Kanaren La Gomera: Wo die Bäume die Wolken melken

Wie mit Schwämmen saugen die bemoosten Bäume des Nebelwaldes die Feuchtigkeit aus den Wolken. Foto: Carsten Heinke

La Gomera - ganzjährig frühlingshaftes Klima beschert den Kanaren eine einzigartige Flora und Fauna. Besonders groß ist die Vielfalt im Nationalpark Garajonay auf der zweitkleinsten Insel des Archipels.

Belaubte Wälder, Wärme, Licht und blauer Himmel - für mitteleuropäische Wintermonate der schiere Luxus - sind auf der Kanareninsel La Gomera gang und gäbe. Denn hier herrschen das ganze Jahr über frühlingshafte Temperaturen. Für Naturfreunde ein Schlaraffenland auf dem immergrünen Eiland im Atlantik ist der geheimnisvolle, wunderschöne Lorbeerwald von Garajonay.

Wie durch ein unsichtbares Tor betritt der Wanderer das Reich der Hexenbäume. Sonnenschein und Vogelstimmen bleiben hinter ihm. Die Nebelwand, die jeden Laut zu schlucken scheint, umschließt ihn ebenso wie das Gewirr der schiefen, knorrigen und krummen Stämme, Äste, Zweige, Wurzeln. Die meisten sind so dicht von Moos und Flechten überwuchert, dass man meinen könnte, es sei Fell. Dazwischen schießen braune, gelbe oder weiße Pilze wie Beulen aus dem Pflanzenpelz.

Wo kein Platz mehr auf dem Holz ist, wachsen lange, wilde Zotteln - grün bis silberweiß und manchmal meterlang - nach unten. Vom Boden strecken sich zerzauste Büsche und hohes Farn entgegen. Gänsedisteln geben sich mit kräftigen, holzigen Stengeln als kleine Bäume aus. Ihre sonnengelben Blüten und leuchtend grünen Blätter, die an Löwenzahn erinnern, sorgen für farbenfrohe Tupfer in der nebeligen Düsternis. Doch selbst dort, wo keine Blumen blühen, zieht die schaurig-schöne Wildnis den Betrachter tief in ihren Bann.

Die Lorbeergewächse auf den Kanaren haben die Eiszeit überlebt

Die kühle Luft ist voller winzig kleiner Wasserperlen, riecht nach Erde, feuchtem Laub und - Lorbeerbäumen. Das Biotop, das sie hier im Herzen La Gomeras bilden, ist weltweit das bedeutendste seiner Art. Mit Echtem Lorbeer, allgemein bekannt als Ingredienz für Suppen oder Siegerkränze, sind diese aromatischen Pflanzen jedoch nur verwandt. In tiefen Zügen atmen die Wanderer den herben Duft. Die alten Griechen glaubten, er könne Tote zum Leben erwecken.

Lorbeerwälder bedeckten früher weite Teile des europäischen Kontinents. Von der Eiszeit, die sie vernichtete, blieben die Kanaren verschont. Sie waren nie mit dem Festland verbunden. Vier endemische Spezies aus der Familie der Lorbeergewächse, zu denen übrigens auch Zimt und Avocado gehören, existieren auf dem Archipel bis heute. Ihr Bestand auf La Gomera ist das Kernstück des Nationalparks Garajonay, der mit knapp 4.000 Hektar Teile aller sechs Gemeinden und insgesamt ein Zehntel der Inseloberfläche einnimmt.

Der Ozean liegt nun dem Wanderer zu Füßen, fast einen Kilometer unter ihm. 500 Meter weiter oben erwartet ihn der höchste Punkt der Insel: der Pico de Garajonay. Immer wieder gibt der Wald den Blick frei auf den blauen Horizont, eingerahmt von Bergen. Zwischen ihnen viele tiefe Schluchten. Um sich über sie hinweg verständigen zu können, schufen die Ureinwohner La Gomeras die weit hörbare Pfeifsprache Silbo. Heute wird sie sogar an den Schulen der Insel gelehrt.

