Lügenpresse? Fake-News?

Das ist der tägliche Wahnsinn in einer Redaktion


Gute Kinderstube sucht man bei Kommentaren im Internet immer häufiger vergeblich. Sachliche und objektive Diskussionen sind kaum noch möglich.

Gute Kinderstube sucht man bei Kommentaren im Internet immer häufiger vergeblich. Sachliche und objektive Diskussionen sind kaum noch möglich.

Von Matthias Jell und Redaktion idowa

Begriffe wie "Werteverfall", "Lügenpresse" und "Fake News" haben in Deutschland seit einigen Jahren ihren festen Platz in der neuen Medienöffentlichkeit. Damit verbunden die Fragen, "wem kann man noch vertrauen?" und "wem kann man noch glauben?". Auf der Suche nach der Wahrheit werden mittlerweile häufig falsche Tatsachen zum Instrument der Meinungsmache. Flankiert wird das Ganze noch mit reichlich Halbwissen. Betrachtet man die heutige Diskussionskultur im Internet, dann fällt auf: jeder hat eine Meinung. Eine objektive Mitte gibt es dabei allerdings kaum noch. Zwei Seiten prallen täglich aufeinander und jede dieser Seiten beansprucht für sich, die Wahrheit zu repräsentieren.

Die Folge dieser Kollision: der Ton wird zunehmend rauer. Ein Problem, mit dem vor allem auch Medien und Behörden wie die Polizei täglich konfrontiert werden. Medien, Polizei und insbesondere der Politik schlägt eine Welle des Misstrauens entgegen. Vor allem bei einem Thema: Migranten. Ein daraus resultierendes Phänomen: dubiose Privat-Blogger und zwielichtige Aktivisten nutzen dieses Misstrauen in die Medienlandschaft für ihre Zwecke aus und schüren teils bewusst weiter das Feuer. Sei es durch die Verbreitung von Unwahrheiten oder Halbwahrheiten. Allzu schnell wird dies dann in vermeintlich sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter von etlichen Nutzern als die tatsächliche Wahrheit akzeptiert und weiterverbreitet.

Ein kleiner Auszug des täglichen Wahnsinns in den sozialen Netzwerken - die heutige Diskussions"kultur".

Ein kleiner Auszug des täglichen Wahnsinns in den sozialen Netzwerken - die heutige Diskussions"kultur".

Wie geht man nun in Reihen der Medien und der Polizei damit um? In der "Richtlinie 8.1. - Kriminalberichterstattung" des Pressekodex heißt es: "An der Information über Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit. Es ist Aufgabe der Presse, darüber zu berichten." So weit, so gut. Komplizierter wird der Fall dann, wenn es um die Nennung von Nationalitäten geht. In der "Richtlinie 12.1. - Berichterstattung über Straftaten" des Pressekodex heißt es hierzu: "(…) Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse (...)". Es gilt also, jeweils zu prüfen, ob ein öffentliches Interesse vorliegt. Doch wann ist dies der Fall und eine Nennung der Nationalität eines Tatverdächtigen oder Täters somit gerechtfertigt? Genau daran scheiden sich offensichtlich die Geister.

"Ethisch-moralische Abwägung jedes Einzelnen"

Das räumt auch Michael Busch, Vorsitzender des Bayerischen Journalisten-Verbandes, ein. Er sagt, dass sich die Frage, wann ein öffentliches Interesse hoch genug ist, um Nationalitäten zu nennen, pauschal "nur schwierig beantworten lässt". Busch: "Letztlich ist es aus meiner Sicht eine ethisch-moralische Abwägung jedes Einzelnen und dessen Argumentationskette, warum die Nationalitätennennung von öffentlichem Interesse sein könnte. Ob es dann tatsächlich so ist, entscheiden wiederum andere." Generell gelte, dass die Nationalität keine Rolle spielt, wenn die Straftat mit der Herkunft in keiner Weise zusammenhängt. Kulturelle Unterschiede hingegen können allerdings sehr wohl ein Faktor sein. "Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn in einem anderen Land das, was hier als Straftat gewertet wird, keine Straftat ist", erklärt Busch. Ein öffentliches Interesse liege in der Regel dann vor, wenn die Gerichte eingeschaltet werden.

