Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd

Wäre ein solcher Fall auch in Deutschland möglich?


Das minutenlange Martyrium des George Floyd. Ein Polizist kniete auf seinem Nacken, zwei weitere auf seinem Rücken und auf seinen Beinen. Selbst als Floyd das Bewusstsein verlor, ließen die Polizisten nicht von ihm ab.

Das minutenlange Martyrium des George Floyd. Ein Polizist kniete auf seinem Nacken, zwei weitere auf seinem Rücken und auf seinen Beinen. Selbst als Floyd das Bewusstsein verlor, ließen die Polizisten nicht von ihm ab.

Von Redaktion idowa

Ein neuerlicher Fall von massiver Polizeigewalt in den USA sorgt weltweit für Entsetzen. Dabei kam der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis ums Leben. Zuvor hatten ihn drei Polizisten mehr als zehn Minuten am Boden fixiert, einer davon kniete auf Floyds Nacken. Wäre ein solcher Fall auch in Deutschland möglich? Und was geht in der Psyche eines Mannes vor, der einen am Boden liegenden Menschen derart dominiert?

Minneapolis versinkt im Chaos. Und auch in anderen US-amerikanischen Städten lassen tausende Demonstranten teils ihrer Wut freien Lauf. Autos brennen, Supermärkte werden geplündert, Polizeiautos attackiert - die Folge des gewaltsamen Todes von George Floyd. Der 46-jährige Afroamerikaner war am Montag von einer Polizeistreife in seinem Wagen angehalten worden. Gerüchten zufolge wegen vermeintlich gefälschter Dokumente. Floyd war unbewaffnet. Dennoch gingen die Polizisten mit äußerster Brutalität gegen ihn vor. Drei Beamte knieten auf dem am Bauch liegenden Mann, einer der Polizisten sogar auf Floyds Nacken. Immer wieder flehte der 46-Jährige die Polizisten an, von ihm abzulassen. "I can't breathe" ("Ich kann nicht atmen") wiederholte er ein ums andere Mal. Ein Martyrium, das über zehn Minuten andauerte - bis George Floyd das Bewusstsein verlor und wenig später im Krankenhaus verstarb.

Ein Mann mit umgedrehter US-Flagge vor einem brennenden Gebäude in Minneapolis.

Ein Mann mit umgedrehter US-Flagge vor einem brennenden Gebäude in Minneapolis.

Passanten hatten versucht, die Polizisten abzuhalten und filmten das grausame Vorgehen der Beamten. Spätestens seit dieses Video im Internet aufgetaucht ist, herrscht nicht nur in Minneapolis Ausnahmezustand. Aufgrund der zahlreichen Ausschreitungen wurde sogar die Nationalgarde alarmiert. Auch Präsident Donald Trump äußerte sich auf Twitter zu dem Vorfall und versprach eine detaillierte Aufklärung des Falles. Doch wieso kommt es in den USA immer wieder zu derartigen Gewaltübergriffen der Polizei? Und wäre so etwas auch in Deutschland möglich?

US-Polizisten von Anfang an auf "sehr hohem Kommunikationslevel"

Jürgen Köhnlein, Vizechef des Bayerischen Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), hält das für unwahrscheinlich: "Bayerische Polizisten versuchen so viel wie möglich mit Kommunikation zu regeln und jeden weiteren Schritt anzukündigen. Es gibt da verschiedene Eskalationsstufen und dieses Vorgehen kann je nach Verhalten des Gegenübers schrittweise gesteigert werden." US-Polizisten seien dagegen von Anfang an "auf einem sehr hohen Kommunikationslevel", sodass die nächste Steigerungsmöglichkeit eigentlich nur noch der Einsatz von Schlagstock, Pfefferspray, Taser oder gar Schusswaffe sei.

