Regensburg

Aus einer Zehe wird ein neuer Daumen


Schon kurze Zeit nach der Operation erfüllt der neue Daumen die Greiffunktion.

Schon kurze Zeit nach der Operation erfüllt der neue Daumen die Greiffunktion.

Fast ein Jahr ist er nun her: der Tag, der Josefa Schlesingers Leben auf einmal verändert. Am 24. Januar 2015 saß sie mit ihrem Mann und ihrer Freundin im Auto - er am Steuer, die Frauen auf der Rückbank. Auf der Gegenfahrbahn überholte ein Fahrzeug, der Fahrer hatte sie übersehen. Zum Ausweichen war es zu spät, die beiden Fahrzeuge prallten beinahe frontal aufeinander. Josefa Schlesinger wurde dabei schwer verletzt. Neben zahlreichen Knochenbrüchen und weiteren Verletzungen wurde ihr bei dem Unfall auch der linke Daumen abgetrennt. Sofort wurde sie mit dem Rettungshubschrauber ins UKR gebracht. Dort versorgten die Ärzte ihre Verletzungen. Doch nachdem ihr Kreislauf das dritte Mal zusammengebrochen war, musste die Patientin intensivmedizinisch stabilisiert werden. Die Replantation ihres Daumens wäre zu diesem Zeitpunkt zu riskant für sie gewesen.

Aus einer Zehe wird ein neuer Daumen

Nach zwei Wochen im Krankenhaus und über drei Monaten Reha kann Josefa Schlesinger schließlich wieder nach Hause, ihr Daumen ist aber bis zur Mittelhand abgetrennt. Die Ärzte haben zur sauberen Heilung den Wundrand versorgt und mit einem Hauttransplantat des Zeigefingers den Stumpf verkleidet. "Wenn einem der Daumen fehlt, merkt man erst wie elementar dieser Finger ist. Ich scheiterte an alltäglichen Kleinigkeiten wie beispielsweise den Knopf meiner Jeans zu schließen oder ein Glas zu halten", erläutert Josefa Schlesinger die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt. Die Ärzte zeigen ihr im Rahmen der Nachsorge die Möglichkeiten auf. Entweder den Stumpf behalten, eine Daumenprothese aus Kunststoff oder eine Transplantation, bei der eine ihrer Zehen zum Daumen wird. "Für mich gab es zur Zehentransplantation keine Alternative. Ich will schließlich in meinem Leben noch viel erleben. Dafür brauche ich einen lebendigen Daumen und keine stumpfe Prothese", erklärt die Mittfünfzigerin ihre Entscheidung.

So wird in einer zehnstündigen Operation im Juli 2015 die zweite Zehe ihres linken Fußes zu ihrem neuen Daumen. Das Ärzteteam des Zentrums für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKR entnimmt dafür das komplette Zehenglied inklusive Mittelfußknochen, Blutgefäßen und Nervensträngen aus dem Fuß der Patientin. Die Gefäße im Fuß werden neu miteinander verbunden, der Fuß wieder zusammengesetzt und verschlossen. "Bei einem solchen Eingriff entnimmt man das ganze betroffene Segment und nicht nur die vordere Zehe. Damit wird später zum einen ein ansprechendes ästhetisches Ergebnis erzielt und zum anderen erhält man durch die Entnahme der Zehengelenke und des Knochens ausreichend Material, um eine größtmögliche Funktionsfähigkeit des späteren Daumens zu gewährleisten", erklärt Professor Dr. Lukas Prantl, Leiter des Zentrums für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKR.

Parallel zur Entnahme des Zehenglieds wird der Daumen vorbereitet. Die Lappenplastik, die den Stumpf bis zur Operation verschlossen hat, wird hierfür wieder eröffnet. Der Zeh wird für die Transplantation präpariert und mit dem Restknochen, den Blutgefäßen, Nerven und Sehnen der Hand verbunden. Schließlich wird der Zeh an Stelle des Daumens angenäht.

Den Alltag wieder selbst meistern

Die Heilung ist komplikationslos verlaufen. Schon nach fünf Tagen konnte Josefa Schlesinger ihren neuen Daumen bewegen. Auch wenn sie sich an den Anblick ihres Fingers erst gewöhnen musste, ist sie sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Anderen Personen falle es kaum auf, dass ihr Daumen eigentlich eine Zehe sei, sagt sie. Heute kann Josefa Schlesinger viele der alltäglichen Dinge, die ihr ohne Daumen nicht möglich waren, schon wieder selbst bewerkstelligen. Auch die fehlende Zehe an ihrem linken Fuß beeinträchtigt sie nicht.

In einer Folgeoperation werden nun noch kosmetische Korrekturen durchgeführt und die Sehnenstellung korrigiert, aufgrund derer Josefa Schlesinger ihren Daumen aktuell noch nicht abwinkeln kann. Im Laufe des nächsten Jahres werden sich dann auch die Nerven wieder soweit regenerieren, dass das Gefühl in den Finger zurückkehrt.

"Mit solch außergewöhnlichen Verfahren wie der Zehen-Daumen-Transplantation, die wir bei Josefa Schlesinger durchgeführt haben, verfügt unser Zentrum über ein für die Region einmaliges Angebot. Von diesem können Patienten mit komplexen Fällen nach Tumoren, Verbrennungen, Unfällen oder Verletzungen sowie Erkrankungen der Hand und des Handgelenkes sehr profitieren", fügt Professor Prantl hinzu. Auch wenn Josefa Schlesinger im Moment noch fast täglich Therapieeinheiten für ihre Hand bekommt, ist sie heute wieder glücklich: "Das Schönste ist, dass ich zu Weihnachten die Geschenke für meine Kinder wieder selbst einpacken kann!"

In einer zehnstündigen Operation wurde aus einer Zehe ein neuer Daumen.

In einer zehnstündigen Operation wurde aus einer Zehe ein neuer Daumen.