Karaoke-Legenden

Herbert und Hilde: Shamrocks singende Senioren aus Passau


Herbert und Hilde singen gemeinsam im Shamrock Irish Pub.

Herbert und Hilde singen gemeinsam im Shamrock Irish Pub.

Von Kristina Lourenco Ribeiro

Die Stimmung ist heute besonders ausgelassen. Herbert Wittmann rückt seinen hellbraunen, etwas vergilbten Cowboy-Hut zurecht - sein Markenzeichen, wie er später erklären wird - und erhebt sich unter lautem Jubel von dem Stammplatz links oben in der Ecke. Dort hat er den besten Überblick über die Singenden und das Geschehen. Der 81-Jährige stellt sich selbstbewusst auf die kleine Fläche zwischen Geländer und Karaoke-Showhost Walter Habenberger, dann schmettert er den 60er-Jahre Hit "Oh My Darling Caroline" aus tiefster Brust in das Mikrofon.

Die Studenten, die sich auf der Treppe stauen, singen laut mit, obwohl viele das Lied heute zum ersten Mal hören. Ein Glück, dass der einprägsame Text über den großen Bildschirm an der Wand flimmert.

Auf der Karaoke-Maschine im Dachgeschoss befinden sich an die 5800 Lieder.

Auf der Karaoke-Maschine im Dachgeschoss befinden sich an die 5800 Lieder.

Herbert kommt mit seiner 76-jährigen Frau Hilde jeden Montag hier her, um einzeln oder als Duo aufzutreten. Sie genießen den Austausch mit den jungen Leuten sehr. "In der ganzen Welt, ob das Australien war, ob das Afrika war, ob das Kanada war, in der ganzen Welt sind wir mit jungen Leuten zusammen gewesen", sagt Herbert. "Wir hatten immer Zuspruch von der jüngeren Generation." Nur das Grölen der Besucher, die immer besoffener werden, können sie nicht leiden. Aber das nehmen sie für den Abend voller Gesang gerne in Kauf, denn das Shamrock ist die einzige Bar in Passau, die Karaoke anbietet.

"Wie's Wasser gekommen ist, waren wir auch beim Karaoke"

Das Ehepaar Wittmann wirkt sehr offen, was man auch daran merkt, dass sie das Erdgeschoss ihres kleinen Hauses am Inn gerne an Studierende aus aller Welt vermieten. "Wie's Wasser gekommen ist, waren wir auch beim Karaoke, in der Pizzeria in Schöllnach." Hilde sitzt im weißen Shirt und einer langen Kette mit einem Elefantenanhänger um den Hals im Garten ihres kleinen roten Häuschens am Inn, das von der Abendsonne angestrahlt wird. Sie erzählt vom Hochwasser 2013.

Die Feuerwehr meinte damals, dass der Inn im Vergleich zu 2002 maximal einen Meter ansteigen würde und verteilte ein paar Sandsäcke. Doch dann standen das Erdgeschoss und der untere Teil des Klettergerüsts samt Garten komplett unter Wasser. Das ist heute nur noch zu erahnen. "Da ham wir nen runden Pool gehabt früher", sagt Hilde und deutet an die Stelle, an der heute ein eckiger Pool steht. Fische vom Weiher seien im Pool geschwommen, 78 Leute und fast 80.000 Euro hat es gebraucht, um das Chaos zu beseitigen. Heute schmunzeln Herbert und Hilde darüber, damals wurde über einen Umzug nachgedacht.

"Aber so nen schönen Platz kriegen wir nicht mehr", sagt Herbert. Und so blieben sie und richteten alles wieder her. Beim Gespräch windet es sehr, was Herbert dazu nutzt, um ein Lied über den Wind anzustimmen. Das macht er immer, wenn ihm zu einem Stichwort ein passender Text einfällt. "Die Musik hält uns jung", sagt Hilde und lacht. Kurz vorm Fotoschießen zündet sich ihr Ehemann eine Zigarette an "Die kommt aber weg!", sagt sie und haut ihm auf die Finger. Die Zigarette bleibt an.

Hilde ist 14 Jahre alt, als sie Herbert in einem Hotel am Tegernsee kennenlernt und kurz darauf mit ihm zusammenkommt. Er ist ursprünglich aus Furth im Wald (Landkreis Cham) und arbeitet als Koch, sie stammt aus dem österreichischen Mühlviertel und war als Küchenhilfe und Zimmermädchen tätig. Im Sommer wurde für die Kurgäste gekocht, im Winter nur Baumkuchen gebacken. "Bis nach Australien ham wir die verschickt."

Rudolf Schock, Zarah Leander, Lilo Pulver und Helmut Schmid waren bei ihm zu Gast

Der Gastro bleiben sie lange treu, 1965 heiraten die beiden und führen ein Café in Donaustauf (Kreis Regensburg) und später ein Gasthaus. Nach dem dritten Kind hören sie damit auf. Hilde bedient in dieser Zeit auf der Regensburger Dult. "Da sind immer viele Stars aufgetreten, Costa Cordalis, Marianne und Michael …" Herbert unterbricht: "Da ham wir halt schon die Musik in den Ohren gehabt."