Die Aussicht ist gigantisch. Wer hier steht, fühlt sich wahrhaftig wie im Himmel - und scheint tatsächlich dort zu sein. Denn inzwischen führt der Weg durch Wolken. Dort, wo sie an den steilen Inselflanken hängenbleiben, recken ihnen die ewig durstigen Lorbeerbäume ihre haarigen Glieder entgegen, um sie damit förmlich leer zu melken. Auf ihren Blättern, die von Wachs bedeckt sind, verwandelt sich der Wolkendunst zu Wasser und tropft über etliche botanische Etagen zum Boden.

Eine Legende erzählt von einer tragischen Liebe, die hier ihr Ende fand

Wie Schwämme saugen sich die Moose voll. Mit dicken, schüsselartigen Blättern eifern Sukkulenten um jeden Tropfen. Wo die braune bis rote Erde unbewachsen ist, bilden sich oft Schlamm und Pfützen. Viele kleine Quellen, die man passiert, vom Weg aus sieht oder auch nur plätschern hört, sorgen für den Abfluss all des Wassers, das der Wald nicht aufnehmen kann. Je weiter der Pfad nach oben führt, um so trockener wird alles. Die Wolken sind wie weggeleckt, die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern wieder.

Wie auch in den Höhenlagen bis 500 Meter, wo Wacholder und Kanarenpalme gedeihen, fehlt es hier an lebensspendender Feuchtigkeit. Die Flora passt sich an. Immergrüne Gagelbäume und Riesen-Erika gesellen sich zu dem robusten Artenmix, wo der Lorbeerwald ganz allmählich zum Baumheide-Buschwald wird.

Der Legende nach fand in diesem Wunderland eine Liebesgeschichte ihr tragisches Ende. Weil die Verbindung zwischen der Guanchen-Prinzessin Gara und dem Bauernsohn Jonay aus Teneriffa nicht geduldet wurde, floh das unglückliche Paar in La Gomeras Wolkenwald und ging gemeinsam in den Tod. Der Geist ihrer Liebe soll bis heute in den Bäumen wohnen. Berg und Nationalpark tragen ihre Namen.

Reise-Tipps:

Anreise: Flug von nach Teneriffa, per Mietwagen und Fähre weiter nach La Gomera.

Unterkunft: Haus am Wald: Eine gemütliche Finca am Rande des Lorbeerwaldes ist die Casa Rural La Palmita in Agulo. Mit zwei Schlafzimmern, Wohnraum mit Kamin, Bad und Küche bietet sie Platz für maximal fünf Personen. Von der Dachterrasse schaut man über grüne Berghänge und den Atlantik bis zum Teide, dem höchsten Gipfel Teneriffas. Info und Buchung über verschiedene Ferienhausanbieter.

Pfeifsprache Silbo: Erleben kann man das seit 2009 von der UNESCO geschützte Weltkulturerbe bei den zahlreichen Fiestas oder im ganz normalen Alltag bei einer Wanderung. www.gomeralive.de/la-gomera/fiestakalender

Essen: Echte gomerische Küche und Gastfreundschaft gibt es im Familienrestaurant La Montaña Casa Efigenia in Las Hayas. www.efigenianatural.com/de

Aloe Vera: Die vielseitig nutzbare und für ihre Heilkraft berühmte Pflanze wird traditionell auf den Kanaren angebaut und zu diversen Gesundheitsprodukten verarbeitet. Im Aloe Vera Center von Hermigua gibt es kostenlose Führungen durch eine Ökoplantage und hochwertige Produkte direkt vom Hersteller. www.fincacanarias.es/de

Buchtipp: Der Wanderführer "Gomera" (Michael Müller Verlag) von Oliver Gerhard und Rasso Knoller ist eine ausgezeichnete Orientierungshilfe mit praktischen Infos zum Erkunden der Insel. Viele der präzise beschriebenen, GPS-kartierten Routen führen auch durch den Lorbeerwald. 192 Seiten, 35 Wanderkarten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-89953-684-3, www.michael-mueller-verlag.de

Allgemeine Informationen Spanisches Fremdenverkehrsamt, www.spain.info/

 
 
 

0 Kommentare

Kommentieren

null

loading