Lehrerpräsident nach Mord an Samuel Paty

"Mir haben einige geschrieben, sie hätten resigniert"


Heinz-Peter Meidinger ist Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Im Interview mit idowa geht er auf die Zuschriften von Lehrkräften ein, die er nach dem extremistisch motivierten Mord an einem französischen Lehrer erhalten hat, erläutert die Situation von deutschen Pädagogen an Brennpunktschulen und erklärt, was seitens der Politik gefordert ist.

Samuel Paty, der Lehrer, der vor etwas mehr als einer Woche Opfer eines islamistisch motivierten Gewaltaktes in Frankreich geworden ist, hat die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo verwendet, um mit seinen Schülern das Thema Meinungsfreiheit im Unterricht zu erarbeiten. Werden diese auch im bayerischen Unterricht verwendet?

Heinz-Peter Meidinger: Ich weiß jetzt nicht, ob sich diese Mohammed-Karikaturen auch in bayerischen Lehrbüchern finden. Man muss auch unterscheiden, ob nur über Meinungs- und Kunstfreiheit unter Verweis auf Charlie Hebdo im Unterricht diskutiert wird, oder ob die Karikaturen explizit gezeigt werden. Ich glaube aber, dass beides an unseren Schulen, auch in Bayern, möglich sein muss. Auch unser ermordeter französischer Kollege Samuel Paty hat ja nicht die Karikaturen seinen überwiegend muslimischen Schülern einfach vorgeknallt, sondern sehr einfühlsam in das Thema eingeführt. Die Schüler mussten sich die Bilder nicht anschauen, sondern konnten den Klassenraum verlassen. Das hat ihn aber nicht vor dem Hass seines Mörders und dessen Anstifter bewahrt. Erschreckt hat mich schon vor fünf Jahren anlässlich des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo, dass damals auch in Deutschland Lehrkräfte darüber berichtet haben, dass einzelne Schüler diesen Terrorakt im Unterricht offen verteidigt haben, weil eine Beleidigung des Propheten mit dem Tode zu ahnden sei.

Werden bestimmte politische Inhalte von den Lehrkräften im Unterricht weniger intensiv thematisiert, um möglicherweise die Schüler nicht vor den Kopf zu stoßen oder sich auch selbst vor Aggression zu schützen?

Meidinger: Im Zusammenhang mit Islamismus und Fundamentalismus gibt es immer wieder Probleme und Widerstände gegen bestimmte Unterrichtsinhalte, auch jenseits der Darstellung von Mohammed. Da geht es zum Beispiel um die Evolutionslehre von Charles Darwin, um die Entwicklung des Menschen vom homo erectus zum homo sapiens, wo dann interveniert wird - von einzelnen Eltern, von älteren Schülern, die sagen, dass das dem Koran und damit Gottes Lehre widerspricht und nicht unterrichtet werden soll. Auch beim Holocaust oder der Behandlung des Nahostkonflikts ergeben sich Streitigkeiten bis hin zu verbalen Bedrohungen. Da heißt es dann, wir wollen nicht Schindlers Liste sehen, sondern einen Film über das, was heute der Staat Israel den Palästinensern antut. Aber es gibt auch andere Einflussnahmen, was etwa das Verbot von Schultests während des Ramadan anlangt, die Nichtteilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht oder die Gestaltung des Mensaplans ohne Gerichte mit Schweinefleisch.

Wie gehen die Lehrkräfte mit solchen Situationen um?

Meidinger: Ich habe aktuell auf unsere Presseerklärung zum Tod von Samuel Paty eine Reihe sehr persönlicher und konkreter Rückmeldungen von Lehrkräften, insbesondere aus Brennpunktschulen mit einem hohen Anteil von muslimischen Schülern erhalten, dass das leider keine Einzelfälle sind. Und ja, mir haben einige auch geschrieben, sie hätten resigniert und würden solchen Konflikten aus dem Weg gehen, weil sie zu wenig Rückendeckung von ihrer Schulleitung oder dem Ministerium erhalten. Die meisten der Emails stammten aber aus dem außerbayerischen Raum, aber auch in Bayern, etwa in München und Nürnberg, gibt es solche Vorfälle. Das ist natürlich ein ernstes Warnzeichen.

