Interview zum Aktionstag

"Tierversuche sind ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit"


Ein geschlossener Behälter mit Mäusen steht in einem Labor des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) vor einer Mitarbeiterin auf einem Tisch. Ärzte gegen Tierversuche fordern von der Bundesregierung einen Ausstieg aus den Tierversuchen in Laboren.

Ein geschlossener Behälter mit Mäusen steht in einem Labor des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) vor einer Mitarbeiterin auf einem Tisch. Ärzte gegen Tierversuche fordern von der Bundesregierung einen Ausstieg aus den Tierversuchen in Laboren.

Der Verein Ärzte gegen Tierversuche ruft am Samstag zu einem bundesweiten Aktionstag für den Ausstieg aus dem Tierversuch auf. Wir haben mit der Pressesprecherin des Vereins, Dr. Gaby Neumann, darüber gesprochen, wie der Zustand in den deutschen Laboren derzeit ist und warum Tierversuche nicht mehr zeitgemäß sind.

Am 24. Oktober wird der Aktionstag gegen Tierversuche nachgeholt. Was ist geplant?

Neumann: Es ist der Internationale Tag zur Abschaffung der Tierversuche. Den gibt es seit rund 40 Jahren. Der wird weltweit eigentlich am 24. April begangen, um auf das Leid der Tiere in den Laboren aufmerksam zu machen. Er musste im April natürlich abgesagt werden und deswegen rufen wir jetzt stellvertretend an dem 24. Oktober zu einem Aktionstag auf - für den Ausstieg aus dem Tierversuch. Wir haben bundesweit Arbeitsgruppen verteilt und die veranstalten zu diesem Anlass Aktionen in mittlerweile elf Städten. Geplant sind Aktionen wie Mahnwachen, Infostände, Silent Lines und Demos.

Was erwarten Sie sich von dem bundesweiten Aktionstag?

Neumann: Wir möchten die Bevölkerung für die Thematik Tierversuche sensibilisieren und außerdem unserer Forderung nach einem Ausstiegskonzept Nachdruck verleihen. Tierversuche sind im Zeitalter von Computermodellen und Multi-Organ-Chips ein Relikt aus einer längst vergangener Zeit. Das hat im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr. Die Niederlande haben als erstes EU-Land ein Konzept vorgelegt, wie ein schrittweiser Ausstieg aus dem Tierversuch gelingen kann und wir fordern analog von der deutschen Bundesregierung, endlich auch einen Masterplan für den Ausstieg auszuarbeiten.

Wie prekär ist die Situation in den deutschen Laboren?

Neumann: Leider bleiben die Tierversuchszahlen in Deutschland seit Jahrzehnten mit jährlich rund drei Millionen Tieren konstant auf einem hohen Niveau und man kann auch keinen Abwärtstrend beobachten. Das ist erschreckend, weil die Ergebnisse aus Tierversuchen nicht zuverlässig auf den Menschen übertragbar sind. Kein Wunder, der Mensch ist nun mal keine Maus. Zwischen Tier und Mensch bestehen extreme Unterschiede zum Beispiel hinsichtlich des Körperbaus, des Immunsystems und des Stoffwechsels. Tierversuche werden eigentlich gemacht, um den Menschen zu schützen. Aber sie spielen einfach eine falsche Sicherheit vor.

Hat die Corona-Krise die Zustände noch verschärft?

Neumann: Es ist wirklich so, dass relativ früh nach dem Ausbruch von Covid-19 weltweit diverse Tierversuche angelaufen sind. Dabei handelte es sich nicht unbedingt um Versuche mit dem direkten Ziel, Impfstoffe oder Medikamente zu entwickeln. Ein Hauptanliegen war es eher, die am besten geeignete Tierart für die Erforschung des Virus zu finden. Deswegen wurden verschiedene Tierarten verwendet, natürlich Mäuse, aber auch Fledermäuse, Frettchen, Schweine oder Hühner. Es ist aber so, dass keine Tierart ausreichend die gleichen Symptome wie der Mensch entwickelt. Es ist auch kein Wunder: das Virus ist hochspezialisiert auf den Menschen. Die Tiere erkranken daher nicht daran oder haben nur ganz leichte oder andere Symptome als die Menschen.

