Niederlande

Leben unter dem Meeresspiegel


Die Bewohner der Gemeinde Urk sieht man häufig in Traditionskleidung.

Die Bewohner der Gemeinde Urk sieht man häufig in Traditionskleidung.

Von Dr. Bernd Kregel

Vor den Toren von Amsterdam entwickelt die Polderprovinz Flevoland eine ungeahnte Attraktivität.

Das Meer versteht keinen Spaß. Im Gegenteil! Mit seinen ständigen Angriffen auf die Nordseeküste erwies es sich zu allen Zeiten sogar als ausgesprochen humorlos. Dann war "Holland in Not", und seine Bewohner bangten um ihre Zukunft. Dabei ließen sie nichts unversucht, um mit allen verfügbaren Mitteln der blinden Zerstörungswut launischer Naturgewalten Einhalt zu gebieten, mit Deichen, Dämmen und Barrieren.

Als besonders gefährlich erwies sich die holländische Zuiderzee. Sie galt es zu zähmen und dabei sogar noch ihre Küstenregion besser nutzbar zu machen.

Welt der Landgewinnung

sized

Der aus ineinander verschachtelten Stahlstreben "Sitzende Mann" an der "Land-Art-Route".

sized

Das beeindruckende Blütenarrangement im "Orchideenhof".

In mühevoller Arbeit gelang es schließlich, der Zuiderzee ein großes Teilstück abzuringen. Vier Meter unter dem Meeresspiegel entstand damit die größte von Menschen gemachte Polderfläche der Welt mit dem Namen Flevoland. Doch konnte man dem Jahrhundertwerk auch trauen? Ängstliche Siedler sorgten mit einem Rettungsboot auf dem Dachboden für zusätzliche Sicherheit. Doch ernteten sie damit häufig nur den Spott ihrer Nachbarn.

Wer in diese aufregende Welt der Landgewinnung eintauchen möchte, den erwartet das Batavialand-Museum in Lelystad. Hier ist Museumsführer Maarten Hofstra ganz in seinem Element. Mit Kartenmaterial, Werkzeug und Fotos aus jener Zeit demonstriert er den allmählichen Übergang vom Meer zum Polder. Mit dem Ergebnis, dass die Zuidersee im Wesentlichen auf die Fläche des heutigen Ijsselmeeres zurückgestutzt wurde.

Vereinnahmte Inseln

Mit dem Absinken des Wasserspiegels hat ein Ausläufer der neuen Polderfläche von der Insel Urk Besitz ergriffen und sie in eine Halbinsel verwandelt. Jan van Urk war früher Hafenmeister in dem kleinen Fischereihafen. Heute zeigt er - stilvoll gekleidet in die Traditionstracht der Inselbewohner - die schmucken Gässchen, Plätze und Häuserfassaden seiner Heimatstadt. Besonders den alles überragenden Leuchtturm sowie die anrührende Skulptur einer wartenden Fischersfrau haben es ihm angetan.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem einstigen Inselchen Schokland. Länglich gestaltet wie eine Banane, fiel es in stürmischen Nächten mehrfach den tosenden Wogen zum Opfer. Nun allerdings findet es sich wieder inmitten einer ausgedehnten Polderfläche und erinnert mit seiner neu errichteten Kirche an die Schrecken, die der gefürchtete "Blanke Hans" einst verbreitete.

Wildsafari und Land-Art

Ein Hauch von Wildnis durchzieht neuerdings auch den "Nieuw Land"-Nationalpark, der seiner Vollendung entgegenwächst. Hier lädt Förster Hans-Eik Kuypers ein zu einer Safari auf dem einstigen Meeresgrund, den man sich bei wuchernder Vegetation an diesem Ort kaum mehr vorstellen kann. Auch die Herden weidender Rinder und Pferde vermitteln den Eindruck einer Schöpfung aus dem Nichts, so wie die neu zugezogenen Sing- und Wasservögel im wogenden Schilfgras. Fantastisch!

