Krisenmanagement und Mut in der Corona-Krise

Nicole Bauer: „Es ist Zeit, über Perspektiven zu diskutieren“


Sieht beim Krisenmanagement der Bundesregierung noch Luft nach oben: Die Veldener Bundestagsabgeordnete Nicole Bauer.

Sieht beim Krisenmanagement der Bundesregierung noch Luft nach oben: Die Veldener Bundestagsabgeordnete Nicole Bauer.

Von Stefan Karl

Harte Zeiten für Liberale. Im Zuge der Corona-Krise mussten sie mehr Staat zulassen, als es sonst ihren politischen Ansichten entsprechen würde. Für den Moment war es zu Anfang der Krise richtig, sagt Nicole Bauer, Bundestagsabgeordnete für die Freie Demokratische Partei (FDP) aus Velden/Vils und ab 1. Mai Kreisrätin im Landkreis Landshut. Mittlerweile müssten viele Maßnahmen vom Beginn der Krise auf den Prüfstand, die Erstarrung müsse wieder der Zuversicht weichen. Darüber und welche niederbayerischen Leistungen in der Krise sie besonders beeindruckt haben, spricht Nicole Bauer im Interview mit idowa.

Frau Bauer, auch Sie haben die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus mitgetragen. Hat sich Ihre Haltung zu dem Thema in der Zwischenzeit verändert?

Nicole Bauer: Ich fand die Entscheidungen zu Beginn der Ausbreitung, als es tatsächlich auch in Landshut so massiv wurde, als richtig und wichtig an. Denn gerade für uns Liberale, die Freiheit befürworten, gehört auch das Thema Verantwortung und Vernunft dazu. Gerade für uns als Bayern, die direkt an Österreich grenzen und gleich zu Beginn am schwersten betroffen waren. Mittlerweile muss ich sagen, dass alles, was zu Beginn der Krise geboten war, heute nicht mehr zwingend verhältnismäßig sein muss. Trotzdem appelliere ich an die Bürgerinnen und Bürger, mit Vernunft zu handeln, Eigenverantwortung zu üben, gerade wenn es um das Tragen von Masken geht und um das Abstandhalten. Wir wissen nicht, wie sich die Situation entwickelt, aber jeder sollte diesen Beitrag leisten.

"Wir sollten jetzt über eine Öffnung nachdenken"

Setzt man als Liberaler nicht eher auf die Eigenverantwortung statt auf staatliche Eingriffe?

Bauer: Damals waren sie verhältnismäßig. Heute sind sie es aus meiner Sicht nicht mehr. Wir müssen uns heute überlegen, wie wir eine verantwortungsvolle Öffnungsstrategie hinbekommen. Dass wir den Menschen Mut machen und ihnen Perspektiven bieten. Wir brauchen für die Gastronomie, dass die Menschen wieder raus gehen und sich frei bewegen können. Für Eltern, für Familien, brauchen wir ein Datum, wann die Kinder wieder in die Kita oder Schule gehen können. Unternehmen müssen wissen, wann sie ihre Tätigkeit weiterführen können. Was damals richtig war, müssen wir heute auf einen neuen Prüfstand stellen. Die Zahlen haben sich verändert. Deswegen ist es jetzt wichtiger, über Perspektiven für die Menschen in Niederbayern zu diskutieren und nicht mehr zwingend überall Ausgangsbeschränkungen zu verhängen.

Am Donnerstag hat die Regierung die Ausgangsbeschränkung erst mal bis 10. Mai verlängert. Richtige Entscheidung?

Bauer: Jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt, die Strategie von damals auf den Prüfstand zu stellen und eine andere Krisenstrategie anzusteuern. Wir haben auch die Verantwortung für Arbeitsplätze. Ich würde gerne nicht nur über Ausgangsbeschränkungen, sondern verstärkt über Perspektiven im Bundestag diskutieren. Wir sehen es an Österreich, an denen wir uns immer ein Beispiel genommen haben. Sebastian Kurz hat in Europa ein Stück weit den Takt vorgegeben. Spätestens wenn Österreich eine Öffnung macht, sollten wir uns überlegen, wie die Öffnung bei uns stattfinden kann. Mit Verantwortung natürlich - was in Schleswig-Holstein richtig ist, muss nicht zwingend für Bayern gelten. Deswegen braucht es eine regional differenzierte Strategie.

