Interviewserie "Über den Rand"

Von Hamburg über Regensburg in die USA


Leslie Southard ist ein Kind von zwei Welten: Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Amerikaner. Vor zwei Jahren wollte sie herausfinden, wie es ist, sich in den USA eine Existenz aufzubauen.

Leslie Southard ist ein Kind von zwei Welten: Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Amerikaner. Vor zwei Jahren wollte sie herausfinden, wie es ist, sich in den USA eine Existenz aufzubauen.

Von jenseits des "Großen Teichs" erreichen uns in Deutschland aus den USA seit Monaten fast ausschließlich Hiobsbotschaften: Schockierende Coronavirus-Zahlen, landesweite Ausschreitungen und immer wieder neue öffentliche Eskapaden um Präsident Donald Trump. Aber wie lebt und arbeitet es sich eigentlich in diesen außergewöhnlichen Zeiten in den Vereinigten Staaten? Wir haben mit einer jungen Frau gesprochen, die beide "Welten" kennt.

Die 29-jährige Leslie Southard ist in Reinbek bei Hamburg geboren und aufgewachsen. Weil ihr Vater Amerikaner ist, konnte sie neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen und hat diese Option auch genutzt. Die Verbindung zu den USA wurde ihr also "in die Wiege gelegt", einen Großteil ihres Lebens hat sie aber in Deutschland verbracht. Ein Auslandsjahr in den USA hat Southard laut eigener Aussage als Jugendliche sehr geprägt, nach dem Abitur ging es für sie dann nach Regensburg, wo sie Amerikanistik und Europäisch-Amerikanische Studien studiert hat. "Ich wollte mich auf die Verbindungen zwischen Deutschland und den USA konzentrieren", sagt sie.

Nach ihrem Master-Abschluss an der Uni Regensburg entschied sich Leslie Southard dann 2018, für ein Praktikum nach Atlanta im US-Bundesstaat Georgia zu ziehen, wo sie bis heute lebt und arbeitet. Wie sie vor Ort den Coronavirus-Lockdown sowie die Proteste nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis erlebt hat, wie sich die amerikanische Lebensweise von der deutschen unterscheidet und wie sie die Stimmung in den USA vor der Präsidentschaftswahl im November einschätzt, hat Southard uns im Interview erzählt.

Frau Southard, warum haben Sie sich nach dem Studium entschieden, in die USA zu gehen?

Leslie Southard: Weil ich jahrelang die Kultur und Geschichte der Vereinigten Staaten studiert habe und da mich diese Themen sehr interessieren, wollte ich das einfach auch wirklich direkt erleben. Sich dort als Erwachsener in einem anderen Land ein Leben aufzubauen, zu reisen und zu arbeiten, ist nochmal was anderes, als nur im Austausch-Jahr auf eine Highschool zu gehen.

"Ein Grundvertrauen gegenüber den USA war schon da"

Könnten Sie sich vorstellen, in den USA zu bleiben, oder wollen Sie irgendwann wieder zurück nach Deutschland?

Southard: Irgendwann möchte ich schon wieder zurück nach Deutschland, das mache ich aber auch ein Stück weit von meiner Lebenssituation hier abhängig. Zum einen kommt es darauf an, wie die beruflichen Perspektiven hier für mich aussehen - und wenn ich einen Lebenspartner haben sollte, der sich ein Leben in Europa überhaupt nicht vorstellen kann, dann könnte ich auch in Erwägung ziehen, in den USA zu bleiben. Meine Familie und viele meiner Freunde sind aber natürlich in Deutschland, deshalb ist der Plan momentan schon, irgendwann zurück zu gehen. Aber ich habe mir keine "Deadline" dafür gesetzt.

Sie haben ja durch Ihre Familie eine recht enge Verbindung zu den USA, aber eben einen Großteil Ihres Lebens in Deutschland verbracht. War es dann doch eine Art "Kulturschock" für Sie, jetzt zum Arbeiten in die USA zu kommen?