Als ebenso attraktiv erweisen sich die gigantischen Kunstwerke von Künstlern aus aller Welt, die entlang der "Land-Art-Route" auf der gesamten Polderfläche im eigenen Fahrzeug entdeckt werden können. Als eine der eindrucksvollsten Kreationen erweist sich ein riesiger "Sitzender Mann". Er entstand aus ineinander verschachtelten Stahlstreben einstiger Starkstrommasten. Eine ähnliche Faszination verbreitet die "Grüne Kathedrale". Allerdings wurde sie nicht errichtet mit massiven gotischen Steinquadern. Vielmehr wuchs sie auf natürliche Weise aus steil in die Höhe schießenden schlanken Laubbäumen.

Formen und Farben

Auf andere Art kunstvoll erweist sich die Polderstadt Almere. Ihr künstlerisches Kapital sind die modernistisch gestalteten Häuserfassaden ganz unterschiedlicher Architekturstile. Darunter auch Bauwerke, die ohne den rechten Winkel auszukommen scheinen und ihre Fassadenfronten auf ganz unkonventionelle Weise präsentieren. So ergeben sich selbst für das geübte Auge immer wieder Orientierungsprobleme, die jedoch die Neugier wecken.

Dies trifft auch zu für die vielfachen Blumenpräsentationen, mit denen Flevoland aufwartet. Allen voran die Tulpen-Pflückgärten entlang der legendären Tulpenroute. In bereitgestellten Gefäßen kann hier jeder seine persönliche Auswahl treffen aus unzähligen Blüten, die sich in langen bunten Bahnen bis zum Horizont erstrecken. Aus dem Rahmen fällt auch der "Orchideenhof", der sicherlich zu den ausgefallensten und gepflegtesten Orchideengärten der Welt gehört. Riesige Gestecke hängen in Kugelform von der Decke herab und versprühen Charme und Eleganz.

Prunkstück "Batavia"

Und doch führt der Weg stets zurück zu einem der ausgefallensten Höhepunkte Flevolands. Es ist, nur einen Steinwurf entfernt vom Batavialand-Museum in Lelystad, die Nachbildung der einst vor der australischen Westküste gesunkenen "Batavia". Als ein Prunkstück der damaligen Zeit symbolisiert sie den Machtanspruch Hollands in seinem "Goldenen Zeitalter".

Voller Begeisterung erklärt Schiffsspezialist Theo de Wilde die kunstvollen Schnitzereien am Schiffsrumpf und die mächtigen Aufbauten an Deck. Doch dann steht ihm plötzlich die Abenteuerlust ins Gesicht geschrieben. Nicht zufällig in dem Augenblick, als er vom Besuch der "Batavia" in Australien bei den Olympischen Spielen im Jahr 2000 berichtet. Mehrfach habe das Schiff vor der Stadtkulisse von Sydney in traditioneller Eleganz die Segel gehisst. So wurde die "Batavia" zu einer Botschafterin Hollands und beförderte die Kunde von der Provinz Flevoland bis hinunter an das andere Ende der Welt.

Weitere Informationen

Anreise: Per Flugzeug über Amsterdam, per Bahn über Zwolle oder Amsterdam. Die Anreise mit dem Auto erhöht wesentlich die Flexibilität vor Ort.

Reisezeit: Flevoland samt Umgebung ist mit seinem touristischen Angebot ganzjährig zu bereisen. Echtes Reisevergnügen erschließt sich aber vor allem im Sommerhalbjahr.

Attraktionen: Museum Batavialand zu Einpolderung, Wassermanagement und Schiffbau (www.batavialand.nl), Nationalpark Nieuw Land mit Naturlandschaft, Orchideengarten mit tropischen Gärten und Tierparks (www.orchideeenhoeve.de), Schokland als einstige Insel der Zuiderzee (www.schokland.nl)

Unterkunft: Almere: Best Western (www.plazahotels.de), Emmeloord: Hotel 't Voorhuys (www.voorhuys.nl)

Essen und Trinken: Almere: Finn Restaurant (www.finnrestaurant.nl), De Beren (www.beren.nl), Schokland: Restaurant Schokland (www.restaurantschokland.nl)

Auskunft: Niederländisches Büro für Tourismus & Convention (NBTC), Richmodstraße 6, 50667 Köln, www.holland.com sowie Visit Flevoland www.visitflevoland.nl

Die Recherchereise wurde unterstützt vom Niederländischen Büro für Tourismus & Convention (NBTC) sowie Visit Flevoland.