Mängel in Dissertation

Plagiatsjäger schauen genau auf die Finger


Der Professor am Centre for British Studies der Humboldt-Universität zu Berlin, Gerhard Dannemann, am 23.03.2016 in Berlin.

Der Professor am Centre for British Studies der Humboldt-Universität zu Berlin, Gerhard Dannemann, am 23.03.2016 in Berlin.

Von Monika Müller

Plagiatsjäger haben schon mehrere Politiker Doktortitel und Amt gekostet. Die Online-Plattform VroniPlag schaut seit fünf Jahren prominenten und weniger bekannten Forschern auf die Finger. Ihre Methoden nötigen inzwischen auch der Wissenschaft Respekt ab.

Martin Heidingsfelder kommt immer noch nicht darüber hinweg, dass Ursula von der Leyen sich weiterhin Doktor nennen darf. "Jeder Offizier, der 32 Plagiate vorlegt, wird unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen", sagt er. Dass die Verteidigungsministerin als Chefin der Bundeswehr-Universitäten Anfang März mit so vielen Mängeln in ihrer Dissertation durchkam, hält der Plagiatsforscher für einen Skandal.

Den 50-Jährigen wird das trotzdem nicht davon abhalten, seine Jagd fortzusetzen. "Es gibt noch genügend Politiker mit Doktortitel." Heidingsfelder betreibt die Überprüfung wissenschaftlicher Arbeiten professionell. Vor fünf Jahren, am 28. März 2011, gründete der ehemalige American-Football-Nationalspieler die Internetplattform "VroniPlag Wiki" - kurz nach dem Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen einer in weiten Teilen abgeschriebenen Doktorarbeit.

"Beachtliche Arbeit"

VroniPlag ist nach Veronica Saß benannt, der Tochter des früheren bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, deren Doktorarbeit sich die Plagiatsjäger als erste vornahmen. Es folgte Silvana Koch-Mehrin (FDP), damals Vizepräsidentin des Europaparlaments. Ergebnis: Verlust des Doktortitels und Rücktritt. Dann war Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) an der Reihe. Auch sie büßte nach dem Doktortitel ihr politisches Amt ein.

Die "Leistungsbilanz" der Plagiatsforscher nötigt auch der Wissenschaft, die anfangs teilweise noch Nestbeschmutzung witterte, überwiegend Respekt ab. So sagt der wichtigste Experte für korrekte wissenschaftliche Praxis in Deutschland, Ombudsmann Wolfgang Löwer: "VroniPlag macht eine beachtliche Arbeit."

Die Schummelei-Enthüller gäben sich "enorme Mühe, das Umfeld einer Arbeit abzugleichen. Das ist sehr aufwendig." Und die Mitarbeiter der Plattform schickten ihr Material auch nicht einfach "durch irgendein beliebiges Wortvergleichssystem", so der Bonner Rechtsprofessor. Denn damit könne man nur "in studentischen Arbeiten Pfusch entdecken. Für wissenschaftlich anspruchsvolle Arbeiten genügt das nicht."

Gründungsvater Heidingsfelder hat sich mittlerweile mit den anderen Machern von VroniPlag zerstritten, ist ausgestiegen und forscht nur noch gegen Bezahlung nach Plagiaten. Auf seiner Seite "Politplag" sind 110 Bundespolitiker mit Doktortitel aufgelistet. Hinter einigen stehen Beträge, zum Beispiel 1.500 Euro bei Dr. rer. nat. Angela Merkel. Gefunden hat Heidingsfelder in der Arbeit der Kanzlerin bisher nichts. "Aber das ist nie abgeschlossen", sagt er. Es sei also möglich, dass irgendwann doch noch kopierte Stellen entdeckt würden.

Fälle mit Abschreckungswirkung


Bei den heutigen Mitarbeitern von VroniPlag wird Heidingsfelders Arbeitsweise kritisch gesehen. Ihm reichen wenige Plagiatsbeispiele aus, um eine Arbeit bei einer Universität anzuzeigen. Den Rest überlässt er dann den Wissenschaftlern der Hochschule. VroniPlag hat den Anspruch, mit einem Fall erst an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn er umfassend dokumentiert ist und Zahl und Art der Plagiate ein klares Bild abgeben.

"Bei Guttenberg bin ich mir ganz sicher, dass die Dokumentation der Plagiate mehr Zeit in Anspruch genommen hat als das Schreiben dieser Arbeit", sagt der Berliner Rechtsprofessort Gerhard Dannemann, der bei VroniPlag mitwirkt. "Das gilt auch für die Arbeit von der Leyens. Da geht es um viele Monate." Dannemann glaubt nicht, dass die nächste Politiker-Enthüllung bevorsteht. Auf VroniPlag sind inzwischen 166 Arbeiten öffentlich dokumentiert, 18 wurden von Politikern verfasst, darunter aber auch Kommunalpolitiker.

Von den zwölf auf der Seite aktiven Plagiatsforschern hat nur einer es speziell auf Politiker abgesehen. "In der Öffentlichkeit ist die Luft langsam raus aus dem Thema plagiierende Politiker. Der Fokus ist schon vor Jahren weitergewandert auf Wissenschaftler oder eben allgemein auf die wissenschaftliche Dimension von Plagiaten", sagt Dannemann.

"Es wird am Unglück anderer Leute verdient"

Diesen Eindruck teilt Deutschlands oberster Ombudsmann, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingesetzte Professor Löwer. "Je später die Politiker promoviert haben, desto berechtigter ist die Hoffnung, dass nicht mehr so viele Plagiate auftauchen." Auch er geht davon aus, "dass VroniPlag durch ist". Allerdings sei in der Forschung - trotz aller Verbesserungen nach intensiven Debatten, etwa durch Ombudsleute und Kurse für saubere wissenschaftliche Arbeit - in punkto Qualitätssicherung durchaus noch "Luft nach oben".

"Der hauptsächlich eintretende Effekt ist natürlich, dass die Fälle der Erwischten Abschreckungswirkung haben", sagt Löwer. "Man darf im Moment vermuten, dass nur dreiste Leute noch auf die Idee kommen, mit einem Plagiat durchzukommen. Zumal man auch beobachten konnte, welche sozialen Folgen das Erwischtwerden nach sich zieht."

Den "Geburtstagskindern" von der Enthüllungsplattform - mit der er selbst regelmäßig Kontakt hat - gibt Jurist Löwer neben Respekt auch eine Mahnung mit auf den Weg. An der Sensibilität für Persönlichkeitsrechte könne VroniPlag noch arbeiten. "Wer beobachtet wird - das behandeln sie diskret. Nicht diskret behandeln sie ihre Verdachtsfälle. Jede Nennung von VroniPlag führt ja schon zu größten, vorverurteilungsähnlichen Konsequenzen. Das ist problematisch."

Die Plagiatsforscher machten ihre zweifellos sehr intensive Arbeit, "um die Universitäten unter Druck zu setzen". Er sähe es lieber, wenn Verdachtsfälle zunächst an die zuständigen Einrichtungen der Hochschulen, also etwa Ombudsleute, abgegeben würden. "Und wenn die dann nichts machen, bin ich einverstanden, dass die Öffentlichkeit informiert wird." Nicht gut zu sprechen ist Löwer auf rein kommerzielle Plagiatsjäger: "Das finde ich weniger schön, denn es bedeutet immer, am Unglück anderer Leute zu verdienen."