Outing einer Transfrau aus Passau

Ein Trans-Leben zwischen Angst und Akzeptanz

2021 wurden bundesweit 340 Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität angegriffen. Im selben Jahr outet sich Lena B. als Transfrau. Nun spricht sie über ihre Erfahrungen nach dem Outing.


Wenn Lena B. durch die Fußgängerzone spaziert, hat sie das Bedürfnis, immer einen Fluchtplan haben zu müssen - für den Fall, dass sie jemand plötzlich wegen ihrer sexuellen Identität angreift.

Wenn Lena B. durch die Fußgängerzone spaziert, hat sie das Bedürfnis, immer einen Fluchtplan haben zu müssen - für den Fall, dass sie jemand plötzlich wegen ihrer sexuellen Identität angreift.

Von Michelle Dresler

Lenas Blick schweift über die Straßen, während sie vor der Passauer Stadtgalerie steht. Sie ist in der Fußgängerzone unterwegs. Und sie ist Transfrau. Ausnahmsweise starrt sie diesmal niemand an. Dann ruft ihr ein Mann plötzlich im Vorbeigehen zu: "Guten Tag, Señorita!" Sie steckt ihr Gesicht in die Jacke. "Es hat schon deutlich schlimmere Situationen gegeben", murmelt Lena.

Die Mütze, die sie trägt, ist braun. Ähnlich wie ihr kurzes Haar. Lena wurde als Junge geboren, fühlt sich jedoch als Frau. Lena ist Studentin und wohnt in einer Wohngemeinschaft. Ihr grau-weißes Zimmer ist geräumig. Beim Betreten des Raums sticht eine große Fahne ins Auge. Die vier blauen und rosafarbenen Streifen, die mithilfe eines weißen Streifens in der Mitte auseinandergehalten werden, stehen für Menschen, die trans sind.

Beim Spazierengehen hat Lena immer einen Fluchtplan im Blick

Dass sie trans ist, wurde ihr bewusst, als sie für die Universität zu diesem Thema recherchiert hat. Im Februar 2021 outet sie sich. Sagt ihren Freunden und ihrer Familie, welche Geschlechtsidentität sie hat. "Anfangs hatte ich große Angst vor der Reaktion meiner Umgebung." Zuerst erzählt sie guten Freunden von ihrer Identifizierung als Frau. Bei ihnen stößt sie auf Akzeptanz. Sie lächelt, wenn sie daran zurückdenkt. Für Lenas Familie ist das Outing jedoch ein langwieriger Prozess. Bei den meisten in ihrer Familie ist Lena während ihres Outings auf Verständnis gestoßen - bei einigen hingegen nicht. "Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich als Frau wahrgenommen werde."

In einer Umfrage des Passauer LGBTQ+-Stammtischs berichten Betroffene von Fällen sexueller Belästigung.

In einer Umfrage des Passauer LGBTQ+-Stammtischs berichten Betroffene von Fällen sexueller Belästigung.

Ihr fiel es mit den Jahren zunehmend schwerer, sich selbst als Mann zu akzeptieren. Ihre Gedanken haben Lena immer wieder in ein und dieselbe Richtung getrieben: "Ich dachte, dass es allen in meiner Umgebung besser gehen würde, wenn ich nicht mehr existieren würde." Wenn es so weitergegangen wäre, sagt Lena, dann wäre sie vielleicht nicht mehr hier. Doch wenn sie sich heute Fotos von sich anschaut, ist sie wieder glücklich. Das Outing als Transfrau hat ihr Leben in diesem Bezug erleichtert.

In Fußgängerzonen fühlt sich Lena nicht sonderlich wohl. Ihr Blick hetzt ständig an den Passanten vorbei, die durch die Straßen flanieren. Immer wieder prüft sie, wer ihr entgegenkommt und versucht, deren Stimmung einzuschätzen. "Um schnell verschwinden zu können, wenn es zu einer Konfrontation kommen sollte", sagt sie. Ob Lenas Angst begründet ist? "Im Großen und Ganzen ist es für Transmenschen in Deutschland sicher", sagt Elena Reitinger, vom Leitungsteam des LGBTQ+ Stammtisches Passau. Dennoch käme es immer wieder zu Auseinandersetzungen.