Von einem Abknien auf einem Festgenommenen wird in Deutschland dringend abgeraten

Auch Köhnlein hat das Video des Polizeieinsatzes gegen George Floyd bereits gesehen. Er sagt: "Ich kann nur sagen, dass von einem Abknien auf einem Festgenommenen im Kopf- und Halsbereich nach unseren Richtlinien für polizeiliches Einsatztraining dringend abgeraten wird." Und das aus gutem Grund. Köhnlein: "Uns helfen da die Erfahrungswerte mit dem lagebedingten Erstickungstod. Dieser kann eintreten, wenn man zur Fixierung zu lange auf einer gefesselten Person liegt." Bereits seit Ende der 1990er Jahre werde das in Deutschland in der Polizeiausbildung entsprechend vermittelt.

Psychologe: "Polizist war in einer Art Blutrausch"

Wie ist das Verhalten des mittlerweile inhaftierten Polizisten also aus psychologischer Sicht zu erklären. Einen Ansatz hierfür liefert Prof. Dr. Thomas Loew. Er leitet die Abteilung für Psychosomatik des Universitätsklinikums Regensburg. "Ich denke, das hier eine gefährliche Melange zum Tragen kam. Eine Mischung aus mangelhafter Ausbildung, Rassendiskriminierung und möglichen Kriegstraumata", schätzt der Mediziner. Und weiter: "Ich würde wetten, dass dieser Polizist in der Vergangenheit bereits im Kriegseinsatz war. Die Hemmschwelle zur Gewalt ist dann niedriger und die Gefahr sehr groß, dass in solchen Situationen eine Art Trigger entsteht. Der Polizist war in diesem Moment in einer Art ‚Blutrausch', wie man landläufig sagen würde."

Es ist ein schmaler Grat, auf dem Polizisten bei ihren Einsätzen agieren. Das weiß auch Jürgen Köhnlein: "Fakt ist, dass es keine Musterlösung gibt. Unsere Polizisten haben es auf Streife immer mit Einzelfällen zu tun. Was in der einen Situation richig ist, kann in der nächsten schon falsch sein." Und auch, wenn es das in keinster Weise entschuldigt, hat Köhnlein zumindest einen Erklärungsansatz, wie es zu solchen Gewaltübergriffen durch Polizisten in den USA kommen kann: "Wenn eine Einsatzsituation eskaliert, dann geht der Puls hoch. Dann besteht das Risiko, dass Menschen irrational handeln."

Die Unterschiede in der Polizei-Ausbildung

Umso wichtiger ist hierbei die richtige Schulung der Beamten, um derartige Situationen deeskalierend lösen zu können. Doch auch in der Ausbildung gibt es zwischen Deutschland und den USA gravierende Unterschiede. Köhnlein: "In Deutschland gibt es gemeinsame Standards. Wer bei uns einem Streifenpolizisten begegnet, kann sicher sein, dass dieser über eine intensive zweieinhalbjährige Ausbildung verfügt." Die Ausbildung in Bayern beruhe zum Beispiel auf den drei Säulen Recht, Praxis und Persönlichkeitsbildung. Dazu folgen nach der Ausbildung immer wieder auch Fortbildungen. Nicht so dagegen in den USA. "Die Vorgaben für die Ausbildung in den USA sind zum einen von Bundesstaat zu Bundesstaat sehr unterschiedlich. Dazu variiert die Ausbildungsdauer von nur wenigen Wochen bis hin zu sechs Monaten - je nach Status des Polizisten", erklärt Köhnlein.

Er ist der Überzeugung: "Wenn ein Polizist einen solchen Fehler macht, dann darf es keinen Zweifel geben, dass er dafür auch geradestehen muss. Dazu muss der Sachverhalt aber auch penibel aufgeklärt werden." Die USA scheinen bemüht zu sein, dies umzusetzen. Denn gegen den Polizisten, der auf George Floyds Nacken kniete, wurde Anklage wegen Mordes und Totschlag erhoben. Seine drei Kollegen, die ebenfalls an dem Einsatz beteiligt waren, wurden zumindest mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert.