Jahn-Trainer im Interview

Selimbegovic: "Es geht nicht um eine Sonderbehandlung"


Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic.

Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic.

Seit knapp zwei Wochen befinden sich die Clubs der 1. und 2. Bundesliga in Kleingruppen wieder im Training auf dem Platz. Wie das beim SSV Jahn Regensburg aussieht, wie er mit der aktuellen Situation umgeht und ob er glaubt, dass der Fußball daraus lernt, darüber spricht Trainer Mersad Selimbegovic im idowa-Interview.

Herr Selimbegovic, wie geht es Ihnen, der Mannschaft und den Mitarbeitern im Verein?
Mersad Selimbegovic: Uns geht es allen gut. Wir versuchen, soweit das aktuell überhaupt möglich ist, Normalität zu leben. Aber natürlich ist auch bei uns viel beschränkt und wir halten uns an alle Vorgaben. Alles andere wäre fahrlässig.

Seit vergangener Woche darf in Kleingruppen wieder trainiert werden. Wie darf man sich das beim Jahn vorstellen?
Selimbegovic: Wir haben unsere Mannschaft in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils um 10, 12 oder 14 Uhr zum Training kommen. Diese Gruppen werden dann auf dem Platz nochmals in zwei Gruppen getrennt. Wir versuchen, viel mit Ball zu machen. Wir achten darauf, dass wir nicht nur eine Form trainieren, sondern verschiedene Schwerpunkte setzen. Mal Sprintausdauer, mal die Explosivität. In unserem Spiel gibt es ja nicht nur ein Tempo, da geht es hin und her. Zudem sollen die Beine der Spieler nicht vergessen, dass zu unserem Spiel das Sprinten gehört (lacht).

Als Trainer stehen Sie vermutlich bei allen drei Gruppen mit auf dem Platz...
Selimbegovic: Richtig. Auch wir Trainer verteilen uns dabei auf die beiden Gruppen und sind bei allen Einheiten dabei. Jetzt ist es nicht mehr so kalt, da brauchen wir auch Sonnencreme, wenn wir sechs Stunden auf dem Platz stehen (schmunzelt).

Wie regeln es die Spieler mit den Kabinen und den Duschen?
Selimbegovic: Einige Spieler duschen nicht hier. Die anderen können sich gut verteilen und desinfizieren die Kabinen und Duschen, nachdem sie sich dort aufgehalten haben. Da die Jugendmannschaften aktuell ja nicht trainieren können, stehen uns auch alle Kabinen am Kaulbachweg zur Verfügung und wir können auch alle Vorgaben einhalten.

Als Fußballer und auch als Trainer ist man es gewohnt, auf ein bestimmtes Ziel, ein Spiel hinzuarbeiten. Aktuell ist kein Ziel in Sicht. Macht es das besonders schwer?
Selimbegovic: Einfach ist es sicherlich nicht. Aber wir denken auch nicht viel darüber nach, sondern versuchen viel mehr, eine normale Woche zu imitieren. Das bedeutet auch, dass wir die Belastung während der Woche entsprechend steuern und zum Abschluss die Belastung eines Spiels ansatzweise imitieren - im Wissen, dass ein Training ein Spiel nicht gänzlich ersetzen kann. Unter den aktuellen Voraussetzungen noch weniger.

Das Spiel Ihrer Mannschaft ist auch durch Intensität und Zweikämpfe geprägt. Etwas, das aktuell nicht möglich ist. Macht es das nicht besonders schwer?
Selimbegovic: Es ist sicher aktuell nicht der Fußball, den wir gewohnt sind. Aber das ist er bei allen anderen Mannschaften auch nicht. Wir halten bei unseren verschiedenen Formen Abstand, kein Körperkontakt, die Spieler kommen sich eigentlich nie näher als zwei bis drei Meter. Vielleicht sind wir nach der Pause deshalb nicht so zweikampfstark wie davor. Aber das verschiebt sich ja für alle. Wir nehmen die Situation an. Dann heißt es eben, kreativ zu sein und Formen zu finden, die funktionieren. Aktuell gibt es eben keinen normalen Alltag. Dennoch habe ich das Gefühl, die Spieler kommen gerne zum Training. Es ist wie ein Ventil für sie, wenn sie sich auf dem Platz auspowern können.

