"Rechts. Deutsch. Radikal“ bei ProSieben

Mit Haltung durch den rechten Geschichten-Sumpf


Der Journalist Tilo Mischke in einer Szene von "Rechts.Deutsch.Radikal", das am Montag bei ProSieben lief.

Der Journalist Tilo Mischke in einer Szene von "Rechts.Deutsch.Radikal", das am Montag bei ProSieben lief.

Mit großer Neugier, Wahrhaftigkeit und klarer Haltung liefert der Journalist Thilo Mischke einen filmischen Beitrag über Rechtsextremismus in Deutschland ab, der ebenso schockierend wie in höchstem Maße relevant ist. Hier ist eine frische Journalistenstimme, die einiges zu berichten hat. Der Sender ProSieben verzichtet am Montagabend auf die Einspielung von Werbung während des Beitrags. Ein bemerkenswerter Abend.

Natürlich hebt er sich die parteipolitisch explosivste Szene bis zum Schluss auf. In einer Berliner Gastro-Bar lässt das Team um Thilo Mischke die vormals rechte Bloggerin Lisa Licentia mit einem vormals hohen AfD-Funktionär sprechen und filmt das Gespräch mit versteckter Kamera. Und was der Mann im Gespräch laut eines Gedächtnisprotokolls sagt, erscheint im Jahr 2020 in seiner menschenverachtenden Brutalität unaussprechlich. Der Mann redet davon, dass es Deutschland schlecht gehen müsse, damit es der AfD gut gehe. In Bezug auf den Zuzug von Migranten sagt er, dass man diese zu gegebener Zeit erschießen oder vergasen könne.

Wie bitte? Als Zuseher mag man schon gewusst haben, dass rechtsradikale Umtriebe in dieser sogenannten Alternative nicht nur auf wenige Einzelfälle reduzierbar sind. Aber in dieser Qualität, in dieser Sprache, in dieser unverschämten, kühl technokratischen Art, mit der hier über Auslöschung gesprochen wird, fast wie vor 80 Jahren, wirkt das wenigstens für einen Nicht-Insider extrem verstörend.

Eine erste Konsequenz gibt es unmittelbar nach Ausstrahlung von "Rechts, deutsch, radikal" am Montag auf ProSieben. Die AfD-Fraktion im Bundestag hat ihren früheren Pressesprecher Christian Lüth nach den Berichten über die menschenverachtenden Äußerungen zu Migranten in der TV-Dokumentation rausgeworfen. Ob der zitierte Funktionär tatsächlich Lüth war, ist derweil nicht offiziell bestätigt.

Kopfsprung in den rechten Sumpf

Thilo Mischke und sein Team aus zehn Journalisten haben nach eigenen Angaben etwa eineinhalb Jahre in ihren filmischen Beitrag investiert. Hunderte Stunden an Filmmaterial sind dabei zusammengekommen, Terrabytes an Daten, die zu einem etwa zweistündigen Kondensat verdichtet wurden. Herausgekommen ist dabei ein schockierendes Reportageformat, in dem die geistigen und lebensweltlichen Räume rechtsradikaler Akteure, der neuen Rechten in Deutschland, ausgeleuchtet werden. Und das Ganze ausschnitthaft, pars pro toto sozusagen, szenisch und mit schnellen Schnitten. Mischke startet seine Reise bei einem bekannten Rechtsrockfestival. Der Zuseher lernt in der Folge in Interviewform die Geschichten kennen, die hinter rechten Lebensläufen stehen. Da ist etwa ein Kampfsportler, der erläutert, wie seine Karriere und die langsame Radikalisierung im rechten Milieu begann. Und der unumwunden sagt, dass er einen Ausstieg aus der Szene für sich ausschließt. Keine Erfolgsgeschichte von Einsicht und Ausstieg also, leider. Da ist ein 17-Jähriger auf dem flachen Land in Ostdeutschland, der eine Lehre bei einem deutschlandweit bekannten Rechtsradikalen als Koch absolviert. Er schildert seine politische Agenda, weiß, auf welche Fragen er antwortet und auf welche besser nicht. Und der zum Ende hin erzählt, dass Weihnachten in seiner Familie vor allem eines ist: still.

Flankiert werden die Interviewszenen immer wieder von Gesprächen mit Experten, die die zuvor gesehenen Ausschnitte aus ihrer Sicht einordnen und eine Einschätzung abgeben, wie sich die Lebensgeschichten wohl weiter gestalten könnten. Unter den Experten findet sich auch der Vorsitzende des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen, der klar und deutlich ausspricht, dass er ob der neuen Qualität der radikalen Umtriebe in Deutschland Angst um unsere parlamentarische Demokratie hat.

