Interview Wirtschaft in Corona-Zeiten

Professor Enzo Weber: "Eine Erholung kann schnell gehen"


Das Coronavirus hat die deutsche Wirtschaft hart getroffen. Im Interview mit idowa erklärt Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, welche Entwicklungsszenarien momentan betrachtet werden und mit welchen wirtschaftlichen Konsequenzen gerechnet werden muss.

Professor Dr. Enzo Weber ist am IAB als Forschungsbereichsleiter Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen tätig, zudem forscht er an der Universität Regensburg am Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung.

Herr Professor Weber, was kann man Aktieneignern dieser Tage sagen? Wie würden Sie das Szenario und die Entwicklung beschreiben?

Professor Dr. Enzo Weber: Wir hatten gravierende Einbrüche an den Aktienmärkten. Wenn man jetzt verkauft, dann nimmt man diese Verluste mit. Unter normalen Umständen ist anzuraten, wenn man denn nicht muss, dass man in der Rezession nicht verkauft. Wir hatten schon viele schwere Krisen an den Aktienmärkten, da ging es jeweils in kurzer Zeit rapide runter. Das ist das Merkmal von Aktienmärkten: Wenn es runter geht, dann satt und schnell. Wenn man die Entwicklung abwarten kann, dann sollte man das wahrscheinlich auch tun. Ich kann natürlich keine Garantie geben, ob nicht einzelne Unternehmen in Insolvenz gehen werden. Wer soll das schon absehen? Aber die umfangreichen Stützungsmaßnahmen, die jetzt beschlossen wurden, lassen doch zumindest hoffen, dass das Schlimmste vermieden werden kann.

"Meldungen über gravierendste Einschränkungen unseres öffentlichen Lebens zehnminütlich"

Hat das viele Geld im Markt, das in Ermangelung von attraktiven Alternativen in Aktien angelegt war, auch einen kleinen Anteil am extrem steilen Absturz der Kurse?

Weber: Zu viel Geld - das kann man sicherlich grundsätzlich so sehen. Wir hatten lange eine extrem expansive Geldpolitik - auch zu Zeiten, in denen beispielsweise ich das nicht mehr für geboten gehalten hätte. Aber der wesentliche Grund, warum das jetzt so steil runter gegangen ist, ist das nicht. Der wesentliche Grund ist, dass wir eine extrem untypische Entwicklung hinein in eine Rezession hatten. Normalerweise bahnt sich ja so etwas an. Man sieht etwa, dass in anderen Ländern die Nachfrage immer schwächer wird, dass Produktion eingestellt wird und Menschen entlassen werden. Diesmal kamen die Meldungen über gravierendste Einschränkungen unseres öffentlichen Lebens zehnminütlich. Das war einfach ein ganz anderer Takt, als das in normalen Rezessionen mit normalen Wirtschaftsmeldungen erfolgt. Dementsprechend haben auch die Börsen so extrem kurzfristig und stark reagiert.

Bezogen auf die volkswirtschaftliche Entwicklung schwanken die Einschätzungen derzeit sehr stark. Da ist mal von vier Prozent Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) die Rede, mal von 20. Was ist Ihre Einschätzung?

Weber: Wir erwarten eine schwere Rezession, die jetzt im ersten Halbjahr kommen wird. Wir erwarten, dass der BIP-Rückgang im zweiten Quartal erheblich sein wird, dass er noch über denjenigen hinaus geht, den wir in der Wirtschaftskrise 2009 im zweiten Quartal gesehen haben. Auf das Jahr bezogen würde das auf ein Minus von zwei Prozent hinauslaufen. Das allerdings unter der Annahme, dass diese Eindämmungsmaßnahmen, also die Schließungen von vielen Branchen, sechs Wochen anhalten, und dann über weitere sechs Wochen schrittweise wieder aufgehoben werden. Wenn man jetzt aber annimmt, dass diese Wirtschaftsbereiche für viele Monate ausfallen, dass man also ganze Teile der Wirtschaftsleistung einfach auf null setzt, dann kann man rechnerisch auch auf minus zwanzig Prozent kommen. Da sind wir momentan nicht. Wir haben aber noch eine andere Berechnung: Wenn man bei zweieinhalb Monaten Schließung wäre und man eine Normalisierung erst bis zum Jahresende bekommt, dann kommen wir auf ein Minus von 4,7 Prozent.

Es ist also einfach noch nicht abzusehen, wie lange die Maßnahmen andauern, und folglich ist nicht abzusehen, wie hoch der Rückgang sein wird ...

Weber: So ist es. Und wie lange die Maßnahmen andauern, das können Sie mit Konjunkturprognosen und den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln auch nicht abschätzen.

"Betriebe lebensfähig halten"

Geht man nun davon aus, dass die Maßnahmen nach sechs Wochen wieder schrittweise zurückgefahren werden können: Wie lange würde es dauern, bis sich die Wirtschaft davon wieder erholt hat?

Weber: Eine Erholung kann ziemlich schnell gehen, wenn erst einmal die Restriktionen weggefallen sind. Es gibt eine Voraussetzung dafür, die Voraussetzung, dass wir die Betriebe handlungsfähig und lebensfähig halten. Wenn wir die Betriebe massiv bei der Liquidität stützen, wenn wir Kurzarbeitergeld zahlen, wie es jetzt auch beschlossen ist, dann sind das wesentliche Punkte. Wenn wir die Betriebe durch diese extrem harte Phase hindurch bringen, dann kann es schnell gehen. Wir gehen erst einmal nicht davon aus, dass das ein endloses Tal der Tränen wird, sondern dass man da auch durchkommen kann, wenn man richtig agiert und umfassend agiert. Aber die Unsicherheiten sind natürlich trotzdem da.

Die deutsche Wirtschaft ist also so robust, dass sie diese Phase überwinden wird ...

Weber: Unser Arbeitsmarkt war lange robust und hat auch der großen Rezession 2009 und der Eurokrise widerstanden. Darauf kann man wirklich bauen. Arbeitskräfte sind mittlerweile in Deutschland knapp geworden. Deswegen versuchen die Betriebe auch, Ihre Mitarbeiter zu halten. Das haben wir lange gesehen. Es wird aber aktuell nicht ohne massive Stützung gehen. Denn wir haben dieses Mal die spezielle Situation eines Komplettausfalles des Ertrags. Das hatten wir in anderen Rezessionen nicht. Da hatte man vielleicht einen Ausfall von zehn oder zwanzig Prozent. Deswegen: Ja, wir können auf diese Robustheit bauen. Aber diese Robustheit ist nichts, wenn wir nicht massiv staatlich unterstützen.

Es geht um einen kompletten Ausfall in weiten Teilen der Wirtschaft ...

Weber: Nein, nicht in weiten Teilen. Soweit sollte man nicht gehen. Aber zumindest in den Teilen, in denen Publikumsverkehr besteht: Gastronomie, Hotels, Kinos. Da ist es tatsächlich in weiten Teilen so. Es gibt aber viele andere Bereiche der Wirtschaft, die nicht geschlossen sind. Man darf auch nicht überziehen.

Geht man von einem Rückgang des BIP in Höhe von zwei Prozent aus, was würde das dann für den Arbeitsmarkt in Zahlen bedeuten?

Weber: Die Erwerbstätigkeit ist ja bisher jeden Monat gut gestiegen. Über die nächsten Monate wird sie wohl nicht mehr steigen, sondern vorübergehend um 300.000 abnehmen. Das unter der Bedingung, dass diese Akutphase auch irgendwann beendet ist.

"Es kommt darauf an, dass das Ganze umfassend passiert und schnell passiert."

Sie haben angesprochen, dass der Staat nun massiv gefordert ist, sowohl auf Landes-, als auch auf Bundesebene?

Weber: Die Hauptverantwortung hat der Bund, da gibt es gar kein Vertun. Klar ist aber natürlich auch, dass sich die Länder engagieren sollten. Jedes Engagement ist im Moment richtig. Es kommt darauf an, dass das Ganze umfassend passiert und schnell passiert. Die Puffer von vielen Selbstständigen und von vielen kleinen Betrieben, sind nicht besonders groß. Wir dürfen dabei auch nicht in eine Überschuldung hineinlaufen. Wenn man Kredite gewährt, dann kann das schnell zu Überschuldung führen. Da steht dann am Ende auch die Insolvenz und darunter leiden dann auch die Gläubiger dieser Betriebe, die Banken. Bei der Rückzahlung Kredite zinsfrei zu stellen, wäre dringend anzuraten. Und sie langfristig zurückzuzahlen. Und wenn die Krise zu umfangreich wird, dann vielleicht sogar die Rückzahlung freiwillig stellen, zumindest für kleine und mittlere Betriebe. Wenn die Krise zu groß wird, dann braucht man einfach ein größers Geschütz, als nur Kredite zu vergeben. Da sind wir jetzt vielleicht noch nicht. Man kann die Hoffnung haben, dass man auf Sicht von Monaten durch die Krise durchkommen kann. Aber man sollte vorbereitet sein.

Stichwort größeres Geschütz: Christine Lagarde, die Chefin der EZB, hat am Donnerstag verkündet: "Whatever it takes" - und hat ein Notkaufprogramm von Anleihen in Höhe von 750 Milliarden Euro angekündigt. Ist das sinnvoll? Und wenn ja: Reicht das?