In Passau übernehmen sie dann erst den "Innsteg", später das Gasthaus "Heinz" in der Spitalhofstraße und danach den "Peschl Keller". "Das hat sich einfach so ergeben", sagt Herbert. "Damals gab es noch keine Mensa", erinnert sich Hilde an die Zeit im "Innsteg". "Da sind Studenten zu uns zum Essen gekommen, auch der Professor, genauso wie der Rauchfangkehrer." Im "Peschl Keller" kocht Herbert mit zwei Leuten für 600 Gäste. "Wenn mir dann das Wasser runtergelaufen ist, war das kein Spaß mehr. 80 Grad am Ofen, 0 Grad im Kühlhaus. Und dann hat mich die Facialislähmung erwischt."

Der Mann, der schon für Berühmtheiten wie Rudolf Schock, Zarah Leander, Lilo Pulver oder Helmut Schmid in der Küche stand, wird auf einmal arbeitsunfähig. Hilde arbeitet in dieser Zeit als Verkäuferin, hat allerdings nur wenig Spaß daran. "Es hat halt nix anders gegeben." Herbert fährt Geldtransporte, als es ihm wieder besser geht.

Das erste Mal Karaoke erleben sie dann 1993 bei einer Kneipentour während ihrer dreimonatigen Reise in Neuseeland. Herbert singt bereits seit Kindesalter, war erfolgreiche zweite Stimme seines Schulchors. Aber auch Hilde ist begeistert von der neuartigen Freizeitbeschäftigung. "Wenn das nach Passau kommt, dann wird das unsers!" Und es dauert tatsächlich nicht lange, bis das Karaokesingen nach Passau kommt: Im Theatercafé "Aquarium" singt Hilde ihren ersten Song. "Das bisschen Haushalt" von Johanna von Koczian.

"Wir freuen uns immer auf bestimmte Sänger, weil die so tolle Stimmen haben."

Seitdem lässt die beiden das Singen nicht mehr los, Herbert übernimmt 2005 sogar eine Rolle in "Elissa" im Stadttheater Passau. Die Glückwunschkarten hängen noch heute an der Wand neben der Karaoke-Maschine im Dachgeschoss, eingereiht in Autogrammkarten zahlreicher Schlagerstars. Früher sangen sie vier- bis fünfmal die Woche, in der Pandemie kam die Karaoke-Maschine zum Einsatz.

Nicht nur das Singen selbst macht ihnen Spaß, auch das Bewundern anderer Talente. "Es ist schön, wenn so ein unscheinbares Persönchen auf die Bühne kommt und einen umhaut", sagt Hilde. "Wir freuen uns immer auf bestimmte Sänger, weil die so tolle Stimmen haben." "Ja, ja, die Falke Julia im ‚Aqua'", unterbricht Herbert sie. 2006 motivierten sie das junge Mädchen, im Theatercafé "Aquarium" zu singen, drei Monate später bewarb sie sich für Dieter Bohlens "Deutschland sucht den Superstar" und schaffte es bis Platz acht. Hilde lacht. "Wir haben ja später auch beim Casting mitgemacht. Da ham wir zuerst getrennt gesungen, dann noch miteinander "Weil dein Herz dich verrät"." Sie kamen von den ersten Ausscheidungen in Passau bis nach Köln, hätten aber, um weiterzukommen, öfter dorthin fahren müssen. "Na, des war uns zu anstrengend."

Jetzt im Sommer treten sie in Biergärten auf oder im Shamrock. Der Andrang ist riesig. "Das ham wir noch nie erlebt gehabt. Dass die Leute schon vorm Singen jubeln", sagt Hilde. Es ist fast so, als seien die Leute "ausgehungert". Ein Ritual vor ihrem Auftritt hat das pensionierte Paar nicht. "Wir kriegen immer Schnaps aufs Haus - das reicht", so Herbert.

Die Gäste singen aus ganzem Herzen mit, in den Gläsern schwappt das Guinness

Showhost Walter ruft die nächste Sängerin auf: "And now: Die wilde Hilde with "Que sera, sera". Hilde geht unter lautem Jubel zum Mikrofon. Eine junge Frau, die etwas torkelt, gesellt sich zu ihr und fragt, ob sie mitsingen dürfe. Und schon ertönt der Welthit, der für Alfred Hitchcocks Film "Der Mann, der zu viel wusste" geschrieben wurde, aus allen Boxen. Dass teilweise die Passagen aufgrund der angetrunkenen Mitsängerin etwas schief klingen, fällt dabei nicht sonderlich auf - die Gäste singen aus ganzem Herzen mit, in den Gläsern schwappt das Guinness. Und Herbert? Der sitzt mit Cowboy-Hut an ihrem Stammplatz und schaut zu.