Southard: Eigentlich nicht. Das liegt vor allem daran, dass ich natürlich die Sprache sehr gut spreche. Aber auch durch mein Auslandsjahr und weil ich schon oft in die USA gereist bin, bin ich mit dem Land so vertraut, dass mich nicht mehr wirklich viel schocken kann. Natürlich sieht und lernt man trotzdem ständig interessante neue Dinge, und ich war vorher auch noch nie in Atlanta oder in Georgia - aber ein gewisses Grundvertrauen gegenüber den USA war schon da, deshalb gab es da keine Probleme.

Sie sind in der Nähe von Hamburg aufgewachsen, aber dann zum Studium nach Regensburg gegangen. Gab es da dann einen Kulturschock durch den Wechsel aus dem Norden nach Ostbayern?

Southard: Da wiederum war der Kulturschock ein bisschen größer, muss ich sagen. Einerseits war ich damals noch wesentlich jünger, ich war andererseits aber auch das Leben in einer Großstadt wie Hamburg gewohnt. In Regensburg ist es im Vergleich eben doch etwas kleinstädtischer und ländlicher. Mir waren auch die kulturellen Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands überhaupt nicht so bewusst, ich habe mir damals einfach nur die Uni angeschaut und bin gegangen. Ich habe mich in Regensburg später dann zwar wirklich wohlgefühlt, aber dort Fuß zu fassen, Freunde zu finden und so weiter war schon schwieriger, als es später beim Umzug in die USA der Fall war.

"Ich bin ein ziemlicher Volksfest-Fan geworden"

Gibt es einen kulturellen Unterschied, der Ihnen besonders aufgefallen ist?

Southard: Ein recht einfaches Beispiel: Die Regensburger Dult. Ich war vorher noch nie auf dem Oktoberfest oder einem anderen Volksfest gewesen, und war dann schon sehr verwundert, dass so viele Jugendliche und junge Erwachsene in den Zelten wirklich auf Volksmusik abfeiern! Und dass sie dann auch ab einer gewissen Uhrzeit klatschend auf den Bänken stehen. Da habe ich gesagt 'Das mach' ich ganz bestimmt nicht, ich stell' mich nicht auf so eine Bank!'. Aber dann lernt man eben doch Leute kennen und trinkt vielleicht ein, zwei Maß Bier... und so habe ich mich dann recht schnell umstimmen lassen und bin letztlich sogar ein ziemlicher Volksfest-Fan geworden.

Kulturschock überwunden also, okay! Kommen wir nochmal zu den Unterschieden zwischen den USA und Deutschland zurück: Wie unterscheiden sich Kultur und Mentalität der beiden Länder in Ihren Augen?

Southard: Der größte kulturelle Unterschied ist wohl, dass die amerikanische Gesellschaft durch größere Extreme geprägt ist als die deutsche. Zum Beispiel hört man immer wieder vom "prüden Amerika", das hinsichtlich Sexualität sehr verschlossen und altmodisch ist. Das stimmt so aber nicht ganz, denn das beschreibt eben nur einen Teil der Bevölkerung. Es stimmt zwar schon, dass es beispielsweise am Strand hier nicht üblich ist, dass Frauen einfach so das Bikini-Oberteil wechseln, was in Europa eher kein Problem ist. Aber andererseits gibt es hier in den USA auch viel mehr Menschen, die sich trauen, aus dem Rahmen zu fallen und die sich viel freizügiger und auffälliger kleiden und auch verhalten, als man es in Deutschland sieht.

"Die Amerikaner sind verbal zugänglicher als die Deutschen"

Gibt es auch Unterschiede im alltäglichen Umgang der Menschen miteinander?

Southard: Ja, zum Beispiel beim Umgang mit Fremden. Beim Einkaufen an der Kasse verwickeln dich zum Beispiel Kassierer oft in ein Gespräch, fragen, wie dein Tag läuft und so weiter. Oder sie schauen sich deine Einkäufe an und sagen sowas wie 'Oh, Sie machen wohl Lasagne, ja?'. Da würde man in Deutschland wohl denken 'Entschuldigung, das geht dich doch nichts an?', aber hier ist das ganz normal. Die Definition von persönlichem Raum ist andererseits auch wieder eine andere: Die Amerikaner wahren zwar ihren körperlichen Abstand, aber verbal sind sie wesentlich zugänglicher als die Deutschen, würde ich sagen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Leslie Southard die Corona-Krise, die Proteste gegen Polizeigewalt und die politische Stimmung im Land vor der Wahl erlebt!