Auf der Straße wurde der Transfrau bereits mehrfach der Hitlergruß gezeigt

Der Begriff LGBTQ steht stellvertretend für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Der aus dem Englischen übernommene Begriff (zu Deutsch: LSBT) wird als Überbegriff für alle nicht-heterosexuellen, sowie trans- und intergeschlechtlichen Identitäten verwendet. Das "Q" steht für "Queer" - den Überbegriff für die gesamte Gemeinschaft von Menschen, die sich als nicht-heterosexuell, trans- und intergeschlechtlich identifiziert.

Der LGBTQ+ Stammtisch hat im Sommer 2022 eine anonyme Umfrage zu Erfahrungen als queerer Mensch in Passau durchgeführt. Anlass dazu war der Christopher Street Day - der Tag, an dem für die Rechte von LGBTQ+ Menschen demonstriert wird. In der Umfrage wurde nach positiven und negativen Erfahrungen gefragt. Wird eine positive Erfahrung eingereicht, handelt es sich um beispielsweise eine Großmutter, die die Freundin ihrer lesbischen Enkelin kennenlernen möchte. Bei den negativen Erfahrungen handelt es sich eher um intensivere Situationen, sagt Reitinger. Darunter fällt auch sexuelle Belästigung. Der Stammtisch agiere bei solchen Fällen sofort, statt auf die Politik zu warten.

Lesen Sie hier ein Gespräch mit einer LGBTQ+-Aktivistin aus Cham in dem sie erklärt: "Wir müssen Räume für queere Community schaffen"

 

Die Ergebnisse der Umfrage des LGBTQ+ Netzwerks wurden nicht, wie geplant, an den Oberbürgermeister von Passau geschickt. Stattdessen hat das Netzwerk das "Queer Move Project" ins Leben gerufen. Bei dem Projekt kann sich jeder melden, der sich auf seinem Weg durch die Stadt nicht sicher fühlt. Man wird dann von ehrenamtlichen Mitarbeitern angerufen, und telefonisch auf seinem Weg durch die Stadt begleitet. Der LGBTQ+ Stammtisch habe den Eindruck, dass es an zwei Punkten massive Probleme für nicht-heterosexuelle in Passau gebe: Bei der Fortbewegung in der Stadt und in Schulen. Das wisse der Stammtisch, weil sie Kontakt zu Betroffenen halten.

In einem Jahr gab es bundesweit 870 Angriffe auf die LGBTQ+ Szene

Auch Lena nimmt an der Umfrage teil - weil ihr aus einem fahrenden Auto ein Hitlergruß gezeigt wird, als sie in Passau als Fußgängerin unterwegs ist. Es bleibt kein Einzelfall. Inzwischen sei es drei Mal passiert. Lena lehnt sich leicht nach vorne, ihre Pupillen weiten sich. Sie versteht nicht, warum sich dieser aufgestaute Hass gegen sie richtet. Solche Begegnungen machen sie wütend - und sie machen ihr Angst.

2021 wurden in Deutschland 340 Mal Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität angegriffen - zum Beispiel, weil sie trans sind. 870 Mal wurden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen. Da in der Zählung auch Mehrfachnennungen vorkommen, die in beide Kategorien fallen, werden die Zahlen nicht addiert.

2021 wurden in Deutschland 340 Mal Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität angegriffen - zum Beispiel, weil sie trans

2021 wurden in Deutschland 340 Mal Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität angegriffen - zum Beispiel, weil sie trans sind.

Lena fühlt sich unsicher, seitdem sie sich geoutet hat. Besonders bei Nacht. Sie versucht, im Dunkeln nicht alleine draußen zu sein. Wenn sie ihre Freunde nicht persönlich begleiten können, ruft Lena jemanden an, um nicht alleine zu sein. "In meinem ersten Semester an der Universität Passau wurde ich von einem Mann gestalkt", sagt Lena. Da identifizierte sie sich selbst noch als Mann. Ängste und Unsicherheiten plagen sie seitdem. Sie sagt sich immer wieder, dass alles in Ordnung sein wird, solange sie diesen Mann nicht wiedersieht. Doch seit sie sich als Trans identifiziert, ist sie immer wieder beängstigenden Situationen ausgesetzt."

