München zu teuer

Reiter: An Flächentarifvertrag ran, um Pfleger zu halten


Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister von München, spricht.

Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister von München, spricht.

Von dpa

Bei den Gewerkschaften gibt es eine heilige Kuh: den Flächentarifvertrag. Ausgerechnet ein Sozialdemokrat will den für bestimmte Branchen jetzt öffnen. Allerdings nicht, um Dumpinglöhnen Vorschub zu leisten. Ganz im Gegenteil.

Münchens Oberbürgermeister (SPD) will an die Flächentarifverträge ran - um den Pflegekräften und Erziehern in den städtischen Einrichtungen mehr zahlen zu können. "Ich habe alle Zulagen, die es gibt, ausgenutzt", sagte Reiter im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Aber das reiche in einer so teuren Stadt wie München nicht, um die begehrten Fachkräfte zu halten - zumal die private Konkurrenz etwa im Pflegebereich inzwischen mit fünfstelligen Willkommensprämien oder Dienstwagen locke. "Wir müssen uns überlegen, wie wir da Lösungen finden, ohne die Grundfeste der gewerkschaftlichen Idee zu tangieren."

Reiter steht deshalb in Kontakt mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Sein Ziel: Kommunen in Ballungszentren mit besonders hohen Lebenshaltungskosten sollen mehr zahlen dürfen als im jeweiligen Flächentarifvertrag vorgesehen. Natürlich komme es dadurch nur zu einer Verlagerung, nicht aber zur Schaffung von mehr Kapazitäten, räumte Reiter ein. "Aber für mich ist diese Möglichkeit trotzdem wichtig, weil wir die Notfallversorgung für diese Stadt sicherstellen. Die Privatkliniken, die vorwiegend Kniegelenke oder Hüftgelenke operieren, kümmern sich im Normalfall nicht darum, wenn jemand um 3 Uhr nachts nach einem Verkehrsunfall behandelt werden muss."

Reiter sucht nach Lösungen

"Und ganz ehrlich, mich nervt es einfach, dass man so tut, als gäbe es in ganz Deutschland einheitliche Verhältnisse", ergänzte Reiter. Der Sozialdemokrat will deshalb Anfang des Jahres in einer weiteren Runde mit dem DGB nach Lösungen suchen, die auch anderen Kommunen wie Hamburg oder Berlin zugute kommen könnten.

Darüber hinaus diskutiert Reiter mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auch eine Art "Münchner Mindestlohn". Denn selbst mit dem neuen Mindestlohn liege ein Arbeitnehmer bei einer 40-Stunden-Woche gerade einmal auf Höhe der Münchner Armutsgrenze, erläuterte er. Problematisch dabei: Hier sind auch noch Probleme mit dem EU-Vergaberecht zu lösen. "Es kann ja nicht sein, dass die Stadt München genau denjenigen keinen Auftrag mehr geben darf, die mit der Stadt einen höheren Mindestlohn vereinbaren, aber dadurch im Vergabewettbewerb zu teuer sind."

München baut Wohnungen

Bis zum Sommer will Reiter sowohl beim Flächentarifvertrag als auch beim Mindestlohn Ergebnisse erreichen - in welcher Form auch immer. "Es kann statt eines Tarifvertrags ja auch ein Letter of Intent oder ein Memorandum of Understanding oder eine mündliche Vereinbarung sein."

Zugleich baue die Stadt massiv Wohnungen, um die Stadt für Pflegekräfte, Erzieher und Busfahrer als Arbeitgeberin attraktiv zu halten. "Da müssen wir politisch diskutieren, ob wir unsere städtischen Wohnungen nicht ein, zwei Jahre lang sogar vorrangig nur noch an diese Fokusgruppen vergeben."

Zugleich betont Reiter, dass Geld nicht alles sei - ebenfalls wichtig sei eine Reduzierung der Arbeitsbelastung. Doch da beiße sich die Katze in den Schwanz, denn die sinke nur durch mehr Personal. Die finanziell schmerzhafte Folge in den städtischen Kliniken: "Wir haben reihenweise Betten abgemeldet."