In keinem Fall darf eine Gruppe unter Generalverdacht gestellt werden, ebenso wenig beteiligt man sich an Spekulationen. Was zählt, sind Fakten. Im täglichen Arbeitsablauf sieht das häufig so aus, dass man als Medium eine Pressemeldung der Polizei erhält, die das jeweilige Tatgeschehen so detailliert wie möglich schildert. Wird dann nach einem flüchtigen Täter gesucht und eine Beschreibung dieser Person war vom Opfer nur sehr vage möglich, fängt das Problem meist schon an. "Wie hat der Täter gesprochen?" - diese Frage scheint vielen Bürgern mittlerweile wichtiger, als die eigentliche Klärung des Falles zu sein. Liegen dazu aber weder der Polizei noch der Presse Informationen vor, wird allzu schnell der Verdacht geäußert, man wolle selbige ganz bewusst zurückhalten. Das Misstrauen gipfelt in der Folge in skurrilsten Verschwörungstheorien. Beispielsweise wird dann behauptet, dass angeblich Kanzlerin Angela Merkel höchstselbst den Medien diktieren würde, was sie schreiben dürfen und was nicht.

Polizei: "Wir wollen garantiert nichts verschweigen"

Hat sich ein Gerücht erst einmal verfestigt, schießen die wildesten Vermutungen ins Kraut und jeder glaubt, was er will - ungeachtet der Faktenlage. Auch beim Polizeipräsidium (PP) Niederbayern kennt man dieses Problem. Polizeioberrat Josef Eckl, Leiter des Präsidialbüros, beteuert: "Wir wollen garantiert nichts verschweigen, sondern ausreichend informieren. Allerdings müssen diese Informationen verifiziert sein, für Spekulationen ist in der Polizeiarbeit kein Platz." Grundsätzlich seien alle Pressemeldungen, die in Bezug auf ein Ermittlungsverfahren veröffentlicht werden, mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgestimmt, denn diese leite die Ermittlungen. Es sei ein absurder Irrglaube in der Bevölkerung, dass die Polizei nahezu willkürlich Menschen festnehmen könne. "Einige Leute denken offenbar, das läuft ab wie bei den Krimis im Fernsehen. Dort wird sofort jeder weggesperrt. Das hat aber mit der Realität nichts zu tun", stellt Polizeihauptkommissar Johann Lankes vom Presseteam des PP Niederbayern klar.

Hetze im Netz: Verfahren haben zugenommen

Vielmehr ist die Polizei gar nicht befugt, einen Tatverdächtigen länger als bis zum Ende des auf die vorläufige Festnahme folgenden Tages festzuhalten. Jeder vorläufig Festgenommene ist zur Klärung der Haftfrage unverzüglich einem Richter vorzuführen. Hat er beispielsweise einen festen Wohnsitz und es besteht keine Fluchtgefahr, ist er nach Ablauf der polizeilichen Maßnahmen wieder auf freien Fuß zu setzen. So will es das Gesetz. Auch in Reihen des Presseteams des Polizeipräsidiums hat man mittlerweile ein Gespür für die Brisanz diverser Meldungen entwickelt. Polizeihauptkommissar Michael Emmer vom Social Media Team des PP Niederbayern räumt ein: "Bestimmte Meldungen steuern wir nur an die Presse raus, stellen sie aber in einzelnen Fällen nicht mehr auf Facebook oder Twitter zur Diskussion." Man habe damit in der Vergangenheit so seine negativen Erfahrungen gemacht. Konkret ging es dabei um Posts über Straftaten in Zusammenhang mit Asylbewerbern. Auch Emmer berichtet: "Die Diskussionskultur hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre noch einmal gravierend verändert. Eine sachliche und objektive Diskussion findet bei bestimmten Themen durch einzelne User kaum noch statt."

Auch beim Polizeipräsidium Niederbayern kennt man die Problematik "Hass und Hetze im Internet" anhand der täglichen Öffentlichkeitsarbeit. (v. li.): Polizeihauptkommissar Michael Emmer, Polizeioberrat Josef Eckl, Kriminalhauptkommissar Günther Tomaschko und Polizeihauptkommissar Johann Lankes.

Auch beim Polizeipräsidium Niederbayern kennt man die Problematik "Hass und Hetze im Internet" anhand der täglichen Öffentlichkeitsarbeit. (v. li.): Polizeihauptkommissar Michael Emmer, Polizeioberrat Josef Eckl, Kriminalhauptkommissar Günther Tomaschko und Polizeihauptkommissar Johann Lankes.

Auch bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) kennt man dieses Problem. Dort ist das Thema "Hass und Hetze im Netz" in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt geworden. "Hintergrund ist, dass hierzu die Beschwerden und Hinweise aus der Bevölkerung und von anderen Stellen und damit die Prüf- und Aufsichtsverfahren deutlich mehr geworden sind", berichtet BLM-Bereichsleiterin Verena Weigand. Besonders häufig seien Vorwürfe der Volksverhetzung, wobei die Grenze zum Verstoß nicht immer überschritten sei.