Der Jahn schreibt sich auch auf die Fahne, Spieler zu entwickeln und besser zu machen. Nutzen sie die aktuelle Phase, nicht getrieben vom nächsten Spiel, um noch individueller mit den Spielern zu arbeiten?
Selimbegovic: Ja, das machen wir. Wir haben die Gruppen auch nach Mannschaftsteilen aufgeteilt, um individuell auf sie einwirken zu können. Wenn ich zum Beispiel eine Gruppe mit vier Stürmern habe, dann kann ich viel mehr Wiederholungen machen und den Spielern erklären, auf was zu achten ist. Wenn ich alle Spieler auf dem Platz habe, dann interessiert es den Verteidiger vielleicht weniger, wie der Laufweg des Angreifers sein sollte. Am Mittwoch haben wir zum Beispiel bei einem Spieler angesprochen, dass er seinen linken Fuß verbessern sollte. Der ist dann nach dem Training freiwillig auf dem Platz geblieben, um daran zu arbeiten. Auch als wir kein Training auf dem Platz hatten, sozusagen im Homeoffice waren, haben wir für jeden Spieler eine individuelle Datei erstellt mit Entwicklungsfeldern, unterstützt mit Videomaterial.

Wie darf man sich Ihre Arbeit derzeit über das Training hinaus vorstellen? Haben Sie alle 17 Ligakonkurrenten schon zweimal durchanalysiert?
Selimbegovic: (schmunzelt) Nein, das nicht. Wenn es weitergeht, haben wir noch neun bevorstehende Spiele, diese Gegner haben wir bereits alle im Video vorbereitet. Jetzt haben wir die Zeit dafür, haben uns viele Gedanken gemacht. Wir wären ready und können kaum erwarten, dass es wieder losgeht.

Ist es schwierig, die Teams zu analysieren, weil Sie nicht wissen, wie die Gegner aus der Pause kommen?
Selimbegovic: Ich denke nicht, dass es Riesenveränderungen geben wird. Die aktuellen Bedingungen lassen es nicht zu, dass man zum Beispiel ein anderes Spielsystem einstudiert. Zudem gibt es keine Testspiele, in denen man das testen könnte. Am Anfang werden die Spiele vielleicht nicht so intensiv sein, ich glaube aber nicht, dass Mannschaften mit einer neuen Spielidee aus der Pause kommen.

Mersad Selimbegovic über die Diskussionen um die Bundesliga-Fortführung, den Umgang mit den Spielern und eine mögliche Regulierung des Marktes

Aktuell ist schwer vorherzusagen, wann es weitergeht. Planen Sie entsprechend für die verschiedenen denkbaren Szenarien?
Selimbegovic: Die Lage verändert sich zurzeit ja regelmäßig und es ist für uns nicht vorhersehbar, wie es über die nächsten Tage hinaus weitergeht. Deshalb ist es schwer, sich da auf etwas festzulegen und wir passen uns immer wieder an die Situation an. Wir versuchen, wo es geht, möglichst normal zu verfahren. Zum Beispiel auch in der Kaderplanung. Das Beste an der Situation ist, dass sie für alle Mannschaften gleich ist.

Wenn es wieder weitergehen sollte: Wie lange, denken Sie, braucht man Vorlaufzeit mit normalem Mannschaftstraining, bis man wieder ein Zweitliga-Spiel bestreiten kann?
Selimbegovic: Bei einer Vorbereitung im Sommer hat man gewöhnlich fünf, sechs Wochen. Jetzt haben wir eine komplett neue Situation. Ich würde mir wünschen, dass wir drei Wochen hätten, aber wenn es nachher weniger werden, kriegen wir auch das hin. Wichtig wäre für uns in erster Linie, dass es weitergeht.

Es wird viel darüber diskutiert, ob die Bundesliga überhaupt zeitnah zu Ende gespielt werden soll. Wie stehen Sie dazu?
Selimbegovic: In der gesamten Gesellschaft und auch rund um den Fußball wird aktuell viel diskutiert. Das ist nachvollziehbar, auch weil keiner absehen kann, wie sich die Dinge entwickeln. Für uns ist das so: Wir wollen einerseits einfach unseren Job machen und sobald es möglich und vertretbar ist weiterspielen. Das ist notwendig, um viele Vereine und die gesamte Branche retten zu können. Jeder weiß inzwischen, warum eine Fortsetzung wichtig wäre. In erster Linie weil tausende Arbeitsplätze dranhängen - und weil es darum geht, dass Clubs überleben, dass es den Fußball nach dieser Krise noch so geben kann, wie wir ihn alle kennen. Ich muss ganz klar sagen, dass sich natürlich niemand Spiele ohne Zuschauer wünscht. Ich selbst bin ein emotionaler Typ und liebe die Atmosphäre im Stadion, als Mannschaft leben wir davon. Wenn es aber in der aktuellen Situation keine andere Möglichkeit gibt zu spielen, dann muss das eben notfalls für eine gewisse Zeit der Weg sein. Ob das möglich und vertretbar ist, müssen letztlich die zuständigen Behörden entscheiden. Dem haben wir uns wie alle unterzuordnen.