Weber: Das ist unumgänglich. Denn auch Staaten sind nicht unbegrenzt finanzierungsfähig. Das haben wir bereits in der Eurokrise gesehen. Da wären auch schon Staaten insolvent gegangen, wenn sie nicht geldpolitisch gestützt worden wären. Das würde jetzt auch wieder passieren. Wenn die Staaten ihre Funktion wahrnehmen sollen, ihre Betriebe und ihre Beschäftigten zu stützen, dann brauchen sie dafür ihren Rücken frei. Das wird in Deutschland, wenn die Krise sich nicht zu extrem auswächst, schon noch möglich sein. Hier sind große Möglichkeiten der öfffentlichen Hand vorhanden. Aber es gibt viele Staaten. Und wenn die Zentralbank da kein klares Bekenntnis abgibt, dann werden manche Staaten am Kapitalmarkt nicht mehr refinanzierungsfähig sein. Und dann können sie auch ihre Funktion nicht mehr wahrnehmen. Es ist also genau richtig. Vom Unfang her wird es erst einmal ausreichen. Man muss dann sehen, wie lange die Krise anhält. Man wird sehen müssen, ob es ausreicht, damit am Sekundärmarkt Anleihen gekauft werden. Das ist ja keine direkte Staatenfinanzierung, sondern da werden nur auf dem Kapitalmarkt die Anleihen aufgekauft, damit die Zinsen niedrig bleiben. Das funktioniert solange wie private Geldgeber grundsätzlich noch bereit sind, den Ländern Geld zu geben, und solange sie auch noch in der Lage dazu sind. Falls dieses irgandwann einmal nicht mehr der Fall ist, wird die Zentralbank die Staaten direkt finanzieren müssen. In diesem Szenario sind wir, wie gesagt, aber noch nicht.

"Wille, die Kleinen zu stützen"

Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg

Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg

Wie ist denn ihr Blick auf die bayerische Wirtschaft?

Weber: Das IAB ist das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, insofern betrachten wir nicht im Speziellen Bayern. Die Corona-Effekte sind auch nicht regionalspezifisch. Klar ist natürlich, dass Bayern etwa in der Automobilindustrie stark ist. Da kommen natürlich Probleme rein, beispielsweise über Export aus China. Aber wir haben aktuell viel breitere Effekte. Das betrifft vom Automobilhersteller bis zum Kino alle möglichen. Da geht es nicht darum, ob das in Bayern, in Hessen oder in Bremen ist.

"man wird mit anderen Maßstäben vorgehen müssen"

Manche vor allem kleinere Unternehmen haben momentan die Angst, dass in der Krise eher den größeren Betrieben geholfen wird, sie aber leer ausgehen könnten. Nun gab es am Donnerstag die Meldung, dass ein milliardenschweres Programm für Soloselbstständige aufgelegt werden soll. Glauben Sie, dass solche Hilfen für kleinere Unternehmen wirklich schnell und unbürokratisch erfolgen?

Weber: Der Wille ist klar erkennbar, die Kleinen zu stützen. Auch die Politik hat erkannt, dass es diesmal nicht nur um große Autobauer oder ähnliches geht. Es geht flächendeckend um ganz viele Kleine. Der Umfang der Finanzierung ist auch angemessen. Es geht jetzt darum, dass das schnell passiert. Das ist aber schon wieder fraglich. Wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau 80 Prozent des Ausfallrisikos übernimmt, dann hat die Hausbank nach wie vor 20 Prozent. Und auch 20 Prozent ist nicht gerade trivial, bei einem Betrieb, der gerade einen Komplettausfall seiner Beträge hat. Wenn man dann zu viel Wert auf die üblichen Solvenzprüfungen legt, dann wird der Prozess zu lange dauern. Und dann werden zu viele in diesem Prozess auf der Strecke bleiben. Man darf natürlich gleichzeitig nicht überziehen, denn die Mittel sind nicht unbegrenzt. Aber man wird mit anderen Maßstäben vorgehen müssen, als das normalerweise der Fall ist. Und zwar mit deutlich anderen.

Ob es schnell und unbürokratisch geht, ist also noch fraglich ...

Weber: Man sollte jetzt niemanden beschuldigen. Wir sind alle überrollt worden von dieser Sache. Und natürlich auch die verantwortlichen Institutionen. Das ist eine gigantische Aufgabe. Jetzt zu sagen: "Ihr Bürokraten, ihr blockiert alles." Das ist unangemessen. Trotzdem muss es so sein, dass die Maßstäbe vollkommen anders gedacht werden.

Könnten Sie ganz kurz skizzieren, welche Hilfen jetzt schon für kleinere Unternehmen verfügbar sind?

Weber: Kurzarbeit gilt ja für alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Hier sollte man sich an die Arbeitsagentur wenden, die Beratung läuft auf Hochtouren. Das ist ein probates Mittel. Es werden nun auch die Sozialbeiträge mit erstattet, um den Betrieben zusätzlich unter die Arme zu greifen. Die Kreditvolumina der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stehen auch kleinen Unternehmen zur Verfügung. Auch da sollte man sich sobald wie möglich hinwenden, wenn man denn Unterstützung braucht. Denn ein bisschen Zeit braucht es schon, bis ein solcher Antrag gestellt ist. Das sind die wesentlichen Unterstützungsmaßnahmen. Dann gibt es noch einiges von der bayerischen Staatsregierung, das von der Größenordnung her auch nicht irrelevant ist.

Wo können sich denn die Unternehmen informieren, was den Ablauf einer solchen Kreditvergabe angeht?

Weber: Auf der Startseite der KfW im Internet gibt es etwa ein solches Informationsangebot.