"ein regelrechter Hass-Shitstorm"

Gibt es an bayerischen Schulen über die vergangenen Jahre vermehrt Probleme mit extremen Haltungen von Schülern, etwa im Hinblick auf Themen wie die Gleichstellung von Mann und Frau oder die Anerkennung unserer rechtsstaatlichen Ordnung?

Meidinger: Ich bin ja Vorsitzender eines deutschen Lehrerverbandes, deshalb habe ich die Situation in Gesamtdeutschland im Blick. Ob es in Bayern eine starke Zunahme von Problemen mit extremen Haltungen von Schülern gibt, auch im Umfeld des Islamismus, kann man schon deshalb schlecht beantworten, weil dazu Studien beziehungsweise Vergleichsuntersuchungen und entsprechende Umfragen an Schulen Mangelware sind. Das Thema ist leider nach wie vor ein Tabuthema, das nicht die Aufmerksamkeit findet, die es finden müsste.

"Mit der großen Mehrheit der Kinder und Eltern mit einer entsprechenden Migrationsgeschichte gibt es keine oder kaum Probleme."

Gibt es entsprechende Erkenntnisse aus anderen Bundesländern?

Meidinger: In einem anderen Bundesland haben sich vor ein paar Jahren weibliche Lehrkräfte in einem offenen Brief an ihre Lehrergewerkschaft, es war nicht der Deutsche Lehrerverband, gewandt, und anhand vieler Einzelbeispiele aufgezeigt, wie rüde und verachtend Teile der muslimischen Schüler- und Elternschaft mit ihnen umgehen. Beleidigungen wie Hure und Schlampe waren da nicht die krassesten Beispiele. Allein aufgrund ihres Geschlechts werden Lehrerinnen von einem radikalen Teil dieser Bevölkerungsgruppe nicht akzeptiert. Das hat natürlich mit dem Frauenbild in ihren Herkunftsländern zu tun. Wichtig ist mir, dass das eine absolute Minderheit unter den Muslimen in Deutschland ist, die so aggressiv agiert. Mit der großen Mehrheit der Kinder und Eltern mit einer entsprechenden Migrationsgeschichte gibt es keine oder kaum Probleme. Unredlich wäre es auch, zu verschweigen, dass wir jenseits des Problemfelds Islamismus auch andere Interessensgruppen, extremistische Organisationen und Personen haben, die unsere rechtsstaatliche Ordnung, unseren Staat und den demokratischen Auftrag der Schule in Frage stellen, etwa aus der Ecke des Rechtsextremismus und der identitären Bewegung.

Der Vater einer Schülerin hatte wohl online massiv gegen den Lehrer Samuel Paty agitiert, weil er die Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. Diese Mobilisierung scheint wenigstens zur Eskalation der Situation beigetragen zu haben. Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen Lehrer in Bayern zum Ziel ähnlicher Kampagnen wurden? Und wie wird dann vorgegangen?

Meidinger: Das Beispiel von Samuel Paty zeigt, wie Hasskampagnen in sozialen Netzwerken und in der Öffentlichkeit direkt zu Verbrechen und sogar Mordtaten führen können. Solche islamistisch motivierten Hasskampagnen gegen einzelne Lehrkräfte sind mir jetzt aus jüngster Zeit nicht bekannt, aber ich schließe solche Vorfälle auch nicht aus. Was ich selbst erlebt habe, war umgekehrt vor einigen Jahren eine Hasskampagne gegen Lehrkräfte meiner Schule auf entsprechenden Portalen und in einschlägigen Chatforen, weil sie eine Hilfsaktion für Flüchtlingskinder organisiert haben und diesen vorgeworfen wurde - übrigens völlig an den Haaren herbeigezogen - dass die Schulkinder zu dieser Spendenaktion gezwungen worden seien. Da hat sich ein regelrechter Hass-Shitstorm über diese Lehrkräfte ergossen, meist unter dem Deckmantel der Anonymität. Wir haben damals die Kriminalpolizei und Rechtsanwälte eingeschaltet. Es ist aber nicht leicht, die Urheber dann ausfindig zu machen. Auch bei islamistisch motivierten Vorfällen würde ich zu einem konsequenten Vorgehen raten, Schulleitung und Ministerien dürfen solche Vorfälle nicht unter den Tisch kehren.