Welche Alternativen zu Tierversuchen in Laboren gibt es bereits?

Neumann: Es gibt heute etliche hoch entwickelte, auf Menschen basierte, tierversuchsfreie Methoden, die im Vergleich zum Tierversuch relevante Ergebnisse und eine gute Übertragbarkeit für den Menschen liefern. Bei der personalisierten Medizin lassen sich beispielsweise aus menschlichen Hautzellen pluripotente Stammzellen herstellen. Das sind Zellen, die noch alle möglichen Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung haben und aus denen Miniorgane gezüchtet werden können. Mehrere Miniorgane kann man auf einem Chip zusammenpacken und mit einem Kanalsystem miteinander verbinden. Dabei wird der menschliche Körper und der Blutkreislauf simuliert und über dieses Kanalsystem können dann Medikamente eingeleitet werden, die das Miniorgan auf dem Chip erreichen. So kann man schauen, was das Medikament bei den Organen bewirkt. Es ist auch ein computergesteuertes Kupplungssystem angeschlossen, das das Ganze wie ein Blutdruck regulieren kann.

Ein Multi-Organ-Träger in dem ein Multi-Organ-Chip untergebracht ist wird am 04.03.2014 unter einem Mikroskop im Labor der Firma TissUse des Mediziners Uwe Marx in Berlin untersucht. Die rote Ummantelung ist ein Wärmeschutz. In den Zylindern auf dem Chip befindet sich menschliches Gewebe. Die Vision des Wissenschaftlers sind Menschen auf einem Chip . Indem er verschiedene Gewebe etwa vom Herz, der Niere, Leber oder Darm miteinander kombiniert, soll ein Mikromensch entstehen - 100.000-mal kleiner als ein echter Mensch.

Ein Multi-Organ-Träger in dem ein Multi-Organ-Chip untergebracht ist wird am 04.03.2014 unter einem Mikroskop im Labor der Firma TissUse des Mediziners Uwe Marx in Berlin untersucht. Die rote Ummantelung ist ein Wärmeschutz. In den Zylindern auf dem Chip befindet sich menschliches Gewebe. Die Vision des Wissenschaftlers sind Menschen auf einem Chip . Indem er verschiedene Gewebe etwa vom Herz, der Niere, Leber oder Darm miteinander kombiniert, soll ein Mikromensch entstehen - 100.000-mal kleiner als ein echter Mensch.

Was kann man mit diesen Miniorganen erproben?

Neumann: Man kann diese Miniorgane mit einem Virus beispielsweise dem SARS-CoV-2 infizieren und beobachten, was mit den Miniorganen passiert. Es ist so vieles möglich, das im Endeffekt eine humanrelevante Forschung bietet, die viel aussagekräftiger, zuverlässiger und auch kostengünstiger als der Tierversuch ist. Das Problem ist aber, dass sehr viele Gelder in die tierexperimentelle Forschung fließen und nur ein Bruchteil in tierversuchsfreie Forschung geht. Trotz alledem gibt es schon tolle Ergebnisse, auch im Bereich der Corona-Forschung.

Wie schnell ließe sich ein Ausstieg Ihrer Meinung nach umsetzen?

Neumann: Tierversuche sollten nicht nur aus Tierschutzgründen sondern auch zum Wohl der Menschen aufgrund der fehlenden Übertragbarkeit auf den Menschen abgeschafft werden. Aber dafür müssen die gesetzlichen Grundlagen entsprechend geändert werden oder teilweise besser umgesetzt werden. Da sind die Politiker gefordert. Es muss dringend ein Paradigmenwechsel in der Förderung erfolgen. Die Gelder müssen in die modernen, tierversuchsfreien Methoden umverteilt werden. Auch diese neuen Methoden stecken zum Teil noch in den Kinderschuhen, teilweise sind sie auch schon sehr weit entwickelt. Das sind die Grundlagen. Dann ist ein Ausstieg sofort möglich.

Weitere Informationen zu dem geplanten Aktionstag erhalten Sie auch unter https://www.tag-zur-abschaffung-der-tierversuche.de/