In Krisenzeiten darf auch mal der Staat zu Hilfe kommen, sagt Nicole Bauer. Bei der Gestaltung sei allerdings Vorsicht geboten. Warum Nicole Bauer beim Krisenmanagement der Bundesregierung noch Luft nach oben sieht und warum die Bundesregierung aus ihrer Sicht in der Corona-Krise weitere Experten ins Boot holen sollte, lesen Sie im zweiten Teil des Interviews.

"Beim Thema Krisenmanagement ist Luft nach oben"

Wie sehen Sie es als Liberale, dass sich der Staat nun wirtschaftlich sehr stark einmischt. Das Ideal der Liberalen wäre doch eigentlich ein anderes…

Bauer: Dafür ist Lufthansa ein gutes Beispiel. Man hat Lufthansa große Beträge angeboten, an die zehn Milliarden Euro an Staatsbeteiligungen. Lufthansa sagt, sie würden das Geld lieber nicht nehmen, sondern einen Insolvenzantrag stellen. Das ist schon eine Ansage von einer der größten Beförderungsgesellschaften Deutschlands. Die Angst ist, dass der Staat sich in das unternehmerische Geschehen einmischt. Der Staat hat aus unserer Sicht andere Aufgaben. Er muss das Gesundheitssystem fit machen für eine mögliche zweite Welle. Er muss sich mit der Situation in den Kliniken auseinandersetzen. Ich war in Kliniken, die pflegebedürftige Menschen nicht mehr zurück in die Altenheime vermitteln können, weil die Altenheime sagen, dass sie sie nicht isolieren können. Der Staat sollte in diese Dinge investieren. Aber der Staat sollte nicht versuchen, der bessere Unternehmer zu werden.

Peter Altmeier würde Unternehmen verstaatlichen, um sie vor dem Bankrott zu schützen…

Bauer: In Form von stillen Beteiligungen durchaus eine Möglichkeit, aber der Staat sollte sich nie in unternehmerische Entscheidungen einmischen. Wichtig ist jetzt der Anschub, damit es weitergeht. Auch steuerliche Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger müssen ein Thema sein, damit die beim wirtschaftlichen Aufschwung mithelfen können.

"Man sollte sich unterschiedliche Einschätzungen und Meinungen anhören"

Christian Lindner hat Kritik daran geübt, dass die Bundesregierung für ihre Maßnahmen nur wenige Experten hört. Können Sie sich dem anschließen?

Bauer: Es ist notwendig, dass Institute wie das Robert-Koch-Institut täglich Verantwortung übernehmen und Zahlen veröffentlichen. Es ist aber auch so, dass es in der Wissenschaft immer unterschiedliche Sichtweisen gibt. Man sollte im zukünftigen Verlauf alle Einschätzungen und Meinungen anhören. Über Christian Lindners Ausführungen habe ich mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Ich bin der Auffassung, dass wir beim Thema Krisenmanagement Luft nach oben haben, etwa bei der Beschaffung von Schutzausrüstungen. In Zukunft sollten wir wissen, welche Expertise wir im Land haben und welche Unternehmen sich wie einbringen können. Da wäre es gut, eine Liste solcher Unternehmen zu haben, zu pflegen und zu nutzen. In den vergangenen Wochen haben wir alle mitbekommen, dass der Weg, den Jens Spahn in Bezug auf die Beschaffung von Ausrüstung eingeschlagen hat, nicht der richtige war. Das Krisenmanagement und die Aufarbeitung wird Deutschland noch lange beschäftigen. Aber ich möchte an dieser Stelle allen Menschen in den systemrelevanten Berufen danken, in Kliniken in der Pflege. Auch das THW und andere leisten eine fantastische Arbeit im Umgang mit Infizierten, gerade in Bayern und in Niederbayern.

Mit welchen Unternehmen aus der Region haben Sie da besonders gute Erfahrungen gemacht?

Bauer: Die Firma Ballistol in Aham im Landkreis Landshut zum Beispiel, die jetzt verstärkt Desinfektionsmittel herstellt. Aber wir haben so viele Lokalhelden. Auch die Firma Antholzer in Vilsbiburg, die Mundschutz produzieren oder im Nachbarlandkreis Erding die Firma Himolla in Taufkirchen, die ganze Schutzanzüge herstellt. So viele Firmen, die in der Krise Kurzarbeit anmelden mussten und sich trotzdem überlegt haben, wie sie ihren Beitrag leisten können. Das ist eine großartige Leistung unseres Mittelstands. Dieser Zusammenhalt und dieses Durchhalten werden uns letztlich aus der Krise führen.