"Ausländer werden immer wieder zu Sündenböcken gemacht"

Eine Entwicklung, die wir auch bei idowa.de registrieren. Beleidigungen, Hass und Hetze gehören mittlerweile zur Tagesordnung. Sowohl von der linken wie auch von der rechten Seite. Wie geht man damit um? Auf idowa.de werden sämtliche Kommentare vorher geprüft und dann entschieden, ob sie freigeschaltet werden oder nicht. Dabei bekommt man als Redakteur so einiges zu lesen. Meist von Nutzern, die immer in die gleiche Kerbe schlagen und dabei jegliche Netiquette und Anstand vermissen lassen. So bezeichnete ein User mit dem Namen "Erdoganer" am 1. Oktober 2018 die Redaktion in einem Kommentar als "Nazidowa". Ein alter Bekannter ist auch der User "Straubingerin". Am 28. August 2018 schickte er den Kommentar "Tötet die Journalienhuren!!", nur um sich dann in einem weiteren Kommentar zu echauffieren: "Von mir wird wieder alles zurückgehalten...scheiß Möchtegernjournalien! Ihr werdet bald hängen! Versprochen!". Selbstredend wurden all diese Kommentare von uns nicht freigegeben. Rechtliche Schritte werden aktuell geprüft.

Wie geht man nun vor gegen die Fülle an virtuellen Hasstiraden? Weigand: "Das eine Patentrezept, um gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen, gibt es nicht. Die gesamte Gesellschaft ist gefordert. Es muss an verschiedenen Stellen angesetzt werden." Ein Ansatz wäre die Medienaufsicht, wo man mit "repressiven Maßnahmen" gegen Anbieter und Kommentatoren vorgehen könne.

Misstrauen und Hass

Die Möglichkeit, Kommentare vor einer Veröffentlichung zu prüfen, besteht jedoch auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter nicht in sinnvoller Form. Auf der Facebook-Seite von idowa.de gleicht die Aufgabe in der Folge oftmals einer Sisyphusarbeit. Beleidigungen, Propaganda und sonstige Hetze werden als Kommentare verborgen, es wird auf die Netiquette verwiesen. Doch bereits beim nächsten Post zu irgendeiner Straftat, beginnt das Ganze wieder von vorne. Nennt man dann bei einem Straftäter aus öffentlichem Interesse die Nationalität, wird man von der einen Seite im Handumdrehen als "rechts-tendenziös" abgekanzelt. Nennt man die Nationalität hingegen nicht, weil man redaktionsintern zu dem Schluss gekommen ist, dass es bei der Faktenlage nicht notwendig ist, heißt es von der anderen Seite, man würde etwas vertuschen wollen. Schreibt man dagegen in einem Fall zum Beispiel "der Tatverdächtige aus dem Landkreis Landshut", kommt als Reaktion "wäre es ein Syrer gewesen, hättet ihr das nicht dazugeschrieben". Egal, wie man es also macht, Misstrauen und Hass scheinen einem gewiss zu sein.

Ein konkretes Fallbeispiel

Eine Entwicklung, die nachdenklich stimmt. Das kennt man auch bei den für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Beamten des PP Niederbayern. Dort kommt allerdings noch ein weiteres besorgniserregendes Phänomen hinzu, wie Josef Eckl berichtet: "Es kommt immer wieder vor, dass Ausländer zu Sündenböcken gemacht werden." Eckl macht dies an einem konkreten Fall fest: "Vor einiger Zeit fand eine Frau ihren Ehemann mit diversen Stichwunden. Der Mann berichtete seiner Frau kurz bevor er ohnmächtig wurde, dass drei dunkelhäutige Täter auf ihn eingestochen hätten. Dementsprechend richteten wir zunächst auch unsere Ermittlungen darauf aus und fahndeten nach drei unbekannten dunkelhäutigen Männern." Doch dann bekam der Fall eine plötzliche Wendung und die Wahrheit trat ans Licht. "Es stellte sich heraus, dass sich der Mann die Stichwunden selbst zugefügt hatte. Seiner Frau gegenüber konnte er das jedoch im ersten Moment nicht gestehen, daher erfand er die ominösen drei dunkelhäutigen Täter", so Eckl. Erst durch dieses Geständnis des Mannes konnte der Fall gelöst werden. Eckl gibt jedoch zu Bedenken: "Jetzt stellen Sie sich mal vor, dieser Mann stirbt an seinen schweren Verletzungen und das Letzte, was er vor seinem Ableben sagt, ist, dass es drei Dunkelhäutige waren, die auf ihn eingestochen haben."