Ein Blick auf ein Land voller Krisen vor einer wichtigen Wahl

In der Metropolregion Atlanta leben fast sechs Millionen Menschen ? mehr als die Hälfte von ihnen Afroamerikaner. Der ortsansässige "Hartsfield-Jackson International Airport" hat das höchste Passagieraufkommen der Welt. (Symbolbild)

In der Metropolregion Atlanta leben fast sechs Millionen Menschen – mehr als die Hälfte von ihnen Afroamerikaner. Der ortsansässige "Hartsfield-Jackson International Airport" hat das höchste Passagieraufkommen der Welt. (Symbolbild)

Sie haben in den letzten Monaten auch die Coronavirus-Pandemie in den USA direkt miterlebt. Es gibt dort sehr viel mehr Fälle pro 100.000 Einwohner als in Deutschland, sogar die meisten auf der Welt. Wie hat sich das im Alltag ausgewirkt?

Southard: Das merkt man natürlich vor allem durch die Sicherheitsmaßnahmen. Corona hat dazu geführt, dass etwa seit März tausende Menschen im Homeoffice arbeiten, dass das internationale Reisen für US Bürger erheblich eingeschränkt wurde, dass die Wirtschaft für mehrere Wochen nahezu stillstand und dass sich das alltägliche Leben, ähnlich wie in Deutschland auch, mehr auf kleinere Kreise verlagert hat. Man setzt sich also eher nicht mit Freunden in eine Bar, sondern geht vielleicht zu zweit ein Picknick machen. Mit der Wirtschaft geht es inzwischen wieder langsam bergauf, da viele Geschäfte mittlerweile wieder geöffnet haben. Insgesamt ist es im Moment also schon recht vergleichbar mit der deutschen Situation, vielleicht sind durch die hohen Fallzahlen die Maßnahmen aber hier und da noch etwas strenger als in Deutschland. Leider halten sich auch hier viele Menschen nicht daran, was immer wieder neue Infektionsherde provoziert.

Wer ist denn in den USA zuständig für das Beschließen und Durchsetzen von Coronavirus-Maßnahmen?

Southard: Das ist den USA äußerst kompliziert, da die einzelnen Staaten, Städte und sogar die einzelnen Bezirke hier teilweise ihre eigenen Gesetze machen. Das führt auch nicht selten zu Streitigkeiten oder sogar zu Gerichtsverfahren. Der Gouverneur von Georgia hat zum Beispiel relativ schnell gesagt, dass der Bundesstaat wieder geöffnet wird, weil die Wirtschaft das wohl sonst nicht ausgehalten hätte. Hier leben ja sehr viele Leute von einem Gehaltsscheck zum nächsten, deshalb hat er es den Betrieben dann freigestellt, wieder aufzumachen, was durchaus auch kritisiert wurde. Als die Bürgermeisterin von Atlanta daraufhin eine Maskenpflicht innerhalb der Stadt verhängt hat, hat Gouverneur Kemp dagegen Klage eingereicht.

"Die Proteste sind deutlich abgeebbt"

Mitten in der Corona-Krise gab es in den USA vor einigen Wochen ja gleich die nächste: Die landesweiten Proteste und Ausschreitungen gegen Polizeigewalt, nachdem der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis von einem Polizisten getötet worden war. Wie haben Sie die denn in Ihrem Alltag erlebt?

Southard: Wenn man politisch interessiert ist und sich informiert, dann ist das hier nach wie vor Thema, und es finden auch immer noch Proteste statt - aber die sind längst nicht mehr so laut oder so oft wie unmittelbar nach Floyds Tod. Ich wohne in "Midtown" Atlanta und damals konnte ich von meinem Fenster aus groß organisierte Märsche der "Black Lives Matter"-Bewegung sehen, die durch Atlanta gezogen sind. Nach etwa zwei Wochen ist das aber deutlich abgeebbt - vorher waren tausende Menschen auf diesen Märschen, jetzt sind das eher kleinere Gruppen, die am Straßenrand ihre Schilder hochhalten.

Jetzt ist es ja auch nicht mehr lange hin bis zur Präsidentschaftswahl im November, bei der Amtsinhaber Donald Trump gegen den Ex-Vizepräsidenten Joe Biden antritt. Wie nehmen Sie die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung vor der Wahl wahr?

