regensburger Verwaltungsgericht über Ablehnungsbescheide von Asylbewerbern. Doch so viel öffentliches Interesse ist selten.
Regensburg Ein Gerichtssaal voller Unterstützer
Über 20 Zuhörer und Medienvertreter drängten sich am Dienstagnachmittag im Sitzungsraum. Dass der fleißige, gut integrierte Karim M. (18) aus Afghanistan, der kurz vor einer Bäckerlehre steht, abgeschoben werden soll, erhitzt die Gemüter.
Nur 60 Minuten habe Karims Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im August gedauert, beklagte dessen Anwalt Philipp Pruy. Bereits eine Woche später flatterte die Entscheidung ins Haus: Karims Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Dagegen klagte der junge Afghane vor dem Verwaltungsgericht. Eine nur 60-minütige Anhörung sei in der Tat unüblich, sagte Richter Andreas Fischer. „Dafür nehmen wir uns hier die Zeit, dass Sie alles ausführlich erzählen können“, versicherte er dem jungen Flüchtling.
Der Vater wurde von den Taliban erschossen
Detailliert schilderte Karim M., für den ein Dolmetscher von Paschtu ins Deutsche übersetzte, warum er aus seinem Heimatland geflohen war. Sein Vater, der als Fernmeldetechniker für die Regierungsbehörde arbeitete, habe von den Taliban einen Drohbrief erhalten: Er solle die Arbeit für die Regierung einstellen. Der Vater hielt sich nicht daran – ein Jahr später standen sechs bewaffnete und maskierte Männer in seinem Haus. „Sie haben meinen Vater auf der Stelle vor unseren Augen erschossen“, berichtete der junge Flüchtling, der heute in Hemau (Kreis Regensburg) lebt. Die Taliban steckten das Schlafzimmer der Eltern in Brand und ließen eine völlig verstörte Familie zurück. Karim war damals zwölf Jahre alt.
Um Geld für die Familie zu verdienen, musste er die von ihm heiß geliebte Schule verlassen. Vier Jahre arbeitete er als Kellner und Spüler in einem Hotel in der nächstgrößeren Stadt. Doch der ehrgeizige junge Mann wollte weiter lernen, studieren und wie sein Vater für die Regierung arbeiten. Das erzählte er freimütig in seinem Freundeskreis – ein paar Wochen später erhielt auch er einen Drohbrief: „Darin stand, dass ich dasselbe Schicksal wie mein Vater erfahren werde, wenn ich das tue.“
Seine Mutter schimpfte, er sei naiv gewesen, seinen Freunden von den Plänen zu erzählen. Ein Onkel schlug ihn und sagte, er habe die ganze Familie in Gefahr gebracht. Die einzige Lösung sei es, dass er das Land verlässt. Wenn Karims Schwester seinen Sohn heirate, finanziere er den dafür nötigen Schleuser, stellte der Onkel in Aussicht. So kam es – und nach sechs Monaten Flucht über die Balkanroute reiste Karim im September 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland ein.
Für Pünktlichkeit und Arbeitsmoral gepriesen
Seitdem hat er sich vorbildlich integriert. Er besucht das Berufliche Schulzentrum Regensburger Land, wird von Lehrkräften für seine Disziplin, Pünktlichkeit und Arbeitsmoral gepriesen und hätte sogar eine Lehrstelle bei einer Bäckerei in der Tasche – wenn er in Deutschland bleiben darf. Falls er zurück nach Afghanistan muss, „wird jede Minute, jede Stunde, jeder Tag voller Angst sein“, sagte Karim auf Nachfrage des Richters. Auch wenn er in eine andere Stadt ziehe, helfe das nichts. Die Taliban hätten überall Spione.
Etliche Lehrkräfte waren am Dienstag im Gerichtssaal anwesend, um ihre Solidarität mit Karim auszudrücken.
Der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer Albert Rogg sprach von „einer Art Musterprozess“. Eine ganze Reihe weiterer afghanischer Schüler in Regensburg hätten derzeit ihre Anhörungen beim BAMF, es hagele Ablehnungen. Sie alle würden mit Bangen auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Fall Karim M. blicken. Das Urteil wird heute oder morgen schriftlich zugestellt.
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