Langlebenhof Passau

Inklusives Arbeiten zwischen Aronia-Beeren


Leben und arbeiten auf dem Inklusionshof (v. l.): Kolja Müller, Jochen Kurzböck und Patrick Buttinger.

Leben und arbeiten auf dem Inklusionshof (v. l.): Kolja Müller, Jochen Kurzböck und Patrick Buttinger.

Von Anna Grüter

Trisomie 21 zwang Jochen Kurzböck oft zu einem Leben am Rand der Gesellschaft. Auf dem Langlebenhof in Passau hat er seinen Platz und Arbeit gefunden.

Jochen Kurzböck und Patrick Buttinger begrüßen sich mit einer Umarmung und überschwänglichem Schulterklopfen. Sie scheinen sich schon eine Ewigkeit zu kennen. Zusammen tragen sie eine schwere Getränkekiste zum Transporter, der zum Beladen bereitsteht. Die beiden jungen Männer arbeiten am Langlebenhof. Hier wird tagtäglich eine Philosophie gelebt; der Langlebenhof steht ganz im Zeichen der Inklusion.

Das bedeutet, dass Menschen mit Beeinträchtigung, egal ob körperlich oder geistig, einen Platz in der Mitte der Gesellschaft haben sollen und als gleichwertiges Teammitglied in den Arbeitsalltag eingebunden werden. Patrick Buttinger ist als Inklusionsbeauftragter dafür zuständig, dass genau das bei seinem Unternehmen "Aronia vom Langlebenhof" umgesetzt wird.

Der Gründer wollte einen Ort für den Sohn schaffen

Als Buttinger 2012 an den Hof kommt, ist er gleich begeistert von der Inklusionsarbeit. So sehr, dass er seinen Job als Einzelhandelskaufmann aufgibt, um die Institution im Vertrieb, Verkauf und Marketing zu unterstützen. Für den 31-Jährigen ist es faszinierend zu sehen, dass man durch die Arbeit mit den Bewohnern und der Zeit, die man sich für sie nimmt, einen richtigen Wow-Effekt erzielen kann: Die beeinträchtigten Menschen würden in einer Umgebung, die sie akzeptiert, wie sie sind und sie nicht wie kleine Kinder behandelt, aufblühen, sagt Buttinger.

Einfach ist diese Arbeit oft nicht: Durch das gemeinsame Leben auf dem Hof, entstehen starke persönliche Bindungen. Deswegen belasten Buttinger Dinge, die nicht so gut gelaufen sind, auch viel stärker als bei einem gewöhnlichen Job, sagt er. Auch mit Anfeindungen gegenüber den zu Betreuenden hatte Buttinger einige Male zu kämpfen.

Genau solche Angriffe wollen sie hier abbauen und die Floskel "Inklusion leben" wirklich umsetzen.

Die grundlegende Idee für das Inklusions-Konzept am Langlebenhof hatte Buttingers Schwiegervater Johann Dorn. Ursprünglich wollte er ein familiäres Heim für seine zwei beeinträchtigten Söhne schaffen. Mit der von ihm gegründeten Daniel-Dorn-Stiftung kauft er 2008 einen alten Bauernhof am Passauer Stadtrand. Dort will er ein geschütztes Umfeld für seine Söhne in Form eines Wohnheims mit acht Plätzen schaffen. Nachdem Dorns ältester Sohn das Bewohnerhaus einweihen durfte, entsteht nach und nach eine bunte Lebensgemeinschaft: Direkt neben dem betreuten Wohnheim werden Zimmer an Studierende, Senioren und Geflüchtete vermietet. Alle sollen Teil der Lebensgemeinschaft sein. Auf den angrenzenden Wiesen weidet eine Schafherde und immer wieder sieht man freilaufende Hühner über den Hof staksen. Es gibt auch einen offenen Pferdestall und einen Reitplatz, den eine externe Reitpädagogin für ihre Arbeit mietet.

Vieles hier dreht sich um die Aroniabeere: Anbau, Ernte, Verarbeitung und Vermarktung. Die fertigen Produkte gibt es auch im Hofladen.

Vieles hier dreht sich um die Aroniabeere: Anbau, Ernte, Verarbeitung und Vermarktung. Die fertigen Produkte gibt es auch im Hofladen.

Gesunde Aroniabeeren

Zum Grundstück gehören auch 40 Hektar Ackerland, auf dem Aroniabeeren angebaut werden. Die Aroniabeere nennen Experten die gesündeste Beere, weil sie besonders reich an Antioxidantien ist. Die robuste Pflanze wird einmalig angebaut und bringt jährlich Ertrag. Nach der Ernte im Sommer verarbeiten die Menschen auf dem Hof die rot-blauen Aroniabeeren in den alten Stallungen weiter.

Im Frosthaus sollen sie bis zum nächsten Produktionsschritt haltbar bleiben. Das hilft auch im Sinne der Nachhaltigkeit und produziert weniger Abfall. Außerdem soll der Frost den meist etwas bitteren Beeren ein milderes Aroma verleihen. Je nach Bedarf stellen Patrick Buttinger und sein Team über das Jahr verteilt viele verschiedene Produkte aus den Aroniabeeren her. Im eigenen Hofladen stehen sie später im Regal.

Bei all diesen Arbeitsschritten sind viele fleißige Hände von Betreuern aber auch zu Betreuenden am Werk: Jeder darf sich die Arbeit aussuchen, die ihm am meisten Spaß macht - "denn jeder Mensch ist einzigartig und kann mit seinen individuellen Stärken das Team unterstützen", sagen sie auf dem Langlebenhof. Jochen Kurzböck übernimmt etwa am liebsten die Auslieferungen: Das Unternehmen beliefert Kunden im Umkreis von 400 Kilometern persönlich. Der junge Mann mit Down-Syndrom hilft täglich bei der Zustellung der Aronia-Produkte. Er erzählt stolz, dass er und Kolja, einer der Betreuer, gerade das Auto beladen haben und jetzt zum Ausliefern fahren können, um im Supermarkt Türme aus Aronia-Limonaden-Sixpacks zu bauen.

So eine hohe Ernte hat sonst niemand

Die "Heimatkracherl"-Limonade ist aber nicht das einzige Produkt vom Langlebenhof: Das Sortiment reicht von Aronia-Saft über Fruchtaufstrich bis hin zu Essig. Aber das Wichtigste für die Produzenten ist die Qualifikation der Produkte durch das Demeter-Siegel. Es garantiert, dass auf den Feldern vom Langlebenhof weder Pestizide noch Herbizide eingesetzt werden und Anbau, Pflege und Ernte hauptsächlich von Hand gemeistert werden. Diesen Standard bei einer Ernte von etwa 100 Tonnen Aroniabeeren pro Jahr zu gewährleisten, hat vor ihnen noch kein anderes Unternehmen geschafft. Aber das Besondere bleibt immer, dass die Langlebenhof-Bewohner überall tatkräftig unterstützen - ganz nach dem allgegenwärtigen Grundsatz am Hof: "Mensch, Natur und Tier im Einklang".

Für Patrick Buttinger ist das Wichtigste an der Inklusionsarbeit, dass die zu Betreuenden merken, dass man sich Zeit für sie nimmt und sie so akzeptiert wie sie sind: "Der Mensch steht im Vordergrund. So arbeiten wir hier bei Aronia". Lächelnd fügt er hinzu: "Und Spaß macht das eigentlich immer."

Zur Autorin

Anna Grüter studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Ihr Beitrag ist in einer Lehrredaktion entstanden, die in dem Studiengang integriert ist. Die Lehrredaktion wird von Redakteuren unserer Mediengruppe betreut.