Prozess in Frankfurt am Main

Höchststrafe für Mörder von Walter Lübcke


Der Hauptangeklagte Stephan Ernst (r) steht an einem Prozesstag im Dezember 2020 hinter der Anklagebank neben seinem Anwalt Mustafa Kaplan.

Der Hauptangeklagte Stephan Ernst (r) steht an einem Prozesstag im Dezember 2020 hinter der Anklagebank neben seinem Anwalt Mustafa Kaplan.

Von mit Material der dpa

Der Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke erhält eine harte Strafe. Der Mitangeklagte wird dagegen vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen. Die Familie des Opfers reagiert enttäuscht.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat den 47-jährigen Stephan Ernst wegen des Mordes am CDU-Politiker Walter Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt. "Der Angeklagte handelte sowohl heimtückisch als auch aus niedrigen Beweggründen", erklärten die Richter am Donnerstag in der Urteilsbegründung. Sie stellten die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen. Eine anschließende Sicherungsverwahrung behielt sich das Gericht vor. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Revision binnen einer Woche möglich. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft kündigte bereits an, dass er dieses Rechtsmittel nutzen wird.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Ernst in der Nacht zum 2. Juni 2019 den nordhessischen Regierungspräsidenten auf dessen Terrasse im Landkreis Kassel erschossen hat. Er habe Lübcke wegen dessen liberaler Haltung zur Flüchtlingspolitik getötet. Der Politiker hatte 2015 in Ernsts Gegenwart die Aufnahme von Flüchtlingen verteidigte.

Gericht sieht "tief verankerte Ausländerfeindlichkeit"

"Die rechtsextremistische Gesinnung des Angeklagten war ein überdauerndes Handlungsmotiv", erklärte das Gericht. Sie habe Ernst zu früheren Gewalttaten und zu dem Mord bewegt. Wegen seiner "tief verankerten Ausländerfeindlichkeit" seien weiter schwere Gewalttaten von dem Familienvater zu erwarten.

Freigesprochen wurde Ernst vom Vorwurf, einen irakischen Flüchtling 2016 niedergestochen und schwer verletzt zu haben. "Es gibt zwar Umstände, die auf die Täterschaft hindeuten, aber keine tragfähigen Beweismittel", sagte der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel.

Der ursprünglich wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke angeklagte Markus H. wurde wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt. Das OLG verhängte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. H. hatte eine zur Dekowaffe umgebaute Maschinenpistole gekauft, die nicht vollständig unbrauchbar gemacht worden war.

Ernst hatte die Tat wiederholt gestanden - jedoch in drei unterschiedlichen Versionen. Dabei belastete er zuletzt H., der mit am Tatort gewesen sei. Doch an dieser Version habe man angesichts von Widersprüchen und situativ angepassten Aussagen "erhebliche Zweifel", erklärte das Gericht. Ernsts Schilderungen seien nur im Bezug auf den eigenen Tatanteil glaubwürdig.

Familie von Urteil gegen H. enttäuscht

Diese Zweifel wirkten sich entscheidend zugunsten von H. aus. Denn der Vorwurf der Beihilfe zum Mord - H. soll Ernst laut Anklage im Schießen unterrichtet und zur Tat bestärkt haben - beruhten auf Aussagen des Hauptangeklagten. Zwar hätten beide Angeklagte dieselbe rechtsextreme Weltanschauung geteilt. Doch das Gericht habe weder feststellen könne, dass H. den Tatentschluss von Ernst förderte, noch dass er es für möglich hielt, dass Ernst einen politischen Entscheidungsträger töten würde.

Nebenkläger in dem einschließlich der Urteilsverkündung 45 Tage dauernden Prozess war unter anderem die Familie Lübckes - seine Ehefrau und zwei Söhne. Sie zeigten sich über das Urteil gegen H. enttäuscht: Man sei überzeugt, dass er mit Ernst den Mord geplant und vorbereitet habe. "Es schmerzt die Familie, dass das Gericht trotz ihrer Ansicht nach überzeugender Beweislage im Fall H. zu einem anderen Urteil gekommen ist", sagte ein Sprecher der Familie. Man wolle nun in Ruhe entscheiden, ob man Revision einlege.

Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan sprach von unzureichenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die Erwartungen geweckt hätten. "Im Nachhinein muss man sagen, dass wahrscheinlich jeder Dorf-Sheriff besser ermittelt hätte". Die Frage nach einer Revision ließ er unbeantwortet. Der Verteidiger von Markus H., Björn Clemens, sagte, er sei zufrieden mit dem Urteil. Das Verfahren sei rechtsstaatlich verlaufen, und der Senat habe sich nicht von Versuchen, Stimmung gegen den Mandanten zu machen, beeinflussen lassen.

Die Anklage hat sich schon zur Frage der Revision entschieden: Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Dieter Killmer, will Teile des Urteils vom Bundesgerichtshof überprüfen lassen. Dabei geht es um den Freispruch des Hauptangeklagten im Fall des Messerangriffs auf einen irakischen Flüchtling sowie den Freispruch für Markus H. von der Mittäterschaft am Lübcke-Mord. Man sehe H. weiterhin als Teilnehmer an dem Mordgeschehen, sagte Killmer.

Der Mord an Walter Lübcke gilt als erster rechtsextremistischer Mord an einem Politiker in der Bundesrepublik. Der Prozess fand wegen der Corona-Pandemie unter strengen Hygieneauflagen statt. Zahlreiche Bundespolitiker reagierten auf das Urteil. So schrieb SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz auf Twitter: Die Tat Ernsts habe einmal mehr gezeigt, wohin Hass und Hetze führten. CDU-Chef Armin Laschet erklärte: "Dem bösen Wort folgt die verbrecherische Tat - das ist eine der schrecklichen Lehren aus dem Mord an unserem Freund Walter Lübcke."

Grünen-Chefin Annalena Baerbock rief trotz des aus ihrer Sicht "klaren Urteils" zur weiteren politischen Aufarbeitung des Lübcke-Mords auf. Der scheidende Linken-Chef Bernd Riexinger begrüßte das Urteil gegen Stefan Ernst "ausdrücklich": "Walter Lübcke hat sich für Mitmenschlichkeit eingesetzt und wurde dafür ermordet." Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete das Urteil als "angemessene Reaktion auf diese furchtbare Tat".