"verhindern, dass wir französische Verhältnisse kriegen"

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Heinz-Peter Meidinger

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Heinz-Peter Meidinger

Welche Angebote im Sinne religiöser Bildung gibt es an bayerischen Schulen über die christliche Wertevermittlung beziehungsweise Ethikunterricht hinaus? Sehen Sie hier Investitionsbedarf seitens des Staates, etwa im Hinblick auf die Vermittlung von Inhalten des muslimischen Glaubens?

Meidinger: In Bayern gibt es neben dem Ethikunterricht auch das Angebot eines Islamunterrichts in staatlicher Verantwortung als Modellversuch, der letztes Jahr nochmals um zwei Jahre verlängert wurde. Allerdings erreichen wir damit derzeit nur rund 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens in Bayern. Ich halte das Modell für gut, weil es vielleicht auch ein Beitrag sein kann, den Einflussbereich radikalisierter Koranschulen, in die ja viele muslimische Kinder, parallel zur Schule von ihren Eltern geschickt werden, zurückzudrängen.

"Die meisten betroffenen Lehrkräfte, aber auch die Schulleitungen fühlen sich da oft sehr allein gelassen."

Sehen Sie generell Bedarf, die Lehrkräfte verstärkt im Umgang mit Aggressionen zu unterstützen beziehungsweise zu schulen?

Meidinger: Also wenn mir eines in den letzten Tagen verstärkt bewusst geworden ist, dann diese Erkenntnis, dass betroffene Lehrkräfte und Schulen viel mehr Unterstützung brauchen. Die meisten betroffenen Lehrkräfte, aber auch die Schulleitungen fühlen sich da oft sehr allein gelassen. Bislang erweckt auch die Politik den Eindruck, dass sie an einer Problemlösung nicht besonders dringlich interessiert ist. Gute Erfahrungen haben Brennpunktschulen damit gemacht, dass externe Referenten, Schulpsychologen, Migrationsexperten, erfahrene Lehrkräfte mit eigenem Migrationshintergrund an die Schule gekommen sind, um Lehrkräfte im Umgang mit solchen Problemen zu schulen und stark zu machen. Solche Angebote gibt es aber viel zu wenige. Ich glaube auch, dass wir in der Lehrerausbildung da schon Veranstaltungsangebote machen müssen, gerade junge Lehrkräfte fühlen sich oft völlig unvorbereitet und regelrecht überfahren, wenn sie mit solchen Pressionen konfrontiert werden. Es sollte auch außerhalb des berühmten Dienstwegs Vertrauensleute und Ombuds-Stellen geben, wohin sich betroffene Lehrkräfte jederzeit, notfalls auch anonym, wenden können.

Welche Sicherheitsvorkehrungen bestehen an bayerischen Schulen, um Schüler, Lehrerinnen und Lehrer vor Gewalt zu schützen?

Meidinger: In den USA gibt es ja an vielen Schulen schwer bewaffnetes Sicherheitspersonal, Röntgenschleusen bei Betreten des Schulhauses, hermetisch abgeriegelte Außentüren, Durchsuchung der Schultaschen und einen Präsidenten, der empfiehlt, Lehrkräfte zu bewaffnen. Schulen zu Hochsicherheitstrakten zu machen, widerspricht meinem Verständnis einer offenen Schule in einer Demokratie. Dies ist in Deutschland auch nicht notwendig. Ich setze darauf, dass man durch konsequentes Handeln bei Bedrohungsversuchen und durch intensiven Dialog und natürlich auch eine erfolgreiche Integrationspolitik verhindern kann, dass wir auch hier in Bayern französische oder amerikanische Verhältnisse kriegen.