Besoffene Pöbeleien vom Blogger

Auch die rechte Szene im Netz und die sogenannte freie Presse werden anhand ihrer Akteure beleuchtet. Da ist etwa der rechte Blogger Oliver Flesch, der auf Einladung der AfD an einer Buchvorstellung in Nebenräumlichkeiten des Reichstagsgebäudes teilnimmt. Während der Buchvorstellung, in der der Buchautor ungestraft die These vertreten darf, dass der Islam verboten werden soll, betrinkt sich Flesch und geht Mischke verbal massiv an. Aha, so ist der Herr also. Und da ist Lisa Licentia, die mit strammen rechtsaußen Thesen in ihrem Youtube-Kanal aufwartet und im Laufe der Sendung eine erstaunliche Veränderung durchmacht - oder das zumindest glaubhaft beteuert.

Es sind Geschichten vom offenbar gewissenlosen Streben nach Anerkennung, Öffentlichkeit und Profit. Von der Umsetzung einer Agenda, die moralisch niederste Zielsetzungen umfasst. Und es sind zum Teil Geschichten über Naivität, fehlendes soziales und geschichtliches (Ge-)Wissen und der Instrumentalisierung durch Dritte. Geschichten, wie sie vielfach und täglich die schöne neue Medienwelt schreibt.

Im Ali-Shirt beim rechten Kampfsportler

Dass das Gezeigte fesselnd und zeitgemäß wirkt, hat im Kern zwei Gründe. Da ist einerseits die Machart: die Szenen werden gekonnt portioniert und aufbereitet für ein Publikum, das zu kürzeren Aufmerksamkeitsspannen tendiert. Damit hält man auch Zuseher am Bildschirm, die ansonsten für gewichtige Reportagen kaum offen sind. Eine solche Aufbereitung bedingt vielfach bei anderen Formaten Oberflächlichkeit, dem Format von Mischke gereicht es zu Stärke. Aus einem einfachen Grund: das gesammelte Material ist journalistisch hochwertig, es ist bestürzend, es ist explosiv. Schlag auf Schlag geht es kreuz und quer durch die Geschichten des rechten Milieus in Deutschland.

Ein zweiter Grund für die Qualität des Beitrags ist in Mischke selbst zu sehen: Er beschreitet den schmalen Grad zwischen kritischer Berichterstattung und Abbildung von dem, was nun mal leider ist, mit einigermaßen großer Sicherheit, egal wie mühevoll sich alles darstellt. Spricht er mit den Protagonisten, dann ist da ein wirkliches Gespräch: kein Vorführen, kein Belehren, kein intellektuelles Überlegenheitsgehabe. Es sind Gespräche, bei denen der Reporter glaubhaft macht, dass er an den Geschichten seines Gegenübers interessiert ist. Das wirkt beizeiten in seiner Natürlichkeit fast schon leichtfüßig - umso erstaunlicher, als hinter dem Beitrag unendlich viel Arbeit, Schweiß und beizeiten vermutlich schlaflose Nächte und Ängste stecken.

Nun wird das, was Mischke filmisch festhält, für manchen zu lässig sein, zu zulässig, oder auch zu hemdsärmelig. Sicherlich: Die Gesprächspartner bekommen Raum, um ihre kruden Thesen auszubreiten, sich zu positionieren. Allerdings passiert das nicht unwidersprochen. Mischke macht klar, wo er steht, was er von den Überzeugungen hält - in Wort und in Kleidung. Beim rechten Kampfsportler marschiert er etwa im Muhammad Ali Shirt ein. Er macht klar, dass es ihm darum geht, die Gründe für die Entwicklung solcher Positionen nachzuvollziehen. Nicht mehr, und nicht weniger. Hier mögen sich manche vielleicht eine noch klarere, schneidende Kante wünschen. In Summe entsteht durch die Herangehensweise aber ein wichtiges Gefühl beim Zuschauer. Der Beitrag wirkt unverstellt, glaubhaft, direkt.

Hinter dem Beitrag von Thilo Mischke und seinem Team stecken klassische journalistische Tugenden: da ist Neugier, da ist die Bereitschaft, die großen Mühen der Rechercheebene nicht zu scheuen. Da ist außerdem Mut und Haltung, letzteres nicht im Sinne von blindwütigem Aktionismus, sondern von modern gelebt und gearbeitetem Humanismus, der es einfordert, das Gegenüber zu Wort kommen zu lassen, und gleichzeitig Grenzen dort zu setzen, wo sie zu setzen sind: nämlich dort, wo Menschenverachtung den Ton angibt.