Ihre Stimme stockt für einen Augenblick. Lena erinnert sich an angewiderte Blicke, als sie in Österreich eine Toilette betritt. Auch verbale Erniedrigungen setzen ihr zu. Einige Familienmitglieder nennen sie immer noch bei ihrem alten Namen. Ihre Tante hat sie erst vor vier Monaten zum ersten Mal als "Lena" angesprochen, obwohl das Outing schon Jahre zurückliegt. "Mit jedem blöden Kommentar und jeder Beleidigung wird das Sicherheitsempfinden weniger." Sie fühlt sich oft abgelehnt und das wiederum löst Enttäuschung und Traurigkeit in ihr aus. Sie senkt den Blick zu Boden. "Ich bin trans. Ich bin anders. Ich bin hier nicht willkommen."

Queere Menschen haben weniger Vertrauen in die Polizei

Lena ist nach unangenehmen Begegnungen noch nie zur Polizei gegangen. Sie weiß von Freunden, dass es viele Beamte gibt, die offen und hilfsbereit sind. Dieses Wissen gibt ihr jedoch nicht genügend Sicherheit, um sich im Ernstfall bei der Polizei Hilfe zu holen. Elena Reitinger sagt, dass sie bereits gehört habe, dass das Vertrauen in die Polizei bei nicht-heterosexuellen gering sei. In der Pride-Umfrage des LGBTQ+ Stammtisches wurde das Thema angesprochen. Eine anonyme Person fühlt sich von der Polizei respektlos behandelt. Es wird dabei jedoch nicht erwähnt, ob es sich um konkrete Vorfälle handelt, worin der Grund für das Misstrauen liegt.

Der Polizeiinspektion Passau sind "keine konkreten Fälle oder Beschwerden" zur genannten Pride-Umfrage bekannt, lautet es in einer Antwort. Es arbeiten allerdings auch uniformierte Beamte anderer Polizeidienststellen sowie Beamte der Bundespolizei in dem Zuständigkeitsbereich von Passau.

sized

Betroffene berichten davon, dass die Angst oft ihr Begleiter ist, wenn sie in Passau unterwegs sind. Doch sie sehen auch Verbesserungen der Situation, etwa in Alkoholverboten in Teilen der Stadt.

"Wenn wir alleine wären, dann würde ich dich fertig machen"

Lena versteift sich, als sie anfängt von einem anderen Vorfall zu erzählen. Sie stand an einem Abend an der Theke eines Dönerladens, hat ihre Bestellung aufgegeben. Sie kommt ins Stocken. "Dann kam eine Gruppe junger Männer in rauflustiger Stimmung in den Laden", erzählt sie. Einer von ihnen soll Lena immer wieder Blicke zugeworfen haben. Sie meint zu verstehen, was er ihr mit seinen Blicken zu sagen versucht - ohne es laut auszusprechen: "Ich weiß, was du bist, und du weißt es auch. Wenn wir alleine wären, dann würde ich dich fertigmachen."

Lena B. informiert sich darüber, wie die Sicherheit in Passau verbessert wird. Sie findet einiges sinnvoll: zum Beispiel das Alkoholverbot am zentralen Omnibusbahnhof. Aber um sich wirklich sicher zu fühlen, fände sie es besser, wenn bei der Stadt und ihren Bewohnern mehr Bewusstsein da wäre. Dafür, dass auch nicht-heterosexuelles, queeres Leben in Passau stattfindet. Dass Menschen wie Lena keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Sie wünscht sich einfach nur ein normales Leben für alle - unabhängig der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität.

Zur Autorin: Michelle Dresler studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Ihr Beitrag ist in einer Lehrredaktion entstanden, die in dem Studiengang integriert ist. Die Lehrredaktion wird von Redakteuren unserer Mediengruppe betreut.