Sehen Sie es also nicht so, dass der Fußball eine Art Sonderrolle für sich beansprucht?
Selimbegovic: Nein, natürlich nicht. Es geht nicht um eine Sonderbehandlung oder darum, dass der Fußball denkt, er sei wichtiger als andere Teile der Gesellschaft. Viele Beispiele zeigen ja, dass Fußballer solidarisch sind und erkennen, dass es andere Bereiche gibt, die auch Hilfe nötig haben. Die Verantwortlichen machen ihren Job und versuchen die bestmögliche Lösung für ihre Clubs und die gesamte Branche zu finden. So wie das eben alle in der Corona-Krise tun. Am Ende haben dann die Behörden zu entscheiden.

Für die Spieler ist die Situation sicher auch nicht einfach. Reden Sie mit ihnen darüber?
Selimbegovic: Ich habe das Gefühl, dass die Spieler das selbst ganz gut verarbeiten können, deshalb rede ich nur ungern darüber. Ich denke, das Training ist für sie die beste Medizin, wenn sie sich auspowern können und müde heimgehen. Es macht sich in einer solchen Situation ohnehin jeder sehr viele Gedanken, jeden Tag prasseln viele Neuigkeiten und Informationen auf uns ein. Zuhause denkt jeder Spieler ohnehin viel darüber nach, dann müssen wir das nicht auch noch beim Training groß ansprechen. Zumal ich auch kein Virologe oder Arzt bin und ihnen somit nicht mehr sagen kann, als in den Medien steht.

Der Job als Fußballtrainer ist sehr zeitintensiv. Können Sie die Zeit aktuell auch für andere Dinge außerhalb des Fußballs nutzen?
Selimbegovic: Der Alltag sieht aktuell nicht viel anders aus als sonst. Ich bin um 8 Uhr im Büro und gehe frühestens um 18 Uhr heim. In den zwei Wochen Homeoffice habe ich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen können, die gehen aktuell ja auch nicht zur Schule. Wir haben als Ritual eingeführt, dass wir jeden Tag Fahrrad fahren oder spazieren gehen. Dazu lese ich auch mal ein Buch.

Sie sind seit vergangenem Sommer Cheftrainer beim Jahn. Bietet die aktuelle Situation die Möglichkeit, einmal inne zu halten und die bisherige Zeit in der neuen Position zu reflektieren?
Selimbegovic: Weniger. Denn ich bin jemand, der ohnehin wöchentlich eine Art Inventur macht und zurückblickt, was gut war und was man besser machen könnte. Da erhalte ich immer wieder neue Erkenntnisse.

Wie ist Ihr Kontakt in Ihre bosnische Heimat?
Selimbegovic: Wir telefonieren täglich, das ist genauso wie davor. Dort gelten noch strengere Regeln als hier. Von Samstag 12 Uhr bis Montag um 5 Uhr gab es da zum Beispiel eine Sperrstunde, da durfte keiner raus.

Glauben Sie, dass sich die aktuelle Krise auch auf den Fußball auswirken wird, dass sich der Markt reguliert und man ein bisschen wegkommt vom Denken: immer höher, schneller, weiter?
Selimbegovic: Kurzfristig vielleicht ja, aber auf Dauer glaube ich das nicht wirklich. Es wird einige Zeit dauern, aber wenn es der Wirtschaft und der Gesellschaft wieder besser geht, dann wird es schnell wieder nach oben gehen - auch im Fußball. Ich habe das im Krieg erlebt. Da haben Menschen drei, vier Jahre lang gehungert und fast kein Brot gesehen, aber nach dem Krieg hat es nicht lange gedauert, bis man auf den Straßen wieder sehr viel Brot gesehen hat. Der Mensch vergisst ganz schnell und lässt sich von Sachen treiben, die nicht wichtig sind. Es wird sich bestimmt auch im Fußball zunächst etwas verändern und ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis der Markt wieder die alte Dynamik aufnimmt. Aber ich glaube nicht, dass auf lange Sicht grundsätzlich anders mit den Dingen umgegangen wird. Und das, obwohl ich jemand bin, der sehr optimistisch durchs Leben geht. Der Mensch vergisst sehr schnell und verfällt in alte Muster.