Southard: Ich bin hier in der Großstadt Atlanta schon in einer internationalen, liberalen Blase: In meiner Firma arbeiten viele Deutsche, viele meiner Freunde gehen auf die "Georgia Tech"-Universität und kommen aus dem Ausland. Ich bin mit den Leuten, mit denen ich mich unterhalte, ziemlich einer Meinung, und für uns ist auch klar, welche Wahl wir für das Land am besten finden würden. Allgemein herrscht in den USA natürlich weniger Konsens, das ist mir schon klar.

"Für mich gehört das eigentlich verboten"

Wie sehr merken Sie diese "Spaltung der amerikanischen Bevölkerung", von der in den Medien immer wieder die Rede ist?

Southard: In den großen Medienhäusern hier, die meist stark einer politischen Richtung zugeneigt sind, merkt man es total, vor allem bei politischen Kommentaren. Im Alltag ist es schwieriger, weil ich schlicht selten von Menschen umgeben bin, die politisch anderer Meinung sind als ich - und geschäftlich redet man sowieso nicht über diese Themen. Wenn man wie ich in einem sehr internationalen Umfeld lebt und arbeitet, ist man meistens mit Menschen in Kontakt, die ziemlich liberal sind.

Hat das auch mit dem urbanen Raum Atlanta zu tun? Also wäre es im ländlichen Georgia anders?

Southard: Auf jeden Fall. Da wäre dann eher das Gegenteil der Fall, zumindest hier in den Südsaaten. Wenn man ein Stück aus Atlanta raus fährt, sieht man hier zum Beispiel auch die "Confederate Flag" hängen, also ein Symbol der amerikanischen Südstaaten aus dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Die Südstaaten haben damals ja daran festgehalten, weiterhin Sklaven halten zu können - viele Leute hier sagen aber trotzdem, die Flagge stehe eben für den Süden und sei ein Teil ihrer "heritage", also ihres kulturellen Erbes. Die hängen sich diese Fahnen dann tatsächlich in den Vorgarten, was für mich eigentlich verboten gehört.

"Den Versuch würde ich Trump zutrauen"

Donald Trump wird in den deutschen Medien oft so dargestellt, dass er vor der Wahl immer verzweifelter wird, um sich schlägt und noch unkontrollierbarer geworden ist. Auf dem Parteitag der Republikaner hat er jetzt zum Beispiel gesagt, im Falle eines Sieges von Joe Biden würde er die Wahl nicht anerkennen. Welche Konsequenzen hätte es Ihrer Meinung nach für die USA, wenn das so passieren würde?

Southard: Ich glaube nicht, dass das für ihn wirklich eine Option ist. In der amerikanischen Verfassung ist ja haargenau festgeschrieben, wann die Amtszeit eines Präsidenten endet, sobald ein neuer gewählt wurde - und ich glaube schon, dass wir genügend Instanzen haben, die dafür sorgen würden, dass er dann seinen Platz räumt… Ich denke auch nicht, dass man Trumps Aussagen wörtlich nehmen sollte, wobei ich ihm den Versuch schon zutrauen würde.

Wir können also durchaus gespannt sein. Die letzte Frage ist deutlich leichtherziger: Kommt Ihr Lieblingsessen aus Deutschland oder aus den USA?

Southard: Ich weiß gar nicht wirklich, was mein Lieblingsessen ist... ich muss aber sagen, ich bin sehr glücklich, dass es hier so viele mexikanische Restaurants gibt. Ich esse unfassbar gerne Tacos, Burritos oder Enchilladas, das alles gibt es nicht so gut und so häufig in Deutschland.

"Hier gibt es auch Filialen von Aldi und Lidl"

Vermissen Sie in den USA irgendein Essen, das es nur in Deutschland gibt?

Southard: Richtig gutes Brot. Das kann man hier zwar auch finden, aber es ist schwierig, weil man dafür oft weite Strecken zu speziellen Bäckereien fahren muss. Tatsächlich gibt es hier auch Filialen von Aldi und Lidl, wo ich vermuten würde, dass es dort besseres Brot gibt - aber ehrlich gesagt war ich da bisher noch nicht.